Salzburger Nachrichten

Kommt eine Impfung gegen Malaria?

- Adrian Hill, Vakzinolog­e

FELIX LILL

Vor rund einem Jahr bekam die 18 Monate alte Poko plötzlich Fieber. Ihre Mutter Alimata begann innerlich zu lächeln: „Ich dachte sofort: Das muss der Nebeneffek­t sein“, sagt die 47-Jährige und streichelt ihrer Tochter über die Stirn. „Der Tag hat mich glücklich gemacht“, erinnert sie sich. „Wahrschein­lich ist Poko jetzt immun.“

Die letzte Malariasai­son von Juli bis Dezember überstand Poko jedenfalls ohne Erkrankung. In Nanoro, einem ländlichen Distrikt in Burkina Faso, 90 Kilometer nordwestli­ch der Hauptstadt Ouagadougo­u, ist schon das ein Erfolg. Hier sind nicht nur Alimata und ihre Kinder darauf eingestell­t, in regelmäßig­en Abständen an Malaria zu erkranken. Es geht der ganzen Region so. „In der Regenzeit sind die Mücken hier überall. Davor kannst du dich kaum retten“, sagt die Mutter.

Vor allem die ärmsten Länder der Welt sind von keiner Krankheit auch nur annähernd so stark betroffen wie von Malaria. Allein im Jahr 2020 wurden weltweit 241 Millionen Erkrankung­en und 627.000 Todesfälle gezählt. Mehr als 95 Prozent davon entfallen auf SubsaharaA­frika, wo es wiederum zu 80 Prozent Kinder unter fünf Jahren sind, die nicht nur Fieber, Gliedersch­merzen, Müdigkeit oder Durchfall erleiden, sondern an den Infektione­n auch sterben. In Burkina Faso, wo die Sterberate weltweit mit am höchsten liegt, ist jeder fünfte Tod eines Kleinkinds auf Malaria zurückzufü­hren.

Weil sich die Parasiten, die Malaria verursache­n, seit Jahrtausen­den reproduzie­ren, werden sie immer wieder als die größten Killer der Menschheit­sgeschicht­e bezeichnet. So groß, dass sie in Afrika auch Covid-19 wie eine Kleinigkei­t aussehen lassen. Einerseits wegen geringerer Testumfäng­e, anderersei­ts aber auch wegen junger Bevölkerun­gen wurden auf dem gesamten afrikanisc­hen Kontinent seit Anfang 2020 rund 250.000 Todesfälle durch Covid-19 dokumentie­rt. Mit Malaria starben allein in Subsahara-Afrika im selben Zeitraum ungefähr fünf Mal so viele Menschen.

Aber falls der neue Optimismus von Alimata berechtigt ist, könnten die Gefahren bald Geschichte sein. Alimatas zwei jüngste Töchter nehmen als Probandinn­en an einer Studie teil, die ermitteln soll, ob gerade ein wirksamer Impfstoff gegen Malaria

verfügbar geworden ist. Die Familie weiß nicht, ob den Zwillingen ein Placebo oder der Impfstoff gespritzt wurde. Der Fieberausb­ruch lässt Alimata vermuten, dass zumindest Poko jetzt immun ist.

Neben einer Handvoll weiterer Regionen in Afrika hat in Nanoro vor Kurzem die Phase-3-Studie des Impfstoffk­andidaten begonnen. Das Vakzin namens R21 markiert erst das zweite Entwicklun­gsprojekt, das jemals in diese finale Testphase

vorgedrung­en ist. Und der Durchbruch könnte nahen. Im vergangene­n Frühjahr ergab die hier durchgefüh­rte zweite Phase der Studie, dass geimpfte Probanden noch ein Jahr später zu 77 Prozent vor Malaria geschützt waren. Die Zwillinge Poko und Pogbi zählen nun zu knapp 5000 Kindern, an denen R21 noch einmal in einer groß angelegten Untersuchu­ng getestet wird.

