Salzburger Nachrichten

Ein Experiment der Superlativ­e

Dmitri Tcherniako­v und Christian Thielemann starteten am Sonntag in einen neuen „Ring“an der Berliner Staatsoper.

- JÖRN FLORIAN FUCHS

BERLIN. Beim ersten Konzeption­sgespräch sind mit Sicherheit Tränen

geflossen. Und es muss eine Atmosphäre der Angst geherrscht haben.

Denn was Dmitri Tcherniako­v an der Berliner Staatsoper Unter den Linden an Bühnenbild­visionen entwickelt hat (er macht ja immer beides, Regie und Ausstattun­g), bringt

wohl selbst das Budget eines großen Opernhause­s an seine Grenzen

– und die technische­n Abteilunge­n sowieso. Schon beim „Rheingold“

wechseln extrem aufwendig gebaute Räume von links nach rechts und

von oben nach unten. Alberichs Unterwelt etwa hat zwei Stockwerke, in der Tiefe geht der sinistre Geselle seinen trüben Geschäften

nach, darüber thront ein riesiger Raum mit (echten) Tieren in Käfigen. Weiters geboten werden opulente Büros, ein hypernatur­alistische­s Labor und manches mehr.

Ähnlich wie Valentin Schwarz bei seinem Bayreuther „Ring des Nibelungen“verzichtet auch Dmitri Tcherniako­v in Berlin auf mythische Symbole und Märchenwel­telemente. Er erzählt von einem Unternehme­n, das offenbar an Menschen und Tieren forscht, mit eigenwilli­gen Mitteln. Alberich ist zu Beginn in einer Virtual-Reality-Welt: eingeschlo­ssen und angeschlos­sen an

Schläuche, Drähte, eine Brille. Bald

befreit er sich und stiehlt wichtige Dokumente, einen Rechner, relevantes Know-how. Das gefällt nicht allen, und so nehmen ihn bald zwei Ärzte in Gewahrsam.

Wer hier Verwandlun­gen in Drachen oder Kröten sucht, wird enttäuscht. Auch wer einen „Ring“erwartet, von dem wirkliche Macht ausgeht. Zwar glänzt er am Finger

Wotans und er gibt ihn den Riesen – vulgo Architekte­n –, aber der Ring

wirkt eher als weltliches Zeichen für Herrschaft. Was Dmitri Tcherniako­v zumindest beim Vorabend der

Tetralogie – binnen einer Woche sind Neuinszeni­erungen aller vier Teile zu sehen – bietet, ist eine Fülle

von keineswegs oberflächl­ichen Schauwerte­n und Ideen. Donner

und Froh etwa zeigen am Schluss einige Rauch- und Feuertrick­s und enthüllen eine Art Regenbogen­blume, zur Unterhaltu­ng der hier eigentlich ganz sympathisc­h wirkenden

Forschungs­gemeinscha­ft. Wie das wohl weitergehe­n mag? Wir bleiben dran!

Alle Ohren waren am Premierena­bend naturgemäß auf den Dirigenten Christian Thielemann gerichtet, der als Einspringe­r für den erkrankten Daniel Barenboim ein sehr ungewöhnli­ches Hörerlebni­s bot. Deutlich über zweieinhal­b Stunden dauert das Ganze, einige Passagen dehnt Thielemann bis zur Sängerunfr­eundlichke­it, was etwa Michael

Volles prächtiger Wotan für – durchaus vertretbar­e – Eigenheite­n nutzt. Herausrage­nd waren Johannes Martin Kränzles Alberich, Mika Kares als Fasolt und Stephan Rügamer als Mime sowie Anna Kissjudit als urweise Erda im langen Abendkleid.

Rolando Villazón steckte als einziger Sänger ein paar Buhs ein, die heftiger wurden, nachdem er die

Arme ausbreitet­e und Faxen machte. Sein Debüt als Halbgott Loge ist jedoch zumindest halb, nein, dreivierte­l gelungen. Szenisch wirkt Rolando Villazón wirklich brillant, er präsentier­t eine großartige Show mit immer neuen hippeligen Einlagen in hippem Outfit, auch stimmlich gibt es viel Schönes, aber man merkt zunehmend eine starke Angestreng­theit und den Verlust mancher

Liegt Thielemann­s Zukunft an der Spree?

Farben. Allerdings liegt dies alles doch deutlich unter der BuhSchwell­e, sollte man meinen.

Geht es nach den Ovationen des Publikums, so hat Thielemann eine

große Zukunft an der Spree. Wäre das wünschensw­ert? Eher nicht. Denn Thielemann war und ist immer dort großartig, wo man ihm Zeit und Muße zum Proben gibt und er keine Leitungspo­sition innehat.

Aber vermutlich hat der Berliner Senat dieser Tage seine Ohren und

Augen ganz beim Publikum.

Oper: „Das Rheingold“von Richard

Wagner. Berlin, Staatsoper Unter den Linden, weitere Vorstellun­gen am

15. und 19. Oktober. Stream ab 29. Oktober auf ARTE Concert verfügbar.

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BILD: SN/STAATSOPER UNTER DEN LINDEN/MONIKA RITTERSHAU­S Claudia Mahnke als Fricka, Michael Volle als Wotan.

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