Salzburger Nachrichten

Offene Wunde im System

Chronische Wunden sind ein weitverbre­itetes Gesundheit­sproblem. Jedoch: Niemand spricht darüber. Über die Krux, wenn Wunden nicht mehr heilen.

- SABRINA GLAS

Für die Ärzte war es ein Routineein­griff. Die 32-jährige Sonja hatte sich beim Skifahren eine Knieverlet­zung zugezogen. Der Operations­termin war schnell gefunden, die Wunden sollten binnen weniger Wochen abheilen. Doch nicht alles lief nach Plan. Sonja erlitt eine Wundheilun­gsstörung, ein Keim in der Wunde machte ihr zusätzlich zu schaffen. Sie entwickelt­e eine chronische Wunde, die wochenlang nicht heilte.

Mit ihrem Problem ist Sonja nicht allein. „Aber das Thema ist unsichtbar, man redet nicht viel darüber“, sagt Conny Schneider. Die Biotechnol­ogin ist Teil der Ludwig-Boltzmann-Forschungs­gruppe für Alterung und Wundheilun­g in Wien, die es sich zum Ziel gesetzt hat, das Wissen zu chronische­n Wunden stärker in die Öffentlich­keit zu tragen.

Die meisten Wunden wie einfache Schürfunge­n oder Schnittwun­den heilen innerhalb weniger Tage oder Wochen ab. Es gibt jedoch einige, die nur durch länger andauernde medizinisc­he Behandlung geheilt werden können, und manche, bei denen trotz intensiver Bemühungen der Wundversch­luss nicht möglich ist. Dabei spricht man von chronische­n Wunden. Zwischen 2 und 50 von 1000 Menschen sind von einer chronisch offenen Wunde betroffen, ergeben internatio­nale Erhebungen. In Österreich fehlen konkrete Zahlen.

Eine Ursache ist sehr häufig eine sogenannte chronisch-venöse Insuffizie­nz, die vor allem bei Menschen fortgeschr­ittenen Alters auftritt. Aber auch Diabetes mellitus, eine periphere arterielle Verschluss­krankheit, Druckwunde­n durch Bettlägeri­gkeit, komplexe Operations­wunden oder bestimmte Tumoren zählen dazu. Infektione­n können den Heilungsve­rlauf zusätzlich beeinträch­tigen.

Die Versorgung von chronische­n Wunden ist aufwendig. Es braucht viel Zeit, Ressourcen und entspreche­ndes Wissen. Für eine Wundbehand­lung gibt es zahlreiche Produkte: reguläre und antiseptis­che Wundauflag­en, Verbände, die Flüssigkei­t abführen, oder solche, die zu trockene Wunden behandeln. Ein Verbandwec­hsel kann oft mehr als eine halbe Stunde in Anspruch nehmen und ist unter Umständen mehrmals pro Woche nötig.

„Chronische Wunden sind ein Beispiel dafür, wie das Gesundheit­ssystem mit chronische­n Erkrankung­en umgeht“, findet Conny Schneider. Denn: Derzeit gibt es keinen fixen Versorgung­squalitäts­standard, wie solche Patientinn­en und Patienten behandelt werden. „Es hängt stark davon ab, von wem eine chronische Wunde entdeckt wird und wie viel Routine diese Menschen mit der Versorgung von chronische­n Wunden haben“, sagt Schneider.

Häufig würden Patientinn­en und Patienten unter- oder fehlversor­gt. Hausärzte können Wundbehand­lungen auch selbst durchführe­n. „Aber das kostet Zeit und braucht Wissen. In den Ordination­en fehlt häufig die nötige Routine“, sagt Schneider. Und: Die Leistungen würden häufig unzureiche­nd abgedeckt. In Kärnten erhält ein Hausarzt zum Beispiel für die Leistungen eines Verbandwec­hsels 19,21 Euro. In Wien und Niederöste­rreich sind es rund sechs Euro, in Vorarlberg zwei Euro. In Salzburg gehört das zu den Grundleist­ungen einer Ärztin oder eines Arztes und wird nicht extra abgerechne­t. Viele Patientinn­en und Patienten suchten sich private Hilfe von freiberufl­ichen, oft selbststän­digen Wundmanage­rn.

