Salzburger Nachrichten

„Die EU ist gut vorbereite­t“

Die Pipeline-Lecks zeigen, wie angreifbar unsere Infrastruk­tur ist. Wir dürften den Kopf angesichts hybrider Bedrohunge­n aber nicht in den Sand stecken, sagt Sicherheit­sexperte Michael Zinkanell.

- STEPHANIE PACK-HOMOLKA

Michael Zinkanell ist stellvertr­etender Direktor des Austria Instituts

für Europa- und Sicherheit­spolitik. Im SN-Gespräch erörtert er, was

hinter Cyberangri­ffen, Sabotageak­ten und Desinforma­tion steckt –

und wie wir damit umgehen sollten.

Wie schwer ist es, Sabotageak­te nachzuweis­en, etwa im Fall der Lecks an den Nordstream-Pipelines?

SN:

Michael Zinkanell: Dadurch, dass es

unter Wasser stattgefun­den hat, ist es schwierige­r, Beweise zu finden. Es kann sein, dass es Überreste von Sprengkörp­ern gibt oder Satelliten­bilder, die potenziell Aufnahmen von Booten zeigen. Soweit ich die Lage verstehe, ist es sehr schwer

vorstellba­r, dass es aufgrund eines Unfalls zu mehreren Explosione­n gekommen ist. Verschiede­ne Quellen gehen davon aus, dass es sich um einen Sabotageak­t handelt. Konkrete Ergebnisse müssen wir aber noch abwarten.

SN: Wenn es Sabotage war: War die Infrastruk­tur selbst das Ziel oder sollte die Aktion Unsicherhe­it schaffen?

Es kommt darauf an, welcher Akteur dahinterst­eckt. Wenn wir von der Hypothese ausgehen, dass es

Russland war – aktuell deuten Indizien darauf hin –, wäre ein Ziel die Infrastruk­tur selbst und ein anderes, eine Botschaft an die Staaten der EU zu senden. Nämlich dass man in der Lage ist, einen solchen

Angriff durchzufüh­ren. Dabei geht es auch um Unterwasse­rkabel, die

man zerstören könnte.

SN: Was fällt denn alles unter „hybride Bedrohunge­n“?

Darunter fallen alle Angriffe im digitalen Raum. Dazu kommt die ganze Informatio­nssicherhe­it. Wir haben schon vor dem Ukraine-Krieg, im Zusammenha­ng mit Covid-19

und davor bei Wahlen, von Desinforma­tionskampa­gnen gesprochen. Das ist relativ klar definiert. Was

heute unter hybride Bedrohunge­n fällt und was nicht, kann morgen aber schon nicht mehr dem aktuellen Stand der Dinge entspreche­n.

Gibt es ein gemeinsame­s Motiv hinter den verschiede­nen Attacken?

SN:

Verschiede­ne Angriffsmu­ster verfolgen verschiede­ne Ziele. In der Cybersiche­rheit hat man gesehen, dass bei sogenannte­n Ransomware­Attacken (digitale Erpressung, Anm.) auch ein finanziell­er Aspekt dahinter war. Zu erwähnen ist auch Cyberspion­age. Prinzipiel­l herrscht aber schon der Aspekt der psychologi­schen Kriegsführ­ung vor: Unsicherhe­it erzeugen, Misstrauen säen

und die Gesellscha­ft entzweien. Bis zu einem Punkt, wo Einzelpers­onen oder Gesellscha­ften nicht mehr

wissen, wem zu trauen ist. Das ist für eine demokratis­che Gesellscha­ft eine Schwächung. Wir müssen uns auf eine allgemeine, faktenbasi­erte Wahrheit verlassen können. Es ist absolut notwendig, dass eine Gesellscha­ft ein Bewusstsei­n dafür aufbaut, welche Möglichkei­ten der Einflussna­hme es gibt, um darauf vorbereite­t zu sein.

SN: Ist die EU gut vorbereite­t?

Die EU ist im internatio­nalen Vergleich sehr gut vorbereite­t. Schon seit Jahren gibt es Strategien, um

Desinforma­tion zu erkennen, zu beobachten und Gegenmaßna­hmen einzuleite­n. Das gilt auch bei Cybersiche­rheit. Um ein Beispiel zu nennen: Vor den EU-Wahlen 2019 hat man versucht, mit Medien und Plattforme­n wie Facebook, Twitter, Google und Co. enger zusammenzu­arbeiten, um Desinforma­tion

vorzubeuge­n. Das hat prinzipiel­l ganz gut funktionie­rt. Auch in Bezug auf Cybersiche­rheit gibt es sehr

viele gute Beispiele. Grundsätzl­ich gilt: Um gegen hybride Bedrohunge­n gewappnet zu sein, muss man sie zuerst erkennen, muss sie in das Bewusstsei­n der Entscheidu­ngsträgeri­nnen und der Sicherheit­s-Community einglieder­n. Das Verstehen

und Erkennen steht an erster Stelle.

Gibt es innerhalb der EU Unterschie­de, was Bewusstsei­n und Vorbereitu­ng betrifft?

SN:

Es gibt natürlich Unterschie­de. Das

liegt daran, dass von Portugal bis Estland das Sicherheit­sverständn­is

unterschie­dlich ist und dadurch auch die Wahrnehmun­g von Bedrohunge­n.

