Keine klare Mehrheit in Bulgarien in Sicht
Die Partei von Ex-Premier Borissow wird laut ersten Prognosen stärkste Kraft. Doch das Parlament ist äußerst zersplittert.
Es war Bulgariens vierte Parlamentswahl innerhalb von 18 Monaten – doch auch nach dieser Wahl ist keine stabile Regierungsmehrheit in Sicht. Laut ersten Prognosen hat die bürgerliche GERB des umstrittenen Ex-Premiers Bojko Borissow die Wahl gewonnen. Sie kommt demnach auf rund 25 Prozent der Stimmen. Doch selbst mit der als möglichen Koalitionspartner gehandelten Partei der türkischen Minderheit DPS, die mit rund 14 Prozent die drittstärkste Kraft in Bulgarien geworden ist, ist die Borissow-Partei von einer Regierungsmehrheit noch weit entfernt.
Zweitstärkste Kraft wurde die liberale Bewegung „Wir setzen den Wandel fort“(PP). Die Partei des im
Juni gestürzten Regierungschefs Kiril Petkow erhielt laut ersten Prognosen 18,9 bzw. 19,9 Prozent der Stimmen. Damit verlor die PP im
Vergleich zur vergangenen Wahl im November 2021 ein Viertel ihrer
Wählerinnen und Wähler. Petkow war im Juni nach nur sieben Monaten im Amt durch ein Misstrauensvotum gestürzt worden. Er war im
Vorjahr nach einem Protestvotum gegen den wegen zahlreichen Korruptionsaffären umstrittenen Langzeit-Regierungschef Borissow an die Macht gekommen.
Mit 10,2 Prozent stürzen die russlandorientierten Sozialisten auf Platz vier ab. Die BSP hatte mit der PP in der gestürzten Vier-ParteienKoalition sieben Monate mitregiert
und sich als problematischer Partner erwiesen. Neben der BSP ist mit
der Partei „Wazraschdane“(zu Deutsch: Wiedergeburt) einer weiteren pro-russischen Partei erneut der Einzug ins Parlament geglückt. Die Partei konnte ihren Stimmanteil
verdoppeln und kommt auf rund 10 Prozent. „Wazraschdane“könnte die Bildung einer pro-europäischen
Regierung erschweren.
Etwas überraschend ist, dass mit 4,2 Prozent die populistische Formation „Es gibt so ein Volk“(ITN)
von TV-Moderator Slawi Trifonow, die den Sturz der letzten Reformregierung verursachte, wieder ins Parlament einzieht. Insgesamt ziehen nach der Befragung des Instituts „Alpha Research“sieben Parteien ins neue Parlament in Sofia ein.
Zwar wird in Sofia auch über eine Kooperation der pro-europäischen, aber tief verfeindeten Erzrivalen GERB und PP spekuliert. Doch sollte die Regierungsbildung scheitern,
wird in Sofia mit erneuten Neuwahlen im Frühjahr gerechnet – es wären die fünften in zwei Jahren.
Bei einer Mehrheit der Bulgarinnen und Bulgaren scheint schon
jetzt eine gewisse Wahlmüdigkeit einzutreten. Die Wahlbeteiligung
lag Gallup International Balkan zufolge kurz vor Schließung der Wahllokale bei nur 35 Prozent. Bei der Parlamentswahl im November 2021 lag diese noch bei gut 40 Prozent.
Während viele Menschen in Bulgarien wegen der steigenden Heizund Stromkosten mit Sorgen dem nahenden Winter entgegenblicken, scheint zumindest die Energieversorgung in dem lange von russischem Gas abhängigen Balkanstaat
gesichert. Am Wochenende wurde die 182 Kilometer lange Gaspipeline zwischen der bulgarischen Stadt Stara Sagora und dem griechischen
Komotini eröffnet, über die Bulgarien Erdgas aus Aserbaidschan beziehen kann. Moskau hatte dem einstigen Satellitenstaat im April als einem der ersten EU-Staaten den Gashahn zugedreht.