No Sonderoperation auf dem Spielfeld
Es laufen „die entscheidenden Wochen“, lese ich und höre ich auf den Sport-Streamingkanälen. Das kennt man von Coronavisionen, und man hört es neuerdings von Militärexperten. Irgendwo ist immer eine entscheidende Woche. Im Fußball sind’s oft auch nur Sekunden. Aber besteht nicht das Leben überhaupt dauernd aus entscheidenden Momenten? Die Formulierung „entscheidender Moment“ist ein Wortfoul billiger Sportberichterstattung. Ein anderes Wortfoul ist dann fast an mir vorbeigehuscht. Quasi, entscheidenden Moment verpasst. Und es gab – wie es das bei Toren gibt – leider keine Wiederholungen aus allen möglichen Blickwinkeln. Zwischen den Werbungen der Sponsoren wird bei Fußballspielen an der Seitenbande neuerdings das Wort „Peace“gezeigt. Friede! Gerne, denke ich auf dem Sofa und wünsche mir eine spannende Verlängerung. Es steht auch auf Russisch da: „Mir“. Die mächtigen Fußballorganisationen hätten auch „No War“schreiben können. „Friede“ist im Gegensatz zu „Krieg“eher eine Metapher. Friede ist nicht bloß die Abwesenheit eines Krieges, aber dass es keinen Krieg gibt, ist wohl eine gute Voraussetzung. „No War“geht aber nicht. Dabei lassen die Fußballmächtigen jede Menge Kick-Superstars in einer Werbekampagne ja auch „No to Racism“sagen. Mit dem Rassismus ist es einfacher. Gegen den zu sein gilt als moralischer Mindeststandard. Daher stört das Eintreten gegen Rassismus das Geschäft nicht. Mit dem Krieg ist’s anders. Dabei wäre
„Stop the War“eindeutig eindringlicher als „Give Peace a Chance“. „Friede“ist lieb, „No War“ein klares Statement, geht im Stadion aber nicht, weil sonst die Übertragung in Russland abgebrochen würde. So einen Fußballentzug stelle ich mir als harte Sanktion vor, weil man Menschen nimmt, was sie mögen und gewohnt sind. Aber so ein Spiel ist ja unpolitisch, steht in billigen Sportteilen. Beim Krieg und beim Fußballgeschäft – und eh überall von Öl und Gas bis zum Kultursponsoring – stellen sich bei der Besetzung des Marktes selten Fragen nach ethischer Ehre oder treffender Wortwahl. Und es gibt auch gar keinen Krieg, sagt die Propaganda auf dem großen russischen Marktplatz. Dort nennen sie es „Sonderoperation“. „No Sonderoperation“auf einer Werbebande geht sich halt nicht aus. „No Sonderoperation“– das ist zu lang, um es schnell lesen zu können, während sich zwei Mannschaften vor der Seitenbande in den nächsten entscheidenden Moment spielen. Es widerspricht den Verkaufsgesetzen einer Welt, die kurz und knackig serviert, was wir flott fressen sollen und was dann ein Wohlgefühl erzeugen soll, das jedes schlechte Gewissen niederkämpft wie Real Madrid seine Gegner. Und dann in einem dieser entscheidenden Momente hört man einen, der doch nichts als das Spiel sehen will: „Gebts endlich an Fried’n. Elfer! Es geht um alles.“