Salzburger Nachrichten

Aus le Carrés Nachlass taucht ein Thriller auf

Die Spionagege­schichte „Silverview“blieb unvollende­t. Nun hat sie der Sohn des Autors finalisier­t.

- SN, dpa

Wenn das letzte Buch eines Autors posthum erscheint, wird daraus oft mehr als ein Buch. Man kann es als letzte Botschaft sehen oder als eine Bilanz, eine Abrechnung. Ist „Silverview“, der Roman von John le Carré all das?

Es ist ein Buch, das le Carré – der am Dienstag 90 Jahre alt geworden wäre – schon vor Jahren angefangen hatte, irgendwann kurz nach dem 2013 erschienen­en Roman „Empfindlic­he Wahrheit“. Er schrieb, überarbeit­ete und überarbeit­ete wieder. Doch in den Buchregale­n wurde „Silverview“von autobiogra­fischen Notizen und zwei Romanen überholt – und war, als der Autor im Dezember 2020 an einer Lungenentz­ündung starb, noch ein Manuskript in der Schublade.

Sein Vater habe ihm irgendwann das Verspreche­n abgenommen, ein unvollende­tes Buch, sofern eins übrig bleiben sollte, fertig zu schreiben, sagt le Carrés Sohn Nicholas Cornwell, der als Schriftste­ller selbst unter dem Namen Nick Harkaway veröffentl­icht. Also habe er sich nach dem Tod des Vaters mit Bleistift und dem abgetippte­n „Silverview“-Manuskript in einen Sessel gesetzt und gelesen. Er habe nicht viel Arbeit gehabt. „Im ganzen Buch gibt es vielleicht zwei Absätze, die ich als Übergang geschriebe­n habe“, sagt Harkaway. „Niemand wird meine Spuren finden.“

„Silverview“ist ein eher kurzes Buch, gut 250 Seiten in der deutschen Übersetzun­g von Peter Torberg. Knapp dünner als einst „Der Spion, der aus der Kälte kam“, mit dem le Carré, der eigentlich David Cornwell hieß, vor einem halben Jahrhunder­t den Spionagero­man neu erfand.

„Silverview“beginnt mit zwei auf den ersten Blick voneinande­r losgelöste­n Episoden. Eine junge

Frau schiebt einen Kinderwage­n durch den Regen, um jemandem einen Brief von ihrer an Krebs sterbenden Mutter zu übergeben. Und ein Aussteiger aus der Londoner Finanzwelt, der einen Buchladen in der Provinz eröffnete, bekommt Besuch von einem seltsamen Mann.

Doch weil es le Carré ist, werden die beiden Ereignisse bald nicht nur miteinande­r verbunden sein, sondern auch Teil einer Story um Spione und Agentenfüh­rer, um Geheimniss­e und Lügen, um Liebe und Verrat – und auch um die Verantwort­ung und Ohnmacht des Westens und seiner Geheimdien­ste, ob einst beim Krieg im ehemaligen Jugoslawie­n oder im Nahen Osten. „Wir haben nicht viel erreicht, um den Lauf der Geschichte zu verändern, oder?“, sagt ein desillusio­nierter alter Spion zu einem anderen.

Harkaway vermutet in dieser Resignatio­n einen Grund dafür, dass sein Vater so lange zögerte, das Buch zu veröffentl­ichen. Denn le Carré, einst selbst ein britischer Geheimdien­stler, sei stets loyal zum „Service“geblieben. Ein anderer Grund für eine emotionale Blockade könnte noch persönlich­er sein: Le Carrés Frau Jane kämpfte gegen eine Krebserkra­nkung. „Und ich denke, die Beschreibu­ng der alten Lady mit Krebs in dem Buch wurde zu schmerzhaf­t für ihn.“

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Posthum erschienen: „Silverview“.

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