Trotz strenger Regeln: „Giftfreie Lebensmittel sind eine Illusion“
Der renommierte Wissenschafter Rudolf Krska hat sich eines hochbrisanten Themas angenommen. In seinem neuen Buch „Essen ohne Gift?“will er aufklären, nicht Panik verbreiten.
Wenn es um Lebensmittelsicherheit geht, kennt die EU keinen Spaß: Einheitliche Rechte und Grenzwerte, überaus strenge Kontrollen – nichts darf dem Zufall überlassen werden. „Sonst hätten wir ein Problem“, sagt Rudolf Krska von der Universität für Bodenkultur. Der Leiter des Instituts für Bioanalytik und Agro-Metabolomics in Tulln zählt zu den weltweit führenden Forschern auf dem Gebiet der Lebensmittelsicherheit.
Denn der durchschnittliche Lebensmittelkonsument ist ohnehin Tag für Tag einer Mischung aus potenziell krebserregenden Substanzen ausgesetzt. Grund zur Besorgnis sei das keiner, sagt Krska im SNGespräch. Eher einer, der zu ausgewogener Ernährung Anlass geben sollte. In seinem neuesten Buch („Essen ohne Gift?“) widmet er sich der Frage, wie man im Zuge der Nahrungsaufnahme möglichst wenige Toxine zu sich nehmen kann. Denn: „Giftfreie Lebensmittel gibt es nicht, das ist eine Illusion.“
Um sich ein Bild machen zu können, wie Rudolf Krska forscht, bringt dieser gern ein Beispiel: Löst man im Sportbecken des Wiener Stadthallenbads ein Stück Würfelzucker auf, müssen Krska und sein Team das nachweisen können. Lächerlich geringe Mengen? Wie man’s nimmt. Denn bereits zwei im Riesenbecken aufgelöste Stück Würfelzucker entsprechen der maximal zulässigen Konzentration von krebserregenden Aflatoxinen in Nüssen. Isst man 100 Gramm Erdnüsse, nimmt man rund eine Billiarde an Giftmolekülen zu sich – und jedes einzelne Molekül kann theoretisch mit der DNA reagieren. Sprich: mutieren und zu Leberkrebs führen.
So weit, so apokalyptisch. Doch Krska will keineswegs Panik verbreiten – im Gegenteil, er möchte ebendiese abbauen. „Denn die gute Nachricht ist: Wir Menschen sind
hochwirksame Entgiftungsmaschinen.“Vor allem wenn man gesund ist und nicht übergewichtig, wie mittlerweile fast die Hälfte aller Europäer. Hinzu komme das „hervorragende System zur Gewährleistung von sicheren Lebensmitteln“in der EU und ihren Mitgliedsstaaten.
Doch zurück zu den Erdnüssen und deren Gefährlichkeit. Krska relativiert: „Wenn man jeden Tag 200, 300 Gramm Erdnüsse isst, hat man definitiv ein höheres Risiko, an Krebs zu erkranken. Aber man fällt nicht gleich tot um.“Ähnliches gelte auch für Raucher. Die Botschaft sei: Man kann die Aufnahme von Schadstoffen durch möglichst ausgewogene Ernährung eindämmen. Und es gehe in dem Buch auch darum,
mit Missverständnissen aufzuräumen: „Vor Pestiziden muss man sich zum Beispiel als Konsument nicht fürchten, die spielen eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Pestizide sind ein ökologisches Problem.“
Krska empfiehlt bei der Wahl der Lebensmittel ein individuelles Abwägen der Vor- und Nachteile. Etwa bei Vollkorn: „Es ist gesünder als Weißmehl, hat aber einen höheren Schimmelpilzanteil, der jedoch unterhalb der Grenzwerte liegt.“Diese seien so angelegt, „dass man davon ausgehen kann, gesund zu bleiben“. Aber: „Man kann das Risiko nicht auf null stellen. Sonst könnte man kein Brot oder keine Nudeln mehr auf den Markt bringen. Denn Mykotoxine, also Schimmelpilzgifte, sind nicht vermeidbar“, erklärt der Wissenschafter.
Wenig Grund zur Freude bereitet Krska der fortschreitende Klimawandel: „Dessen Auswirkungen auf die Lebensmittelsicherheit werden erheblich sein.“Vor allem auf die Bildung von natürlichen Giften
(Biotoxinen). „Berechnungen haben ergeben, dass jene Mikroben, die Krankheiten hervorrufen können, seit 1960 mit einer Geschwindigkeit von mehreren Kilometern pro Jahr Richtung Polkappen wandern.“Pflanzen gerieten unter Stress, man müsse mit größeren Ernteausfällen am Biosektor rechnen, der Einsatz von Pestiziden werde eher steigen als sinken. Hinzu komme die verstärkte Blüte schädlicher Algen durch die Erwärmung der Meere. Die Folge: erhöhte Konzentrationen von Algengiften in Fischen und Meeresfrüchten. Vermehrt auftretende Waldbrände aufgrund von Trockenperioden mobilisieren Schwermetalle in den Böden. Überschwemmungen können Schadstoffe in nicht kontaminierte Gebiete transportieren.
„Risiko kann man nicht auf null stellen.“Rudolf Krska, Lebensmittelforscher
„Essen ohne Gift? Gesundheitsrisiken und -nutzen unserer Lebensmittel“; von Rudolf Krska; Picus Verlag; 14 Euro