Abtreibungsfrage spaltet USA
Im Ukraine-Krieg sind die USA die Speerspitze der liberalen Welt. In der US-Politik selbst aber knirscht es, wie die heftig geführte Debatte um ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen zeigt.
Der US-Präsident setzte diese Woche ein Gesetz in Kraft, das Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg weckt. Die Vorlage, die offiziell den sperrigen Namen „Ukraine Democracy Defense Lend-Lease Act“trägt, ermöglicht es Joe Biden, den Verbündeten in Osteuropa Waffen auszuleihen. Auf einen ähnlichen Budget-Trick hatte vor 80 Jahren bereits der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt zurückgegriffen, als er seinem Freund, dem britischen Premierminister Winston Churchill, in Europa zu Hilfe eilen musste – dieser aber kein Geld für Waffen hatte.
Diese offensichtliche historische Parallele anzusprechen, das vermied Biden bei einer Zeremonie, in der er das Gesetz unterschrieb. Vielleicht hat diese rhetorische Abrüstung auch damit zu tun, dass der Ukraine-Krieg in Washington etwas in den Hintergrund gerückt ist.
Stattdessen dominiert ein Thema die Schlagzeilen, das schlecht zum Bild passt, das Amerika gerne von sich malt: die mögliche Abschaffung des Abtreibungsrechts auf nationaler Ebene durch den Obersten Gerichtshof. Seitdem ein entsprechender Urteilsentwurf durchgesickert ist, der angeblich von der konservativen Mehrheit im Supreme Court unterstützt wird, demonstrieren in Washington fast jeden Tag empörte Aktivistinnen und Aktivisten – auch vor den Wohnhäusern der höchsten Richter.
Amerikanische Waffen fungieren im Ukraine-Krieg als Speerspitze des Westens und das Land bezeichnet sich als „Arsenal der Demokratie“. Zu Hause hingegen stehen fundamentale Rechte der Bürgerinnen und Bürger unter Druck. Wie passt das zusammen?
Die einfachste Erklärung: Für diese Entwicklung verantwortlich ist Donald Trump. Der Republikaner bewies, zuerst im Wahlkampf 2016 und dann während seiner vier Jahre im Weißen Haus, dass ein moderner amerikanischer Politiker nicht mehr Rücksicht auf abweichende Meinungen nehmen muss. Wichtig ist vielmehr, dass er oder sie das eigene Lager zufriedenstellt und sich von der Kritik der Kontrahenten nicht beirren lässt.
In der Abtreibungsfrage hieß dies für Trump: Auch wenn eine klare Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung seit Jahren das Abtreibungsrecht auf nationaler Ebene unterstützt, tat der frühere Präsident alles, was in seiner Macht stand, um dieses grundlegende Frauenrecht auszuhöhlen.
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fast ausnahmslos Juristinnen und Juristen, die das Grundsatzurteil über die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs von 1973, das als Roe v. Wade bekannt ist, offen kritisierten. Und er mobilisierte das religiöse Fußvolk seiner politischen Bewegung. Im Gegenzug nahm Trump als erster amtierender Präsident am „Marsch fürs Leben“teil, an dem jedes Jahr Tausende von Abtreibungsgegnern in Washington gegen Schwangerschaftsabbrüche demonstrieren.
Dieser Protestzug zeigt allerdings auch, dass die Erklärung, Trump sei für die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft allein verantwortlich, zu kurz greift.
Vergessen wird dabei, wie beharrlich Abtreibungsgegner seit Jahrzehnten an ihrem Ziel festhalten, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche von aktuell jährlich rund 630.000 auf null zu reduzieren. Richtig gelesen: null. Kompromisse sind in dieser Frage nicht möglich, wie die Abtreibungsgegner sagen.
Diese Beharrlichkeit der Allianz aus religiösen Aktivistinnen und Aktivisten, konservativen Juristinnen und rechten Politikern wirkte sich auch auf das Parteiensystem aus. Die Frage, wann Leben beginnt, wurde zum wichtigsten Prüfstein erklärt.
Bei den Republikanern übernahm das Lager der Abtreibungsgegner die Führung, Politikerinnen und Politiker, die „Pro Choice“– also für ein liberales Abtreibungsrecht – sind, findet man kaum noch in der Partei. Auch bei den Demokraten gibt es nur eine Richtung. Sie sind gegen eine Verschärfung des
Abtreibungsrechts – andere Meinungen sind aus Joe Bidens Partei nicht mehr zu vernehmen.
Ein Ende der Spaltung der beiden Lager beim Abtreibungsthema ist nicht abzusehen. Immer häufiger machen Republikaner eine Politik, die sich an den Wünschen ihrer Stammwählerinnen und -wähler orientiert – an Ultrakonservativen und Evangelikalen.
Und auch bei den Demokraten ist jeglicher Widerspruch unerwünscht. Gerade ein halbes Jahr vor den wichtigen Zwischenwahlen, den Midterms, wollen die Demokraten das Abtreibungsrecht zum Wahlkampfthema machen. Ihr Versprechen: Wenn ihr uns wählt, werden Abtreibungen weiter legal sein.
Die Spaltung zwischen links und rechts, Demokraten und Republikanern, Abtreibungsbefürwortern und -gegnern – sie wird sich nicht so leicht auflösen. Darunter leidet der Zusammenhalt eines Landes, das die Bezeichnung „vereinigt“in seinem Namen trägt. Bisher ist es Präsident Biden nicht gelungen, ein Rezept gegen diese Entwicklung zu finden.