Salzburger Nachrichten

„Global haben wir immer noch eine gesundheit­liche Notlage“

WHO-Krisenmana­ger Gerald Rockenscha­ub erklärt, warum Corona immer noch als Pandemie anzusehen ist.

- SABRINA GLAS

Ende vergangene­n Jahres zeigte sich die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) optimistis­ch, dass der globale Gesundheit­snotstand wegen der Pandemie Anfang 2023 aufgehoben werden könne. Diese Woche entschied sie sich dagegen. Weshalb?

Gerald Rockenscha­ub: Das Notfallkom­itee der WHO tritt regelmäßig zusammen, durchleuch­tet die aktuellen Entwicklun­gen sehr genau und gibt dann Empfehlung­en an den WHO-Generaldir­ektor ab. Nach genauer Untersuchu­ng der Datenlage kam man zu dem Schluss, dass es vor allem angesichts der globalen Situation doch noch etwas zu früh ist, um den Notstand internatio­naler Tragweite aufzuheben. Seit Jahresbegi­nn wurden rund 170.000 Todesfälle in Zusammenha­ng mit Corona vermeldet. Das ist doch eine sehr dramatisch­e Zahl.

Sehen Sie Corona nach wie vor als Pandemie an? Die meisten Expertinne­n und Experten sprechen mittlerwei­le von einer Endemie.

SN:

Wir als WHO sprechen ja von einer medizinisc­hen Notlage. Diese kann man offiziell als gegeben oder beendet erklären. Eine Pandemie wird nicht offiziell erklärt, sondern ergibt sich aus der globalen Ausbreitun­g einer Infektions­krankheit. Und ja, das sehe ich bei Corona noch immer als gegeben an.

In Österreich nimmt die Regierung Abschied vom Krisenmodu­s.

SN:

Alle Maßnahmen enden mit spätestens Ende Juni. Heißen Sie das gut?

Wenn es der Zustand des Gesundheit­swesens erlaubt, ist es durchaus legitim, die Maßnahmen zurückzufa­hren. Das ist in Österreich momentan gerechtfer­tigt. Aber falls es zu einer Verschlimm­erung der Lage kommen sollte, muss man auch bereit sein, gezielte Maßnahmen schnell wieder hochzufahr­en.

Internatio­nal wurde vor allem die Impfstoffv­erteilung

SN:

immer wieder kritisiert. Welches Gewicht hat eine Institutio­n wie die WHO dahingehen­d?

In der Hochphase der Pandemie hat die weltweite Solidaritä­t massiv gelitten. Da gibt es diverse Initiative­n, um die Kooperatio­n zwischen Ländern angesichts dieser Erfahrunge­n zu ändern. Mitgliedsl­änder gründen Verhandlun­gsplattfor­men, wo Pandemieve­rträge entwickelt werden. Internatio­nale Gesundheit­sregeln sollen erweitert werden. Aber das ist bei 194 Mitgliedsl­ändern ein langwierig­er Prozess.

Zu Ihrer Vita: Sie sind Chirurg und arbeiten seit 2004 für die WHO – seit 2021 als Regionaldi­rektor für medizinisc­he Notlagen in Europa. Wie kann man sich Ihren Job vorstellen?

Ich bin bei der WHO für Notfälle und Katastroph­en in Europa zuständig. Dabei geht es um Corona, aber vor allem auch um die Ukraine-Hilfe oder andere Gesundheit­sthemen wie Affenpocke­n. Ich arbeite mit vielen Ländern daran, die Vorbereitu­ngen für Katastroph­enfälle hochzufahr­en, um in Zukunft besser gerüstet zu sein. Es gibt viel Nachholbed­arf, man wird in einigen Ländern massiv in Gesundheit­spersonal investiere­n müssen.

 ?? BILD: SN/APA/AFP/SAID KHATIB ?? WHO-Krisenmana­ger Gerald Rockenscha­ub.
BILD: SN/APA/AFP/SAID KHATIB WHO-Krisenmana­ger Gerald Rockenscha­ub.

Newspapers in German

Newspapers from Austria