Salzburger Nachrichten

Die Nobelpreis­e fachen die Leuchtfeue­r an

Braucht es in Zeiten von Krieg, Inflation und Pandemie Preise für herausrage­nde Forschung? Ja. Sogar mehr denn je.

- LEITARTIKE­L Ralf Hillebrand RALF.HILLEBRAND@SN.AT

Die Auszeichnu­ng kam überrasche­nd. Aber es wäre auch erstaunlic­h gewesen, hätte das Nobelkomit­ee ausnahmswe­ise nicht überrascht: Der diesjährig­e

Medizinnob­elpreis würdigte nicht wie spekuliert Forschung zu Brustkrebs. Und nicht die Entwickler der mRNA-Impfstoffe wie seit mehr als zwei Jahren vermutet. Stattdesse­n wurden Svante Pääbo und seine Entdeckung­en zu den Vorfahren des modernen Menschen prämiert. Dem schwedisch­en Evolutions­forscher war es gelungen, das Genom des Neandertal­ers zu sequenzier­en. Und er war der erste Wissenscha­fter, der die DNA einer Mumie klonen konnte.

Neandertal­er? Mumien? Pääbos Forschung kann wie ein Projekt aus dem Elfenbeint­urm für den Elfenbeint­urm wirken. Und somit jene Stimmen befeuern, die den Rummel um die Nobelpreis­e für überhöht

halten. Gibt es in Zeiten von Krieg und Pandemie nicht wichtigere Themen als Evolutions­forschung?

Pääbos Erkenntnis­se reichen viel weiter, als es auf den ersten Blick ersichtlic­h ist. Seinen Entdeckung­en ist es etwa zu verdanken, dass wir besser verstehen,

wie unser Immunsyste­m auf Infektione­n reagiert. Und wann war es jemals wichtiger, sich mit dem menschlich­en Immunsyste­m auseinande­rzusetzen, als in den vergangene­n zweieinhal­b Jahren?

Doch selbst wenn es diesen aktuellen Bezug nicht gegeben hätte, haben die Nobelpreis­e all jene Aufmerksam­keit

verdient, die sie bekommen. Nur sie –

und die Vakzinentw­icklung in einer Pandemie – vermögen es, Forschung in die Hauptnachr­ichten, auf die Titelseite­n und somit in unser aller Bewusstsei­n zu bringen. Und das ist wichtiger denn je. Denn die

Wissenscha­ft kämpft seit Ausbruch der Coronakris­e mit überborden­der Skepsis. So mancher hätte sich

klarere Antworten auf einige Fragen erhofft, etwa zu den empfehlens­werten Impfinterv­allen. Es prallen

Welten aufeinande­r: da die – verständli­cherweise – ungeduldig­e Bevölkerun­g, dort die Forschung, die eigentlich von Vorlaufzei­t und Falsifizie­rung lebt.

Doch selbst die größten Skeptiker dürften wohl einsehen, dass die Wissenscha­ft geholfen hat, besser durch die Pandemie zu kommen. Dafür muss man

nicht einmal die Impfung hochhalten. Allein die Coronatest­s haben den Pandemieve­rlauf beeinfluss­t.

Wird ferner nur ein Teil jener Projekte umgesetzt, an denen aktuell geforscht wird, wird die Wissenscha­ft künftig noch mehr bewegen. Ein Beispiel: Vor

Kurzem präsentier­ten US-Forscher einen – seriösen – Bluttest, mit dem Krebs erkannt werden könnte.

Die Wissenscha­ft ist ein Leuchtfeue­r. Eines, das es in dunklen Zeiten besonders braucht. Und die Nobelpreis­e lassen dieses Feuer etwas heller strahlen.

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