Salzburger Nachrichten

Die ÖVP muss sich wieder einmal neu erfinden

Die Fokussieru­ng auf einen einzigen türkisen Stern am Himmel hat sich nicht bewährt. Die Partei muss sich breiter aufstellen.

- Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SN.AT

Über den Rücktritt des früheren Kanzlers gibt es zwei Erzählunge­n. Die eine geht so: In der Nacht zum vorvergang­enen Samstag schmiedet Sebastian Kurz im Kreise seiner engsten Vertrauten den Plan, im Sinne des Staatsganz­en, aber vor allem der ÖVP, zur Seite zu treten und die Bahn frei zu machen für seinen Außenminis­ter als neuen Regierungs­chef: „Schalli, du musst übernehmen.“

Die andere Version geht so: Als sich abzeichnet, dass die Opposition und auch der Regierungs­partner Sebastian Kurz tatsächlic­h im Parlament abwählen würden, ziehen die Landeshaup­tleute die Reißleine und zwingen ihn zumindest zur Teilaufgab­e. Der Kanzler hätte ansonsten das gesamte Regierungs­team in die Tiefe der Bedeutungs­losigkeit mitgerisse­n. Es geht um Macht und Milliarden Euro an Projektför­derungen für die Länder. Ohne türkise Minister in

Wien wäre das Geld futsch.

Die Wahrheit wird wohl wie so oft irgendwo in der Mitte liegen. Die Geschichte zeigt uns aber, warum heute so sehr um die Hoheit über Erzählunge­n gerungen wird. Es entscheide­t nicht mehr so sehr, was ist, sondern was geglaubt wird.

Variante eins präsentier­t uns den Altkanzler als verantwort­ungsvollen und einsichtig­en Politiker, der sich denkt, „mein Land ist mir wichtiger als meine

Person“, und entspreche­nd handelt. Der Rücktritt zur Seite ist nach dieser Lesart kein Zeichen der Schwäche, sondern eines der Stärke.

In Variante zwei wird Sebastian Kurz das Heft von den Landeshaup­tleuten aus der Hand genommen.

Ein Vorgang, der früher zum Tagesgesch­äft in der ÖVP gehört hat. Bei praktisch jedem zweiten Dreikönigs­treffen der Partei in Maria Plain und jedem dritten Forum in Alpbach stand der Parteichef zur Dispositio­n der Mächtigen in den Ländern und Bünden. Ein neues Parteistat­ut sollte damit ein für alle Mal aufräumen. Zumindest hat Sebastian Kurz das bis vor Kurzem geglaubt. Jetzt ist alles anders.

Egal wie das Match um Sebastian Kurz ausgeht, die ÖVP muss sich wieder einmal neu erfinden. Zurück zur starren, unbeweglic­hen, altvateris­chen Partei will und kann niemand mehr. Umgekehrt hat sich die Fokussieru­ng auf einen einzigen türkisen Stern am Himmel aber auch nicht bewährt.

Wer eine Volksparte­i sein will, muss diese auch an der Spitze widerspieg­eln und ihre Werte hochhalten. Ansonsten bleibt es beim vielleicht kurzfristi­g erfolgreic­hen, aber auf Dauer inhaltslee­ren Wahlverein.

Die ÖVP muss sich entscheide­n, wohin sie will.

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