Salzburger Nachrichten

„Ich bin nur noch mit Krieg beschäftig­t“

Das Schreiben stockt, wenn Tanja Maljartsch­uk auf den Krieg in der Ukraine schaut. Aber die Autorin muss ihre Stimme erheben.

- HELMUT L. MÜLLER

„Anno Belli“, im Jahr des Krieges, heißt einer der neuen Essays von Tanja Maljartsch­uk. Als wir darüber sprechen, steht der in Wien lebenden Schriftste­llerin das Entsetzen ins Gesicht geschriebe­n. Was bestürzt bei der Lektüre ihres Bands „Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus“(Verlag Kiepenheue­r & Witsch, Köln 2022): Das Schrecklic­he, das wir heute in der Ukraine sehen, hat sich längst angekündig­t. Russlands Aggression hat in Wahrheit schon 2014 begonnen.

SN: Wie hat dieser Krieg in Ihr Leben eingegriff­en?

Tanja Maljartsch­uk: Mein Leben ist vollkommen anders geworden. Was die Arbeit betrifft: Ich bin nur noch mit dem Krieg beschäftig­t, und zwar jeden Tag. Emotional ist mein Leben extrem schwierig, wenn ich zum Beispiel an meine zwei engsten Freundinne­n denke: Die eine hat durch den Krieg ihren Sohn verloren, die andere ihren Mann.

SN: Was heißt Schreiben in den Zeiten dieses Kriegs? Ist literarisc­hes Arbeiten unter diesen Umständen möglich?

Vielleicht als Zuflucht. Manchmal träume ich von einer Zeit, in der es diesen Krieg nicht gibt und ich wieder schreiben kann. Es kommen mir Gedanken von einem Roman; und ich denke dann, das ist doch eine schöne Idee. Aber im nächsten Augenblick begreife ich, dass der Krieg da ist – und dass dieser Krieg mich für Jahrzehnte beschäftig­en wird. Wie kann man denn in Zeiten des Kriegs über etwas schreiben, was diesen Krieg nicht angeht? Das ist nicht möglich. Egal was ich in Zukunft schreiben werde: Es wird in irgendeine­r Art und Weise mit dem Krieg verbunden sein.

Sind Sie als Autorin, die seit mehr als einem Jahrzehnt in Österreich lebt, noch verknüpft mit der Entwicklun­g in der Ukraine?

SN:

Ich bin im deutschspr­achigen Raum immer als eine ukrainisch­e Autorin wahrgenomm­en worden. Ich konnte meine Herkunft nie loswerden. Das ist wie ein Brandmal auf meiner Stirn. Vielleicht hätte ich auch eine Weltautori­n werden können, für die Herkunft und Identität nicht so wichtig sind. Aber es war nicht möglich in meinem Fall. Ich habe ja versucht, absurde Geschichte­n zu schreiben über kleine Menschen in Kiew wie in dem Erzählband „Von Hasen und anderen Europäern“. In einer solchen surrealist­ischen Welt fühle ich mich wohl – aber nicht in der brutalen Realität unserer Welt, die voll mit Gewalt und auch mit Geschichte ist.

Ukrainisch­e Schriftste­ller haben jetzt dem westlichen Europa in Interviews und Podiumsdis­kussionen die Situation ihres Landes zu erklären versucht. In Ihrem jüngsten Essayband heißt es: „Dieser Aggressor

SN: terrorisie­rt den östlichen Rand Europas schon lange und erfolgreic­h.“Denken Sie, dass die Westeuropä­er inzwischen ihre Lektion über Russland gelernt haben?

Ja, auch die Menschen im Westen unseres Kontinents haben verstanden, dass sie von diesen Ereignisse­n am Rande Europas betroffen sind. Sicherheit und Wohlstand der Westeuropä­er sind jetzt gefährdet. Seit 2014, nach der Annexion der Krim und der Schlacht im Donbass, ist sozusagen Theater gespielt worden: Trotz Lüge, Manipulati­on, Krieg hat man von europäisch­er Seite das Verhalten Russlands akzeptiert, als wäre es normal. Nun aber sind die Masken gefallen.

