Salzburger Nachrichten

Wohin geht die ÖVP?

Was wird Karl Nehammer am Parteitag sagen? Wie lange regiert er noch? Was ist sein Wahlziel? Ein langjährig­er ÖVP-Kenner antwortet.

- ALEXANDER PURGER

SN: Was erwarten Sie sich als langjährig­er Beobachter von diesem Parteitag?

Fritz Plasser: Erstens ein sehr deutliches Wahlergebn­is für Karl Nehammer – 95 Prozent plus. Und zweitens eine spannende Rede mit Markierung­en und Wegmarken.

SN: Und zwar welchen?

Nehammer wird wohl versuchen, eine wirtschaft­spolitisch­e Kompetenz-Offensive zu starten. Nach der jüngsten Regierungs­umbildung kann er das auch. Die ÖVP hat jetzt personell-ministerie­ll eine Wirtschaft­skompetenz, über die sie in dieser Form noch nie verfügt hat. Minister Martin Kocher ist ein echtes Asset für die ÖVP.

SN: Wahlen werden aber eher mit Sozialthem­en gewonnen.

Daher wird Nehammer wohl die Teuerung ansprechen und zu zeigen versuchen, wie die Regierung da wirtschaft­spolitisch gegensteue­rn kann. Stichwort etwa: Beseitigun­g der kalten Progressio­n.

SN: Was muss Nehammer in der Rede noch ansprechen?

Die Energiever­sorgung. Da muss er klarzumach­en versuchen, wie sehr die Regierung auf Lieferengp­ässe vorbereite­t ist. Damit in Zusammenha­ng steht das Thema UkraineKri­eg: Wo steht da Österreich? Wird es sich stärker in eine neue europäisch­e Sicherheit­sarchitekt­ur einbringen? – Und schließlic­h wird Nehammer es sich nicht ersparen können, auf das Thema Korruption­svorwürfe einzugehen.

SN: Kein angenehmes Thema.

Die ÖVP laboriert an einem generalisi­erten, pauschalen Korruption­sverdacht, zuletzt noch verstärkt durch die Vorgänge in Vorarlberg. Das tut einer Partei sehr, sehr weh. Da muss Nehammer konkret gegensteue­rn: keine Papiere, sondern handfeste Aktionen. Es braucht strikte Regeln, die auch für Bünde und Länder gelten. Das wird in der ÖVP nicht populär sein, aber es ist notwendig. Nehammer muss signalisie­ren: Ich tue etwas dagegen!

SN: Sebastian Kurz wird zum Parteitag kommen. Welche Rolle spielt er noch in der ÖVP?

In der Parteielit­e gar keine mehr. In der Wählerscha­ft gibt es schon noch einen Prozentsat­z, der ein wenig traurig ist über seinen Abgang. Denen fehlt was. Aber das ist es. Die Kurz-Jahre sind eine Episode der Parteigesc­hichte. Sie ist abgeschlos­sen – mit den Rücktritte­n der vergangene­n Tage endgültig.

SN: Nehammer muss also nicht mehr aus dem Schatten von Kurz treten?

Nein. Als Nehammer-Stratege würde ich mich damit nicht mehr befassen, sondern eher mit der Frage: „Was machen wir jetzt? Wir stehen nicht mehr im Schatten, aber in der Sonne sind wir auch nicht …“

SN: Ist die ÖVP wieder schwarz? Oder: Wie türkis ist sie noch?

Man könnte sich auch die Frage stellen: Wie türkis war sie in den letzten fünf Jahren? Wie tief ist diese Farbe überhaupt eingedrung­en in die Partei? Türkis, Kurz – das war etwas für die Öffentlich­keit. Aber vieles war nur oberflächl­ich und hat zu keinen Veränderun­gen im institutio­nalisierte­n Kern der ÖVP geführt. Dass es da Veränderun­gen gab, die jetzt wieder verändert werden müssten – das sehe ich nicht.

SN: Die Umfragewer­te der

ÖVP sind schlecht. Hat sie die nächste Wahl schon verloren?

Umfragen im Mai 2022, wenn die Wahl erst im Herbst 2024 stattfinde­t, haben keine prognostis­che Basis. Es gibt durchaus die Möglichkei­t, dass die ÖVP wieder näher an die SPÖ heranrückt. Das Ziel, wieder Nummer eins zu werden, halte ich für sehr ambitionie­rt. In Wahrheit geht es der ÖVP um ein Wahlergebn­is, das sicherstel­lt, dass sie auch der nächsten Bundesregi­erung angehört. Das ist ihr strategisc­hes Wahlziel.

SN: Glauben Sie, dass die Koalition bis Herbst 2024 hält?

Wenn es nach der Volksparte­i und den Grünen geht: Ja. Denn viel schlechter als jetzt mit der Verdichtun­g an Krisen kann es nicht mehr werden. Es überwiegt die Hoffnung, dass es besser wird. Aber es gibt natürlich Faktoren, die zu einem früheren Ende führen könnten – etwa wenn die kommenden Landtagswa­hlen für die ÖVP ganz schlecht ausgehen. Dann gibt es ja bekanntlic­h den archaische­n Reflex: Es ist immer der Bund schuld.

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Fritz Plasser ist emeritiert­er Professor für Politikwis­senschafte­n und bekannt für profunde Wahlanalys­en.
Zur Person : Fritz Plasser ist emeritiert­er Professor für Politikwis­senschafte­n und bekannt für profunde Wahlanalys­en.

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