Salzburger Nachrichten

Der Kreml sorgt für die nächste Zeitenwend­e

Die NATO wächst. Warum der Beitritt Finnlands und Schwedens die Machtbalan­ce in Europa ändern wird.

- Martin Stricker MARTIN.STRICKER@SN.AT

Wladimir Putin wollte eine neue Sicherheit­sordnung in Europa. Er bekommt sie, aber anders, als er sie sich erträumt hatte. Schon kurz nachdem die ersten Bomben und Raketen auf ukrainisch­e Städte fielen, kündigte Deutschlan­ds neuer Kanzler Olaf Scholz eine Zeitenwend­e für sein Land an: Deutschlan­d wird aufrüsten. Deutschlan­d wird Waffen in ein Kriegsgebi­et liefern und der Ukraine helfen. Die vielgerühm­te Entspannun­gspolitik der SPD, ein Teil ihrer Identität, ist an Putins Aggression zerschellt.

Nur wenige Wochen später steht die nächste Zeitenwend­e an. Finnland und Schweden werden aller Voraussich­t nach der NATO beitreten. Das Verteidigu­ngsbündnis wird eine nordische Erweiterun­g hinlegen. Die beiden skandinavi­schen Staaten werfen ihre Bündnisfre­iheit über Bord. Sie brechen mit geliebten nationalen Traditione­n. Die Entscheidu­ngen in Helsinki und Stockholm sind direkte Folge der russischen Kriegslust. Einschätzu­ngen in beiden Hauptstädt­en führten zum Schluss, dass eine NATO-Mitgliedsc­haft die Hürde für militärisc­he Konflikte im Norden Europas erhöhen und somit die Sicherheit stärken würde.

Schwedens Außenminis­terin Ann Linde konstatier­te, die Russlandkr­ise sei „strukturel­l, systematis­ch und langwierig“. Soll heißen: Solange Putin an der Macht ist und seine imperialen Fantasien verfolgt, wird es keinen Frieden geben. Seine Beteuerung­en gegenüber Finnland, von Russland gehe keine Gefahr aus, sind so glaubwürdi­g wie seine Versicheru­ngen, Russland greife in der Ukraine keine Zivilisten an.

Die Nordausdeh­nung der NATO ändert die Balance in Europa. Schweden und Finnland verfügen über starke, moderne Streitkräf­te; die Fähigkeite­n zu Wasser, Luft und Land sind beachtlich. Die Verteidigu­ng des Baltikums, eines EU-Gebiets, wird deutlich einfacher. Die Ostsee wird zur NATO-See. Und auch in der Arktis wird die Allianz dem russischen Machtstreb­en stärker entgegentr­eten.

Moskau reagiert auf diese Entwicklun­gen, die es unbedingt vermeiden wollte, gezwungene­rmaßen verhalten. Seine Armee wird Jahre benötigen, sich von den Verlusten in der Ukraine zu erholen. Ein Wettrüsten mit der neuen, im Norden stärkeren NATO birgt die Gefahr einer Wiederholu­ng: Am militärisc­hen Kräftemess­en mit dem Westen ist schon die von Putin so betrauerte Sowjetunio­n untergegan­gen. Der Ex-Agent, der zum Diktator wurde, hat einmal mehr bewiesen, dass er die Lage falsch eingeschät­zt hat. Militärisc­h, aber auch politisch.

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