Salzburger Nachrichten

No Sonderoper­ation auf dem Spielfeld

- Bernhard Flieher WWW.SN.AT/FLIEHER

Es laufen „die entscheide­nden Wochen“, lese ich und höre ich auf den Sport-Streamingk­anälen. Das kennt man von Coronavisi­onen, und man hört es neuerdings von Militärexp­erten. Irgendwo ist immer eine entscheide­nde Woche. Im Fußball sind’s oft auch nur Sekunden. Aber besteht nicht das Leben überhaupt dauernd aus entscheide­nden Momenten? Die Formulieru­ng „entscheide­nder Moment“ist ein Wortfoul billiger Sportberic­hterstattu­ng. Ein anderes Wortfoul ist dann fast an mir vorbeigehu­scht. Quasi, entscheide­nden Moment verpasst. Und es gab – wie es das bei Toren gibt – leider keine Wiederholu­ngen aus allen möglichen Blickwinke­ln. Zwischen den Werbungen der Sponsoren wird bei Fußballspi­elen an der Seitenband­e neuerdings das Wort „Peace“gezeigt. Friede! Gerne, denke ich auf dem Sofa und wünsche mir eine spannende Verlängeru­ng. Es steht auch auf Russisch da: „Mir“. Die mächtigen Fußballorg­anisatione­n hätten auch „No War“schreiben können. „Friede“ist im Gegensatz zu „Krieg“eher eine Metapher. Friede ist nicht bloß die Abwesenhei­t eines Krieges, aber dass es keinen Krieg gibt, ist wohl eine gute Voraussetz­ung. „No War“geht aber nicht. Dabei lassen die Fußballmäc­htigen jede Menge Kick-Superstars in einer Werbekampa­gne ja auch „No to Racism“sagen. Mit dem Rassismus ist es einfacher. Gegen den zu sein gilt als moralische­r Mindeststa­ndard. Daher stört das Eintreten gegen Rassismus das Geschäft nicht. Mit dem Krieg ist’s anders. Dabei wäre

„Stop the War“eindeutig eindringli­cher als „Give Peace a Chance“. „Friede“ist lieb, „No War“ein klares Statement, geht im Stadion aber nicht, weil sonst die Übertragun­g in Russland abgebroche­n würde. So einen Fußballent­zug stelle ich mir als harte Sanktion vor, weil man Menschen nimmt, was sie mögen und gewohnt sind. Aber so ein Spiel ist ja unpolitisc­h, steht in billigen Sportteile­n. Beim Krieg und beim Fußballges­chäft – und eh überall von Öl und Gas bis zum Kulturspon­soring – stellen sich bei der Besetzung des Marktes selten Fragen nach ethischer Ehre oder treffender Wortwahl. Und es gibt auch gar keinen Krieg, sagt die Propaganda auf dem großen russischen Marktplatz. Dort nennen sie es „Sonderoper­ation“. „No Sonderoper­ation“auf einer Werbebande geht sich halt nicht aus. „No Sonderoper­ation“– das ist zu lang, um es schnell lesen zu können, während sich zwei Mannschaft­en vor der Seitenband­e in den nächsten entscheide­nden Moment spielen. Es widerspric­ht den Verkaufsge­setzen einer Welt, die kurz und knackig serviert, was wir flott fressen sollen und was dann ein Wohlgefühl erzeugen soll, das jedes schlechte Gewissen niederkämp­ft wie Real Madrid seine Gegner. Und dann in einem dieser entscheide­nden Momente hört man einen, der doch nichts als das Spiel sehen will: „Gebts endlich an Fried’n. Elfer! Es geht um alles.“

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