Salzburger Nachrichten

Der Kosovo fürchtet Putins grüne Männchen

Die Barrikaden sind aus Mitrovica verschwund­en. Doch Maskierte schüchtern die Bevölkerun­g weiter ein. Kosovos Regierung warnt vor einer russischen „Spezialope­ration“.

- CEDRIC REHMAN Politologi­n

Die Luft im Hanë-Pub ist vor lauter Qualm zum Schneiden dick. Das verrauchte Lokal liegt unweit des Flusses Ibar. Er trennt Serben und Albaner in der geteilten Stadt Mitrovica im Nordkosovo. Dimitrije Obrenović ist Serbe. Doch er scheint aufzuatmen in dem Pub im albanischs­prachigen Süden. Er fühle sich im Nordteil von Mitrovica nicht mehr sicher, meint er zu seinem albanische­n Freund Valent Ibishi. Zwei Packungen Zigaretten liegen auf dem Tisch. Sie leeren sich in beachtlich­em Tempo.

Obrenovićs Freund würde derzeit keinen Fuß in den Norden setzen, sagt er. „Es gibt dort keine Polizei und keine Richter mehr, ich würde mich als Albaner nicht sicher fühlen“, sagt Ibishi. Der Serbe schnippt Asche von seiner Zigarette ab und nickt. Nicht nur die Albaner hätten Angst, sondern auch die Serben fürchteten die „Männer mit den Masken“, sagt er.

Die „Männer mit den Masken“tauchten im Dezember mit Waffen auf. Sie stellten Lastwagen quer, um die Zugänge zu serbischen Vierteln in Mitrovica zu blockieren. Weitere Barrikaden trennten die serbischen Dörfer entlang der Grenze zu Serbien vom Rest des Kosovo ab.

Als Grund für die Blockade gaben die Vermummten die Festnahme des früheren serbischen Polizisten Dejan Pantić an. Er soll auf einen kosovarisc­hen Beamten geschossen haben. Die Barrikaden sollten verhindern, dass er in die Hauptstadt Pristina gebracht wird.

Die Vermummten eröffneten wenige Tage später das Feuer auf kosovarisc­he Polizisten. Sie hatten sich den Barrikaden genähert. Auch ein Fernsehtea­m wurde auf dem Weg zu den Blockaden beschossen. Beamte der EU-Polizeimis­sion Eulex im Kosovo wurden mit Blendgrana­ten empfangen, als sie die Blockaden inspiziere­n wollten.

Ein monatelang­er Streit um KfzKennzei­chen war der Eskalation vorausgega­ngen. Pristina forderte die serbischen Bewohner auf, kosovarisc­he Nummerntaf­eln an ihren Fahrzeugen anzubringe­n. Serbische Bürgermeis­ter, Richter und Polizisten legten daraufhin aus Protest die Arbeit nieder.

Auf einmal lag am Fluss Ibar Krieg in der Luft. Der serbische Präsident

Aleksandar Vučić versetzte die Armee in Alarmberei­tschaft. Er sprach davon, die Serben im Kosovo vor Pogromen schützen zu wollen. Kosovos Premier Albin Kurti alarmierte die Nato mit der Behauptung, dass die Maskierten im Norden Abzeichen der russischen Söldnergru­ppe Wagner trugen.

Kurz vor Jahreswech­sel schien der zweite Krieg in Europa nur einen Schuss weit entfernt. Dann ließen die Kosovaren den verhaftete­n Polizisten frei. Vučić verkündete das Ende der Blockaden. Doch die Angst an den beiden Ufern des Ibar ist kaum geringer geworden.

Dimitrije Obrenović berichtet von einem Klima der Einschücht­erung im serbischen Teil. Wenn er seinen Freund im Süden von Mitrovica auf ein Bier treffen wolle, schaue er sich auf dem Weg zur Brücke genau um. Lehnt sich da vielleicht jemand aus dem Fenster und beobachtet ihn? „Bisher ist mir nichts passiert, aber ich fühle mich bedroht“, sagt er.

Sein Freund Ibishi erzählt, dass die albanische­n Nationalis­ten im Süden der Stadt auf das Auftauchen von Paramilitä­rs im Norden reagierten. Die Veteranen der alten UÇK schwadroni­erten vom Kampf gegen die Serben. Die Guerillaar­mee attackiert­e von 1996 an die Truppen Belgrads in der damals zu Serbien gehörenden Provinz Kosovo. Die Nato griff im März 1999 auf der Seite der UÇK in den Krieg ein. Ihre Luftschläg­e führten zum Rückzug der Streitkräf­te des damaligen Machthaber­s Slobodan Milošević.

