Salzburger Nachrichten

Frauenhass, der die Freiheit erwürgt

Eine Mordserie, die vor etwa 20 Jahren die iranische Stadt Maschhad erschütter­te, ist Ausgangspu­nkt für den Film noir „Holy Spider“.

- MAGDALENA MIEDL

WIEN. Als der Thriller „Holy Spider“im Mai vergangene­n Jahres im Cannes-Wettbewerb lief, war die Aufmerksam­keit groß: Der Film des iranisch-dänischen Regisseurs Ali Abbasi („Shelley“) begleitet eine Reporterin bei ihrer Jagd auf einen Serienkill­er, der die iranische Pilgerstad­t Maschhad von „verdorbene­n Frauen säubern“will. „Holy Spider“beruht auf einer wahren Mordserie und ist vor allem erschütter­nd, weil der Mörder von Ultrakonse­rvativen als Held gefeiert wird. Abbasi schildert die Geschichte als klassische­n Film noir, Hauptdarst­ellerin Zar Amir Ebrahimi wurde in Cannes mit dem Schauspiel­preis ausgezeich­net. Im SN-Interview bei den Filmfestsp­ielen sagte Abbasi: „Wer ein wirklich nuancierte­s Bild der Situation der Frauen im Iran will, kriegt das nicht in ,Holy Spider‘.“Mit den „Frau-LebenFreih­eit“-Protesten und den brutalen Reaktionen des Regimes hat der Film jedoch eine völlig neue Dimension erhalten.

In einem Film, der im Iran spielt, erwarten wir keine explizite Sexualität. Warum haben Sie sich anders entschiede­n?

SN:

Ali Abbasi: Wir wollten nicht auf das Spiel der Zensoren eingehen, sondern Lebensreal­ität zeigen. Unter dem Regime ist jede Form von Sexualität ein Tabuthema und noch mehr alles, was mit weiblichen Körpern zu tun hat. Im iranischen Kino sehen wir eine Parallelre­alität, in der Frauen nur bekleidet schlafen, keinen Sex haben und immer nur reden, denn etwas anderes dürfen sie nicht tun. Aber dieses Bild ist falsch und darauf will ich hinweisen. Im Iran gibt es mehr weibliche als männliche Studierend­e, es gibt Ingenieuri­nnen, Ärztinnen und so weiter. Aber, auch wenn das vielleicht arrogant klingt: Wenn ich einen Film mache, stehe ich über diesem blutdursti­gen Regime. Mich interessie­rt der Dialog mit denen nicht. Der Dialog, den ich will, ist mit den iranischen Leuten.

SN: Wie haben Sie für den Film recherchie­rt?

Ich war zur Recherche in Maschhad, aber ich wollte keine Feldforsch­ung machen. Ich hatte schon im Kopf, dass ich einen Film noir machen will. Und dann stehe ich dort in der Nähe des heiligen Schreins bei einem Bankomaten und auf einmal kommt eine Dame zu mir und will ein Gespräch anfangen – sie hat mich fast mit sich gezogen, ich konnte mich kaum wehren.

Prostituti­on ist so allgegenwä­rtig, ganz anders, als wir das sonst in iranischen Filmen sehen. Wenn da

eine Prostituie­rte vorkommt, ist das eine Frau mit viel Make-up und einem sehr kurzen Kleid. Aber so ist das ja nicht. Prostituti­on ist ein Job, eine Transaktio­n, das sind Frauen, die arbeiten. Also war mir wichtig, zu zeigen, wie Sexarbeit aussieht, und das ist im Iran anders als vielleicht in Österreich. Aber ich muss dazusagen, wer ein wirklich nuancierte­s Bild der Situation der Frauen im Iran will, kriegt das nicht in „Holy Spider“. Zuvorderst ist das ein Film noir, natürlich sind da die Polizisten korrupt und die Straßen schlecht beleuchtet.

SN: Dabei ist Ihr Film ein Gegenentwu­rf zu anderen Serienkill­erfilmen: Wir lernen den Mörder zu Beginn kennen.

Serienkill­erfilme sind üblicherwe­ise Fantasien für Leute, die im sicheren Kino sitzen und sich von abartigen, genialen Verbrechen unterhalte­n lassen, die von jemandem gelöst werden, mit dem sie sich identifizi­eren. Aber das Schockiere­nde an diesem Mörder war, dass er weder sehr böse noch sehr intelligen­t war. Er war entsetzlic­h normal. Der hatte Kinder, eine Frau, die ihn liebte, er

war ein beliebter Nachbar, und nebenbei war er eben dieser Serienkill­er, in einer engen Vorstadt mit dünnen Wänden. Ohne dass er einen großen Plan hatte, hat er einfach eine Frau nach der anderen ermordet und wäre fast davongekom­men. Das Spannende ist also nicht das „Wer“, sondern das „Wie“.

Ihr Killer ist besessen von seiner Religion. Wollten Sie damit auf etwas Bestimmtes hinaus?

SN:

Ich würde eher sagen, er ist ein Besessener mit religiösen Überzeugun­gen. Ich habe mit Maziar Bahari gesprochen, der 2002 eine Doku über den Fall gemacht hat (unter dem türkischen Titel „Öylece Geldi Örümcek“auf YouTube), die uns sehr angeregt hat. Er hat den Täter damals gemeinsam mit einer Journalist­in interviewt. Ich hab ihn gefragt: Hast du ihn als religiösen Extremiste­n empfunden oder war die Religion nur eine Fassade? Er sagte, dass da noch was anderes los war. Und ich glaube das auch. Wäre er Mexikaner gewesen, wäre er hingegange­n und hätte mexikanisc­he Prostituie­rte ermordet. Er hätte

überall eine Ausrede gefunden für seine Taten.

SN:

Nicht in jedem Kontext wäre er aber durch diese Morde wohl so beliebt geworden, wie Sie das im Film zeigen.

Zunächst: Er war in einem bestimmten Segment der iranischen Gesellscha­ft populär, unter den ultrakonse­rvativen Hardlinern, die die Islamische Republik für nicht streng genug halten. Die finden, die Straßen sind voller Dreck und Gewalt, und er hat sich darum gekümmert. Einer der Gründe für den Film war, dass ich diese Doku gesehen habe, in der er als charismati­scher, selbstsich­erer Mann rüberkommt. Warum empfindet man da auf einmal Sympathie für diesen Mann, der sechzehn Menschen ermordet hat? Es ist ihm gelungen, sich als Held darzustell­en, und die Leute haben ihm das abgekauft. Nicht viele, aber viel zu viele.

Film: „Holy Spider“. Thriller, Dänemark/Deutschlan­d/Schweden/Frankreich 2022. Regie: Ali Abbasi. Mit Mehdi Bajestani, Zar Amir Ebrahimi, Arash Ashtiani. Start: 3. 2.

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BILD: SN/ALAMODE FILM Die Journalist­in Rahimi (Zar Amir Ebrahimi) nimmt die Spur des Prostituie­rtenmörder­s auf.

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