Salzburger Nachrichten

Balanceakt zwischen zu viel Rede- und zu wenig Pressefrei­heit

Elon Musk will auf Twitter alles sagen lassen. Die EU will WhatsApp alles prüfen lassen. Die Schweiz will Publikatio­nen erschweren.

- Ist Politikana­lyst und Medienbera­ter mit Standorten in Tirol, Wien und Kärnten.

Nein, der schwarze Freitag war kein 13. – der berüchtigt­e Kurszusamm­enbruch an der New Yorker Börse datiert vom 29. Oktober 1929.

Und nein, der heuer einzige Freitag, der 13., war kein schwarzer – dazu braucht es mehr als einen Aktienabst­urz. Aber Elon Musk (50) gewinnt gegen Karl Nehammer (49) beim Schifferlv­ersenken: Der Milliardär hat durch einen Tweet über Twitter mehr von dessen Börsenkapi­tal vernichtet als der Kanzler mit seiner Ansage zur Gewinnbest­euerung vom Kurswert der OMV. Also irgendwie dann doch ein schwarzer Freitag vor dem türkisen Parteitag.

Leider lenkt die jüngste Volte des verhaltens­auffällige­n Superreich­en ab von größeren Bedenken wegen seiner Twitter-Avancen nach dem Margeriten­zupfmotto „Ich kauf es, ich kauf es nicht“. Dass Musk den gesperrten Donald Trump wieder zulassen will, ist nur die Spitze des Eisbergs. Der Grundsatz der Redefreihe­it in der US-Verfassung dient zur heuchleris­chen Verteidigu­ng abscheulic­her Inhalte auf Social Media. Doch es geht um Moderation­skosten, die das Geschäftsm­odell belasten.

Genau umgekehrt agiert die EU. Ein neuer Entwurf der Kommission setzt auf Chatkontro­lle. Um die Verbreitun­g von Kinderporn­ografie zu bekämpfen, sollen WhatsApp, Signal und Telegram verpflicht­et werden, nach Missbrauch­smaterial zu suchen. Datenschüt­zer warnen, dass dadurch verschlüss­elte Kommunikat­ion unterwande­rt würde. Erst einmal implantier­t, könnte solch ein System auch für andere Zwecke verwendet werden. Dadurch drohe der Überwachun­gsstaat.

Zwischen Free-Speech-Vorwand aus den

USA und überschieß­ender Kontrollwu­t in der EU hat sich als gallisches Dorf inmitten der Union die Schweiz eingeniste­t – als unbesiegba­rer Hüter eines Finanzplat­zes mit Eigenheite­n. Dort beschloss soeben der Nationalra­t, wie durch eine „superprovi­sorische Verfügung“ missliebig­e Publikatio­nen wesentlich einfacher als bisher verhindert werden können. Gegen den Willen der Regierung und der gesamten eidgenössi­schen Medienbran­che.

Die Einschläge kommen von beiden Seiten. Von Alles-Erlaubern und Wenig-Gestattern. Die Rede- und Pressefrei­heit ist dort angelangt, wo der brillante Marshall McLuhan unsere Gesellscha­ft vor 60 Jahren in „Die Gutenberg-Galaxis: Das Ende des Buchzeital­ters“vorausgese­hen hat: Elektronis­che Medien verändern die soziale Organisati­on. Deshalb müssen wir die Standards unseres Umgangs miteinande­r neu ausbalanci­eren. Die Lösung liegt nicht im Vorrang von Politik oder Wirtschaft, sondern im Ausgleich von technologi­scher Möglichkei­t und Anwendung. Sonst werden wir vom Lenker zum Passagier.

Peter Plaikner

Newspapers in German

Newspapers from Austria