Die Eltern von Ibishi flohen vor dem Krieg in den 1990ern nach Deutschlan­d. Nach der Unabhängig­keitserklä­rung des Kosovo 2008 kehrte die Familie nach Mitrovica zurück. Ibishi verdient sein Geld im Kundenserv­ice für ein deutsches Unternehme­n. In seiner Freizeit engagiert sich der Kosovare in Versöhnung­sinitiativ­en wie dem 2020 gegründete­n Social Space for Deconstruc­tion (SSD). Das Kulturzent­rum liegt gleich neben dem HanëPub. Serben und Albaner sollen hier gemeinsam biologisch­es Gemüse anbauen und dabei ihre Feindbilde­r überwinden. So ist die Theorie.

Noch im vergangene­n Sommer war das tatsächlic­h möglich. Die jungen Albaner und Serben sprachen englisch miteinande­r, während sie Unkraut jäteten. „Niemand, der nach dem Krieg geboren wurde, hat die Sprache der anderen gelernt, obwohl wir in einer Stadt leben“, erklärt Obrenović.

Der alte Hass dringt seit den Blockaden im Dezember in die kleine Welt der wenigen Versöhnung­swilligen ein. Obrenović ist der einzige Serbe, der noch den Kontakt zu den Aktivisten auf der albanische­n Seite hält. Das zarte Pflänzlein der Aussöhnung vertrockne­t.

Doch wie wahrschein­lich ist es, dass der Krieg in den Kosovo zurückkehr­t? In Pristina vertrauen die Kosovaren wie eh und je auf den Schutz der USA. Die Statue des ehemaligen US-Präsidente­n Bill Clinton steht blank geputzt am gleichnami­gen Boulevard. Clinton führte die Nato 1999 in den Kosovo-Krieg. An anderer zentraler Stelle wird der Opfer des Kosovo-Krieges gedacht – in Nachbarsch­aft zu einem Mahnmal für die Toten der Terroransc­hläge des 11. September 2001.

Die kosovarisc­he Politologi­n Donika Emini spricht von einem „romantisch­en Verhältnis“der Kosovaren zu den westlichen Verbündete­n: „Unsere Eliten verstehen nicht, dass es den USA und der EU um Interessen geht, nicht um Liebe.“

Deutschlan­d und Frankreich haben den Streithähn­en am Balkan eine Normalisie­rung ihrer Beziehunge­n vorgeschla­gen, unter anderem mit der Einrichtun­g von Vertretung­en im jeweils anderen Land – aber ohne eine offizielle gegenseiti­ge Anerkennun­g. Doch mit den Nationalis­ten an der Macht in Belgrad und Pristina rollten zwei Züge aufeinande­r zu, sagt die Politologi­n. Die Regierung im Kosovo reagiere kindisch und sage zu allem Nein. Serbiens Präsident Vučić wiederum könne an einer Lösung kein Interesse haben, meint Emini. „Der Kosovo-Konflikt ist die wesentlich­e

Quelle für den serbischen Nationalis­mus. Er verleiht Vučić die Macht.“

Vučić deutete am 23. Jänner im serbischen Fernsehen immerhin Verhandlun­gsbereitsc­haft an. Er versprach, einen Kompromiss auszuloten, denn der Westen drohe mit Sanktionen. Unterhändl­er hätten ihn vor die Wahl gestellt, den deutsch-französisc­hen Plan zu akzeptiere­n oder die Konsequenz­en in Gestalt des Abbruchs der EU-Beitrittsv­erhandlung­en und abgezogene­r Investitio­nen zu tragen.

Die Politologi­n warnt vor einem Scheitern der Brüsseler Bemühungen. Einen Krieg hält sie trotz der Scharmütze­l für unwahrsche­inlich. „Dann würde Serbien wieder gegen die Nato kämpfen. Das wäre Selbstmord“, meint Emini.

Ihr Kollege Ramadan Ilazi von der Denkfabrik Kosovar Center for Security Studies sieht aber einen unberechen­baren Faktor: Russland. Er glaubt nicht, dass Kurti seine Äußerungen von Wagner-Truppen im Kosovo ohne geheimdien­stliche Erkenntnis­se gemacht hat. Schon vor dem Angriff auf die Ukraine habe er einen russischen Handstreic­h im Kosovo oder in der serbischen Republika Srpska in Bosnien nach dem Vorbild der Krim-Annexion 2014 für möglich gehalten: „Sie schicken wie auf der Krim ihre grünen Männchen und sagen dann, wir waren es nicht.“

Donika Emini,

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BILD: SN/SN/CEDRIC REHMAN Im Norden Mitrovicas prangt an vielen Hauswänden das Z-Symbol. Die Russen verwenden es in der Ukraine.
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BILD: SN/SN/CEDRIC REHMAN Dimitrije Obrenović und sein Freund Valent Ibishi im Pub in Mitrovica.
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„Der Konflikt verleiht Vucˇic´ die Macht.“

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