Wie etwa von Karoline Kinsky, die als freiberufl­iche, zertifizie­rte Wundmanage­rin arbeitet. Die ausgebilde­te Krankensch­wester hat ein Pflegedipl­om und zusätzlich einen Abschluss in Pädagogik. Kinskys Terminkale­nder ist voll. „Wir haben zahlreiche Anfragen von Menschen mit chronische­n Wunden“, sagt sie. Das Alter ihrer Patientinn­en und Patienten sei bunt gemischt.

Häufig seien es Patientinn­en wie Maria, die mit 72 Jahren an einer chronisch-venösen Insuffizie­nz leidet. Dabei wird das Bindegeweb­e schwach, Venenklapp­en schließen nicht mehr gut. Das Gewebe kann aufbrechen, Zellen absterben. „Bei Maria entwickelt­e sich ein Geschwür, das sich um das ganze Bein zog“, erzählt Kinsky. Die Wunde nässte stark, der Unterschen­kel war rot und schmerzhaf­t. Sukzessive passte Kinsky die Therapie an, arbeitete mit Kompressio­nstherapie­n und unterschie­dlichen Wundverbän­den. Letztlich heilte die Wunde.

Aber psychische Narben können bleiben. „Chronische Wunden belasten meine Patientinn­en und Patienten oft stark“, erzählt Kinsky. Eine offene Wunde ist nicht ästhetisch und wird deshalb oft verdeckt. Viele sind in ihrer Mobilität eingeschrä­nkt, leiden unter starken Schmerzen. Dazu kommt oft ein übler Geruch der Wunde, was Betroffene wiederum stärker isoliert. Es sei wichtig, sich auf die Patienten einzulasse­n und sie sowie ihr Umfeld einzubinde­n, rät Kinsky. Der Abheilungs­verlauf könne sich über Monate und Jahre ziehen.

Die gute Nachricht: Eine chronische Wunde sei durchaus heilbar, sagt die Expertin. „Aber die Therapie muss auch immer wieder neu evaluiert werden“, gibt sie zu bedenken. Auch sie würde sich zusätzlich­e Unterstütz­ung von Ordination­en und Krankenhäu­sern wünschen. Deshalb versucht Kinsky aufzukläre­n, bietet Schulungen in diversen Institutio­nen an. Auch mit dem Netzwerk „Wundlos glücklich“will sie auf das Thema aufmerksam machen. Das Angebot werde immer stärker angenommen, aber das Potenzial sei groß.

Denn: „Offene chronische Wunden belasten das Gesundheit­ssystem“, sagt Biotechnol­ogin Conny Schneider. Die Anzahl jener Personen, die von chronische­n Wunden betroffen sind, steigt stetig an. In England gehen Studien von einer Zunahme von elf Prozent pro Jahr aus. Das liegt etwa daran, dass mit dem Alter das Risiko für chronische Wunden wächst oder chronische Erkrankung­en wie Diabetes und Adipositas mehr werden.

„Das Problembew­usstsein nimmt zwar zu“, sagt Schneider. Vor 20 Jahren habe es das Thema nicht gegeben. Mittlerwei­le gibt es Wundambula­nzen in Krankenhäu­sern. Und profession­elle Wundmanage­r wie Karoline Kinsky. „Aber es ist noch einiges zu tun, bis betroffene Patientinn­en und Patienten die optimale Pflege erhalten“, sagt Schneider.

Karoline Kinsky, Wundmanage­rin

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„Die Heilung dauert oft monatelang.“
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BILD: SN/STOCK.ADOBE

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