75 Jahre nach dem ersten Parteitag: Immer die gleichen Sorgen Wie Karl Nehammer die ÖVP positioniert
Zentral oder dezentral? Bewahren oder reformieren? – Zwei große Fragen ziehen sich durch die Geschichte der ÖVP.
WIEN. Der Parteitag am Samstag in Graz stellt ein doppeltes Jubiläum dar: Es ist der 40. Bundesparteitag der ÖVP. Und er findet 75 Jahre nach dem ersten statt. Dieser erste Bundesparteitag dauerte vier Tage und wurde im April 1947 im Wiener Konzerthaus eröffnet (mit einem Orgelvortrag). Gleich dieser erste Parteitag behandelte ein Thema, das bis heute diskutiert wird: die bündische und dezentrale Struktur der ÖVP und die daraus resultierende Schwäche der Bundespartei.
Der damalige Generalsekretär Felix Hurdes legte dem ersten Bundesparteitag eine Resolution vor, die der Bundespartei den Vorrang vor den sechs Bünden (Wirtschaft, Bauern, Angestellte, Frauen, Jugend, Senioren) einräumen und das Primat der ÖVP-Zentrale vorschreiben sollte. Erfolg hatte er damit nicht.
Man hielt Hurdes entgegen, dass der Erfolg der ÖVP (sie hatte 1945 die absolute Mehrheit errungen) gerade auf den Bünden beruhte: Vor allem der Bauernbund hatte in der NS-Zeit als Untergrundnetz weiter bestanden und dafür gesorgt, dass die ÖVP 1945 schnell aus den politischen Startlöchern kam.
Doch die Debatte, ob die spezielle Struktur der ÖVP ein Vor- oder ein Nachteil ist, beschäftigt die Partei bis heute. Wie die Dinge zurzeit liegen, lässt sich daran ermessen, welche regionalen und bündischen Rücksichten Karl Nehammer bei seiner jüngsten Regierungsumbildung nahm oder nehmen musste.
Versuche, die Dinge zu ändern, gab es immer wieder. In der ÖVPKrise in den 90er-Jahren propagierte der damalige Obmann Erhard Busek eine Neugründung der Partei mit dem Ziel, die Bünde zurückzudrängen. Auch er scheiterte.
Beim Parteitag 1947 wurde Leopold Figl übrigens per Akklamation zum Parteichef gewählt. „Unser bewährter Bundeskanzler, unser alter KZ-Kamerad, unser Figl“, wie er laut Protokoll genannt wurde, war damals derart unumstritten, dass sich eine Abstimmung erübrigte.
Andere Obmannwahlen in der ÖVP waren wesentlich kontroversieller. Meist gelang es der Partei jedoch, ihre Flügelkämpfe bis zum Parteitag beizulegen und eine halbwegs harmonische Obmannwahl über die Bühne zu bringen.
Nicht so beim denkwürdigen Klagenfurter Parteitag im Jahr 1963. Die ÖVP war wieder einmal in der Krise und wurde von einem Konflikt gebeutelt, der im Kern ebenfalls bis heute andauert: auf der einen Seite die großkoalitionär orientierten Bewahrer, auf der anderen Seite die Reformer, die notfalls auch bereit sind, andere Wege zu gehen.
1963 konnte dieser Konflikt nicht vorab beigelegt werden. In Klagenfurt kam es zur Kampfabstimmung um die Obmannschaft zwischen dem Bewahrer Heinrich Drimmel und dem Reformer Josef Klaus. Der Salzburger Klaus siegte.
Beim 40. Parteitag am Samstag gibt es keinen Gegenkandidaten zu Karl Nehammer. Das Spannendste am Parteitag wird daher seine programmatische Rede sein. Und wie er sich darin zu den beiden großen Fragen stellt, die sich durch die Geschichte der ÖVP ziehen.