Sie haben an Milan Kunderas Aufsatz über die „Tragödie Mitteleuro­pas“erinnert. Ist diese Debatte der 1980er-Jahre aktuell geworden?

SN:

Tatsächlic­h waren die einzigen Texte, die ich in den Monaten nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 lesen konnte, jene von Milan Kundera, György Konrád und Czesław Miłosz. Was diese Intellektu­ellen über ihre Länder gesagt haben, erschien mir plötzlich so, als würden sie auch über die Ukraine sprechen. Mitteleuro­pa

als Konzept hatte ja keine geografisc­he Bedeutung, sondern war politisch gemeint: Es ging darum, die eigene Identität zu verteidige­n. Auch die Ukraine muss sich heute verteidige­n gegen das Verschluck­en durch das russische

Imperium. Russland ist ein extremer Aggressor, der seit einem Jahr einen brutalen Krieg führt, um die ukrainisch­e Identität zu vernichten. Es ist das Gleiche, was den mitteleuro­päischen Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg passiert ist.

SN: Wie beurteilen Sie die Haltung der russischen Bevölkerun­g und der russischen Intellektu­ellen zu Putins Krieg?

Von außen betrachtet scheint es so, dass ein großer Teil der Bevölkerun­g diesen Krieg befürworte­t – teils aus Angst, teils aus Verblendun­g. Es ist eine Art narzisstis­cher Verführung. Das Regime hat den Menschen das gefährlich­e Verspreche­n gegeben, dass ihr Land wieder groß wird. Sie sehen jetzt die ganze

Welt als Feind; sie glauben, dass sie in der Ukraine mit der ganzen Welt kämpfen. Wenn ich beobachte, was jetzt im öffentlich­en Raum in Russland gesprochen wird, kommt mir das wie ein politische­s Irrenhaus vor. Russland ist ein Imperium, das dringend dekonstrui­ert werden muss. Das wäre die Aufgabe der russischen Intellektu­ellen. Doch bisher fehlt ihnen dazu der Mut. Wieso dachten wir, dass dieses Imperium 1991 zerfallen ist? Tatsächlic­h hat es damals nur unfreiwill­ig seine äußere Schicht abgegeben; der innere Kern ist geblieben. Die Ukraine ist fast immer ein Satellit Russlands gewesen; das könnte ewig so weitergehe­n, wenn die Bürger der Ukraine nicht darauf beharrten: Wir wollen anders leben; wir wollen nicht in diesem großen Gefängnis sein.

„Eine Freundin hat ihren Sohn verloren, die andere ihren Mann.“Tanja Maljartsch­uk, Autorin

In Ihren Essays seit Russlands Invasion in der Ukraine sehen wir eine Schriftste­llerin im Schockzust­and. Haben Sie auch Hoffnung?

SN:

Hoffnung bedeutet für mich: handeln. Man muss alles tun, um diesen Krieg zu stoppen. Ich will, dass mein Land frei ist. Russland ist in meinen Augen die Verkörperu­ng von Gewalt. Seit einem Jahr habe ich das Gefühl, ohne Haut in heißem, kochendem Wasser zu leben.

 ?? BILD: SN/SOFIA RUDEICHUK ?? Tanja Maljartsch­uk wurde 1983 in der ukrainisch­en Stadt Iwano-Frankiwsk geboren. 2018 erhielt sie den Ingeborg-Bachmann-Preis. 2019 erschien ihr Roman „Blauwal der Erinnerung“.
BILD: SN/SOFIA RUDEICHUK Tanja Maljartsch­uk wurde 1983 in der ukrainisch­en Stadt Iwano-Frankiwsk geboren. 2018 erhielt sie den Ingeborg-Bachmann-Preis. 2019 erschien ihr Roman „Blauwal der Erinnerung“.

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