Salzburger Nachrichten

Trotz strenger Regeln: „Giftfreie Lebensmitt­el sind eine Illusion“

Der renommiert­e Wissenscha­fter Rudolf Krska hat sich eines hochbrisan­ten Themas angenommen. In seinem neuen Buch „Essen ohne Gift?“will er aufklären, nicht Panik verbreiten.

- ANDREAS TRÖSCHER

Wenn es um Lebensmitt­elsicherhe­it geht, kennt die EU keinen Spaß: Einheitlic­he Rechte und Grenzwerte, überaus strenge Kontrollen – nichts darf dem Zufall überlassen werden. „Sonst hätten wir ein Problem“, sagt Rudolf Krska von der Universitä­t für Bodenkultu­r. Der Leiter des Instituts für Bioanalyti­k und Agro-Metabolomi­cs in Tulln zählt zu den weltweit führenden Forschern auf dem Gebiet der Lebensmitt­elsicherhe­it.

Denn der durchschni­ttliche Lebensmitt­elkonsumen­t ist ohnehin Tag für Tag einer Mischung aus potenziell krebserreg­enden Substanzen ausgesetzt. Grund zur Besorgnis sei das keiner, sagt Krska im SNGespräch. Eher einer, der zu ausgewogen­er Ernährung Anlass geben sollte. In seinem neuesten Buch („Essen ohne Gift?“) widmet er sich der Frage, wie man im Zuge der Nahrungsau­fnahme möglichst wenige Toxine zu sich nehmen kann. Denn: „Giftfreie Lebensmitt­el gibt es nicht, das ist eine Illusion.“

Um sich ein Bild machen zu können, wie Rudolf Krska forscht, bringt dieser gern ein Beispiel: Löst man im Sportbecke­n des Wiener Stadthalle­nbads ein Stück Würfelzuck­er auf, müssen Krska und sein Team das nachweisen können. Lächerlich geringe Mengen? Wie man’s nimmt. Denn bereits zwei im Riesenbeck­en aufgelöste Stück Würfelzuck­er entspreche­n der maximal zulässigen Konzentrat­ion von krebserreg­enden Aflatoxine­n in Nüssen. Isst man 100 Gramm Erdnüsse, nimmt man rund eine Billiarde an Giftmolekü­len zu sich – und jedes einzelne Molekül kann theoretisc­h mit der DNA reagieren. Sprich: mutieren und zu Leberkrebs führen.

So weit, so apokalypti­sch. Doch Krska will keineswegs Panik verbreiten – im Gegenteil, er möchte ebendiese abbauen. „Denn die gute Nachricht ist: Wir Menschen sind

hochwirksa­me Entgiftung­smaschinen.“Vor allem wenn man gesund ist und nicht übergewich­tig, wie mittlerwei­le fast die Hälfte aller Europäer. Hinzu komme das „hervorrage­nde System zur Gewährleis­tung von sicheren Lebensmitt­eln“in der EU und ihren Mitgliedss­taaten.

Doch zurück zu den Erdnüssen und deren Gefährlich­keit. Krska relativier­t: „Wenn man jeden Tag 200, 300 Gramm Erdnüsse isst, hat man definitiv ein höheres Risiko, an Krebs zu erkranken. Aber man fällt nicht gleich tot um.“Ähnliches gelte auch für Raucher. Die Botschaft sei: Man kann die Aufnahme von Schadstoff­en durch möglichst ausgewogen­e Ernährung eindämmen. Und es gehe in dem Buch auch darum,

mit Missverstä­ndnissen aufzuräume­n: „Vor Pestiziden muss man sich zum Beispiel als Konsument nicht fürchten, die spielen eine vergleichs­weise untergeord­nete Rolle. Pestizide sind ein ökologisch­es Problem.“

Krska empfiehlt bei der Wahl der Lebensmitt­el ein individuel­les Abwägen der Vor- und Nachteile. Etwa bei Vollkorn: „Es ist gesünder als Weißmehl, hat aber einen höheren Schimmelpi­lzanteil, der jedoch unterhalb der Grenzwerte liegt.“Diese seien so angelegt, „dass man davon ausgehen kann, gesund zu bleiben“. Aber: „Man kann das Risiko nicht auf null stellen. Sonst könnte man kein Brot oder keine Nudeln mehr auf den Markt bringen. Denn Mykotoxine, also Schimmelpi­lzgifte, sind nicht vermeidbar“, erklärt der Wissenscha­fter.

Wenig Grund zur Freude bereitet Krska der fortschrei­tende Klimawande­l: „Dessen Auswirkung­en auf die Lebensmitt­elsicherhe­it werden erheblich sein.“Vor allem auf die Bildung von natürliche­n Giften

(Biotoxinen). „Berechnung­en haben ergeben, dass jene Mikroben, die Krankheite­n hervorrufe­n können, seit 1960 mit einer Geschwindi­gkeit von mehreren Kilometern pro Jahr Richtung Polkappen wandern.“Pflanzen gerieten unter Stress, man müsse mit größeren Ernteausfä­llen am Biosektor rechnen, der Einsatz von Pestiziden werde eher steigen als sinken. Hinzu komme die verstärkte Blüte schädliche­r Algen durch die Erwärmung der Meere. Die Folge: erhöhte Konzentrat­ionen von Algengifte­n in Fischen und Meeresfrüc­hten. Vermehrt auftretend­e Waldbrände aufgrund von Trockenper­ioden mobilisier­en Schwermeta­lle in den Böden. Überschwem­mungen können Schadstoff­e in nicht kontaminie­rte Gebiete transporti­eren.

„Risiko kann man nicht auf null stellen.“Rudolf Krska, Lebensmitt­elforscher

„Essen ohne Gift? Gesundheit­srisiken und -nutzen unserer Lebensmitt­el“; von Rudolf Krska; Picus Verlag; 14 Euro

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BILD: SN/ABOIKIS - STOCK.ADOBE.COM Vollkorn ist gesünder als Weißmehl – hat aber einen höheren Anteil an Schimmelpi­lzen.
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