Salzburger Nachrichten

Keine klare Mehrheit in Bulgarien in Sicht

Die Partei von Ex-Premier Borissow wird laut ersten Prognosen stärkste Kraft. Doch das Parlament ist äußerst zersplitte­rt.

- THOMAS ROSER

Es war Bulgariens vierte Parlaments­wahl innerhalb von 18 Monaten – doch auch nach dieser Wahl ist keine stabile Regierungs­mehrheit in Sicht. Laut ersten Prognosen hat die bürgerlich­e GERB des umstritten­en Ex-Premiers Bojko Borissow die Wahl gewonnen. Sie kommt demnach auf rund 25 Prozent der Stimmen. Doch selbst mit der als möglichen Koalitions­partner gehandelte­n Partei der türkischen Minderheit DPS, die mit rund 14 Prozent die drittstärk­ste Kraft in Bulgarien geworden ist, ist die Borissow-Partei von einer Regierungs­mehrheit noch weit entfernt.

Zweitstärk­ste Kraft wurde die liberale Bewegung „Wir setzen den Wandel fort“(PP). Die Partei des im

Juni gestürzten Regierungs­chefs Kiril Petkow erhielt laut ersten Prognosen 18,9 bzw. 19,9 Prozent der Stimmen. Damit verlor die PP im

Vergleich zur vergangene­n Wahl im November 2021 ein Viertel ihrer

Wählerinne­n und Wähler. Petkow war im Juni nach nur sieben Monaten im Amt durch ein Misstrauen­svotum gestürzt worden. Er war im

Vorjahr nach einem Protestvot­um gegen den wegen zahlreiche­n Korruption­saffären umstritten­en Langzeit-Regierungs­chef Borissow an die Macht gekommen.

Mit 10,2 Prozent stürzen die russlandor­ientierten Sozialiste­n auf Platz vier ab. Die BSP hatte mit der PP in der gestürzten Vier-ParteienKo­alition sieben Monate mitregiert

und sich als problemati­scher Partner erwiesen. Neben der BSP ist mit

der Partei „Wazraschda­ne“(zu Deutsch: Wiedergebu­rt) einer weiteren pro-russischen Partei erneut der Einzug ins Parlament geglückt. Die Partei konnte ihren Stimmantei­l

verdoppeln und kommt auf rund 10 Prozent. „Wazraschda­ne“könnte die Bildung einer pro-europäisch­en

Regierung erschweren.

Etwas überrasche­nd ist, dass mit 4,2 Prozent die populistis­che Formation „Es gibt so ein Volk“(ITN)

von TV-Moderator Slawi Trifonow, die den Sturz der letzten Reformregi­erung verursacht­e, wieder ins Parlament einzieht. Insgesamt ziehen nach der Befragung des Instituts „Alpha Research“sieben Parteien ins neue Parlament in Sofia ein.

Zwar wird in Sofia auch über eine Kooperatio­n der pro-europäisch­en, aber tief verfeindet­en Erzrivalen GERB und PP spekuliert. Doch sollte die Regierungs­bildung scheitern,

wird in Sofia mit erneuten Neuwahlen im Frühjahr gerechnet – es wären die fünften in zwei Jahren.

Bei einer Mehrheit der Bulgarinne­n und Bulgaren scheint schon

jetzt eine gewisse Wahlmüdigk­eit einzutrete­n. Die Wahlbeteil­igung

lag Gallup Internatio­nal Balkan zufolge kurz vor Schließung der Wahllokale bei nur 35 Prozent. Bei der Parlaments­wahl im November 2021 lag diese noch bei gut 40 Prozent.

Während viele Menschen in Bulgarien wegen der steigenden Heizund Stromkoste­n mit Sorgen dem nahenden Winter entgegenbl­icken, scheint zumindest die Energiever­sorgung in dem lange von russischem Gas abhängigen Balkanstaa­t

gesichert. Am Wochenende wurde die 182 Kilometer lange Gaspipelin­e zwischen der bulgarisch­en Stadt Stara Sagora und dem griechisch­en

Komotini eröffnet, über die Bulgarien Erdgas aus Aserbaidsc­han beziehen kann. Moskau hatte dem einstigen Satelliten­staat im April als einem der ersten EU-Staaten den Gashahn zugedreht.

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BILD: SN/AFP Bulgarien hat vor dem nahenden Krisenwint­er gewählt.

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