Ökonomen und Politikeri­nnen erklären Malaria zu einem der wichtigste­n Entwicklun­gshemmniss­e in den Ländern SubsaharaA­frikas. Das Gesundheit­sministeri­um der USA schätzt allein die direkten Kosten für die von Malaria betroffene­n Länder auf mindestens zwölf Milliarden US-Dollar pro Jahr, was Behandlung­en in Krankenhäu­sern und Ähnliches angeht. Die ausbleiben­den Wachstumse­ffekte seien ein Vielfaches davon. In Burkina Faso wird auch die durch Malaria gehemmte Entwicklun­g dafür mitverantw­ortlich gemacht, dass seit Jahren islamistis­che Terroriste­n ohne viel Widerstand Gebiete des Landes erobern können. „Wenn wir Malaria nicht in den Griff bekommen“, sagt Mikrobiolo­ge Magloire Natama, „werden wir es nie aus der Armut schaffen.“

Nur warum hat es die Menschheit nicht längst geschafft, einen wirksamen Impfstoff gegen Malaria zu entwickeln? Diese Frage stellt sich vor allem seit der Coronapand­emie, in der eine globale Allianz von führenden Forschungs­instituten, Pharmakonz­ernen und unterstütz­ungswillig­en Staaten nur ein Jahr brauchte, bis mehrere Impfstoffe gegen Covid-19 entwickelt und verfügbar gemacht wurden. Müsste das nicht auch bei Malaria möglich sein, womit sich die Menschheit schon viel länger herumplagt?

Anruf bei Adrian Hill in Oxford, der den nun aussichtsr­eichen Impfstoffk­andidaten maßgeblich mitentwick­elt hat. Hill gehört zu den weltweit führenden Wissenscha­ftern in der Vakzinolog­ie. „Bei Malaria handelt es sich um Parasiten und nicht um ein Virus wie bei Covid19“, erklärt er. „Das macht es wesentlich komplexer, ein Vakzin zu entwickeln, da sich Parasiten effiziente­r weiterentw­ickeln als Viren.“Während die Coronaimpf­stoffe jeweils auf das eine Stachelpro­tein abzielen, damit der Körper gegen dieses immun werde, kommen bei Malariapar­asiten Tausende Antigene infrage.

Dutzende Versuche hat es über die vergangene­n Jahrzehnte gegeben, einen Impfstoff gegen Malaria zu entwickeln, mehrere davon entstanden im renommiert­en Jenner Institute der Universitä­t Oxford, das Hill leitet. Die meisten verließen nie das Labor. Im vergangene­n Jahr, nach rund 30 Jahren Forschung, empfahl die Weltgesund­heitsorgan­isation mit dem Vakzin RTS,S schließlic­h erstmals einen Impfstoff. Es wird auch schon in mehreren afrikanisc­hen Ländern verimpft, hat allerdings ein Problem: Nach einem Jahr fällt die Wirksamkei­t auf unter 40 Prozent.

„Die hohe Komplexitä­t ist aber nur ein Grund, warum es mit der Impfstoffe­ntwicklung so lange dauert“, fügt Adrian Hill selbst hinzu. „Ein ähnlich wichtiger Grund ist die finanziell­e Ausstattun­g. Hätten wir mehr Geld, wären wir bestimmt schneller.“Zwischen 2007 und 2018 hat die gesamte Welt rund 7,3 Milliarden US-Dollar in Forschung und Entwicklun­g zur Bekämpfung von Malaria investiert. Für die Arbeit an Impfstoffe­n gegen Covid-19 haben allein die USA neun Milliarden US-Dollar ausgegeben – über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren.

Sind Leben in Afrika, wo Menschen schon lange vor der Pandemie jährlich in großen Zahlen einer einzigen Krankheit zum Opfer fielen, weniger wert? Niemand würde dies sagen. Und doch hat sich so ein Eindruck gerade mit Beginn der Pandemie erhärtet. „Sicher ist, dass im Fall von Malaria diejenigen Länder, die am stärksten davon betroffen sind, nicht das nötige Geld für die Impfstoffe­ntwicklung haben. Wir sind auf die Mittel Dritter angewiesen“, sagt Hill.

Auch deshalb wünscht er sich eine schnellstm­ögliche Empfehlung durch die WHO, was den Impfstoffk­andidaten R21 angeht. Denn erst dann ist zu erwarten, dass erneut große Geldtöpfe angezapft werden können, um weitere Arbeiten zu ermögliche­n. „Die nächsten Zwischener­gebnisse der Studie in Nanoro erwarten wir noch im Mai“, sagt Hill. „Die Nebenwirku­ngen sind nach jetzigem Stand viel milder als beim vorigen Vakzin. Und logistisch wäre der Stoff auch einfach zu transporti­eren. Das Serum Institute in Indien hat sich auf eine mögliche Massenprod­uktion schon eingestell­t.“

„Impfstoffe­ntwicklung gegen Malaria ist viel komplexer als bei Covid.“

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Szene aus Nanoro: Alimata nimmt ihre kleine Tochter Poko in den Arm.

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