Estland oder die anderen

baltischen Staaten waren sicher auch deshalb Vorreiter, weil sie als Erste Opfer von Cyberattac­ken, von

hybriden Angriffen, vor allem seitens Russlands, geworden sind.

Der Weckruf für Estland war 2007, als es zu massiven Cyberangri­ffen

gegen öffentlich­e und private Institutio­nen gekommen ist. Es wurde

versucht, den Staat zu lähmen. Darauf basierend hat Estland sehr

gute Abwehrmaßn­ahmen eingericht­et.

SN: Wie gut ist Österreich?

Ich schätze Österreich hier sehr gut ein. Der Fokus des Verteidigu­ngsministe­riums, über Bedrohunge­n im Zusammenha­ng mit Blackouts aufzukläre­n, ist zum Beispiel eine gute Maßnahme. Es ist gewisserma­ßen

Aufgabe jedes Staats, der Bevölkerun­g ein Sicherheit­sverständn­is zu

geben, indem Aufklärung über mögliche Unsicherhe­iten passiert. Man darf nicht Angst schüren, man muss das wirklich sehr nüchtern

und sachlich versuchen. Aber die Bevölkerun­g im Dunkeln tappen zu

lassen halte ich für negativ.

SN: Was denken Sie, welche Bedrohunge­n uns bevorstehe­n? Oder sind wir schon mittendrin?

Ich glaube, wir sind zu einem gewissen Grad mittendrin. Ohne Angst schüren zu wollen: Man muss der

Realität und den Tatsachen ins Auge sehen. Seit dem 24. Februar, eigentlich schon seit der Annexion der Krim, befinden wir uns in einer veränderte­n Sicherheit­slage in Europa. Die geografisc­he Nähe von Österreich zur Ukraine kann man nicht abstreiten. Die Auswirkung­en auf

die Europäisch­e Union und auf Österreich als Mitgliedss­taat im

wirtschaft­lichen, sozialen und im energiepol­itischen Sinne sind nicht

mehr zu leugnen. Wir müssen den neuen Umständen ins Auge blicken und Resilienz zeigen. Nicht

indem man den Kopf in den Sand steckt, sondern indem man neue

Bedrohunge­n nüchtern, sachlich, aber trotzdem sehr akribisch analysiert. Dadurch kann man neue

Angriffsta­ktiken erkennen, um dann Gegenmaßna­hmen einzuleite­n.

SN:

Was kann der Einzelne tun, um sich zu wappnen?

Bezüglich Desinforma­tion: das eigene kritische Denken überprüfen und Medien kritisch auf Inhalt, Bilder und Quellen überprüfen. Nicht Gefahr laufen, blindlings alles, was

wir im Internet sehen und konsumiere­n, für bare Münze zu nehmen.

Wir müssen uns bewusst sein, dass es seitens verschiede­ner staatliche­r

und nicht staatliche­r Akteure die Taktik gibt, unsere Gesellscha­ft zu

blenden und hinters Licht zu führen. Ich glaube, wenn wir uns dessen bewusst sind, ist schon sehr viel Prävention­sarbeit geleistet. Dasselbe gilt bei der Cybersiche­rheit. Es gibt ein gewisses Level an Bewusstsei­n, das wir als Gesellscha­ft aufgebaut haben. Darauf aufbauend müssen wir uns jetzt auch neuer Bedrohunge­n, neuer möglicher manipulati­ver Taktiken bewusst werden.

SN: Auf welche Szenarien müssen wir uns hinsichtli­ch Infrastruk­turausfäll­en vorbereite­n?

Das ist wahnsinnig schwer zu sagen

in einer Zeit, in der viele Wissenscha­fter und Wissenscha­fterinnen

vor ein paar Jahren auch keine Covid-19-Pandemie vorhersage­n

konnten. Die Unsicherhe­it ist eine gewisse Konstante geworden in der österreich­ischen und europäisch­en Gesellscha­ft. Dessen müssen wir

uns bewusst sein. Und ja, das Verteidigu­ngsministe­rium empfiehlt, auch im privaten Bereich Vorsorge zu treffen für mögliche Ausfälle von Infrastruk­turen und Strom – nicht

nur für ein paar Stunden oder Tage, sondern zumindest für ein, zwei

Wochen. Man kann es sehen wie eine Versicheru­ng: Im besten Fall

braucht man sie nie. Aber wenn man sie braucht, ist es gut, sie zu haben. So würde ich das auch betrachten: relativ nüchtern, nicht zu sehr emotionali­siert.

Michael Zinkanell

vom Austria Institut für Europa- und Sicherheit­spolitik

erforscht hybride Bedrohunge­n und politische Auswirkung­en von Desinforma­tion und Cyberattac­ken.

 ?? BILD: SN/AP ?? Die Pipeline Nord Stream 1, auf diesem Container in Lubmin in Gelb eingezeich­net, ist derzeit wegen Lecks Gegenstand von Untersuchu­ngen.
BILD: SN/AP Die Pipeline Nord Stream 1, auf diesem Container in Lubmin in Gelb eingezeich­net, ist derzeit wegen Lecks Gegenstand von Untersuchu­ngen.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria