Teures Material, höhere Zinsen: Der Wohnbau gerät aus dem Lot
Stark steigende Kosten, strengere Kreditregeln und die bevorstehende Zinserhöhung bringen Bauträger und Häuslbauer in Bedrängnis.
Der Wohnbauboom der vergangenen Jahre in Österreich dürfte spätestens nächstes Jahr vorbei sein. Vor allem die gemeinnützigen Bauvereinigungen (GBV) spüren die Folgen der dramatisch gestiegenen Kosten für den Wohnhaus- und Siedlungsbau. Die Baukosten stiegen von Dezember 2020 bis April 2022 um knapp 23 Prozent, Material verteuerte sich um 42,5 Prozent. Wegen dieser Preissteigerungen müssten die in den Wohnbau-Förderbestimmungen der Länder vorgesehenen höchstzulässigen Baukostensätze für neue Projekte erhöht werden, fordert die Branche. In Oberösterreich und Salzburg ist das geschehen. Gegensteuern sollte die öffentliche Hand auch durch ein „Verteuerungsverbot“im Wohnbau, indem bei ÖNORMEN und Gesetzesvorlagen die Folgekosten geprüft werden müssen, fordert Christian Struber, Chef der Salzburg Wohnbau und Obmann der ARGE Eigenheim, der Plattform ÖVP-naher Gemeinnütziger im GBV, am Montag.
Voriges Jahr wurden in Österreich erneut überdurchschnittlich viele geförderte Wohnungen errichtet. Die Zahl von 16.500 neuen Einheiten lag über dem zehnjährigen Durchschnitt, aber unter dem Spitzenjahr 2020, dem zweitbesten seit 1945. Aktuell befinden sich 31.000 Wohnungen in Bau. Vor einem Jahr waren es 33.000 Wohnungen, vor zwei Jahren 36.000. Der Höhepunkt ist auch hier überschritten.
Bremsend für den Wohnbau wird sich voraussichtlich auch die Verschärfung der Vergabekriterien für Immobilienkredite auswirken und die von der EZB angekündigte Erhöhung der Leitzinsen. Ab Mitte des Jahres werden bisher nur empfohlene Kriterien bei der Neuvergabe rechtsverbindlich. Unter anderem müssen 20 Prozent des Kaufpreises einer Immobilie in Form von Eigenkapital nachgewiesen werden und darf die monatliche Kreditrate 40 Prozent des monatlichen Nettohaushaltseinkommens nicht übersteigen.
WIEN. Im Vorjahr wurden in Österreich ähnlich wie im Jahr davor rund 56.000 neue Wohnungen fertiggestellt. Knapp ein Drittel davon entfällt auf den öffentlich geförderten Wohnbau. Die Zahlen belegen den Bauboom der vergangenen Jahre, nicht zuletzt befördert vom niedrigen Zinsumfeld.
Die dramatischen Preiserhöhungen bei Energie- und Materialkosten gepaart mit Lieferschwierigkeiten infolge von Coronapandemie und UkraineKrieg sorgen nun vor allem im sozialen Wohnbau für Probleme.
Binnen 16 Monaten seien die Baukosten um 23 Prozent gestiegen, rechnete Herwig Pernsteiner, Vizeobmann des Verbandes gemeinnütziger Bauvereinigungen (GBV) und Vorstand der ISG Ried, am Montag vor. Bei den Materialkosten betrug der Anstieg sogar 42,5 Prozent. Viele Baufirmen seien nicht mehr bereit, Preise zu garantieren. Ohne Fixpreise könnten aber Projekte nicht gestartet werden. Noch dazu sei rechtlich unklar, ob kriegsbedingte Lieferprobleme als höhere Gewalt gelten und Baufirmen die Kosten abwälzen können. Daher gebe es kaum mehr Ausschreibungen.
Bundesländer wie Oberösterreich und Salzburg haben reagiert und die Richtsätze für die Baukosten im sozialen Wohnbau um rund 15 Prozent angehoben. In Wien seien die Gespräche weit gediehen, sagt Michael Pech, GBV-Aufsichtsratschef und Vorstand der ÖSW AG Wien. Er rechnet heuer noch mit ähnlich vielen Fertigstellungen wie im Vorjahr, für die nächsten Jahre sei eine Prognose aber schwierig.
Christian Struber, Geschäftsführer der Salzburg Wohnbau, sieht die Schuld für die steigenden Baukosten auch bei immer neuen Bauvorschriften und ÖNORMEN. Um diese Spirale zu stoppen, sollten in Gesetzesvorlagen künftig immer die Folgekosten für die Bürger geprüft werden, fordert er in seiner Funktion als Bundesobmann der ARGE Eigenheim, eines Zusammenschlusses von rund 100 gemeinnützigen Bauvereinigungen.
Er baue schon darauf, „dass sich die Lage in der Bauwirtschaft wieder normalisiert“, sagt Struber. Nach den enormen Investitionen von Gemeinnützigen und Gemeinden, auf die in Salzburg etwa 70 Prozent der Hochbauaufträge entfielen, erwartet er, dass der Druck zurückgeht. „Die Baufirmen haben für nächstes Jahr keine vollen Auftragsbücher“, sagt auch Pech.
Peter Dertnig, Salzburger Landesinnungsmeister für den Bau und Chef der Wagrain Bau, die die Hälfte des Umsatzes im Wohnbau macht, sieht das anders: „Die Bauwirtschaft normalisiert sich, wenn die Energiepreise normal werden.“Für 2023 seien sehr viele Aufträge da. Danach sei genug zu tun bei Sanierungen oder um öffentliche Gebäude behindertengerecht zu machen, wie das seit Jahren im Gesetz steht.
Ändern könnte sich nach Ansicht Dertnigs „eventuell etwas im klassischen Hausbau“. Ab 1. Juli wird es schwieriger, Kredite für Wohnimmobilien zu bekommen. Ab dann werden bisher nur empfohlene Kriterien bei der Vergabe rechtsverbindlich. Konkret müssen für den Kauf einer Immobilie 20 Prozent des Kaufpreises (inklusive Nebenkosten) in Form von Eigenkapital nachgewiesen werden, die monatliche Kreditrate darf höchstens 40 Prozent des monatlichen Nettohaushaltseinkommens ausmachen und die Laufzeit der Finanzierung 35 Jahre nicht übersteigen. Gemeinnützige werden davon eher profitieren, meint Pernsteiner.
„Wir müssen die Teuerung stoppen.“
Christian Struber, Salzburg Wohnbau