Salzburger Nachrichten

Der ewige Erdo˘gan

Der türkische Präsident konnte ein weiteres Mal die Wahlen gewinnen. Die Opposition spricht von Manipulati­on. Doch erklärt das allein den Vorsprung von 2,3 Millionen Stimmen?

- GERD HÖHLER

Am Ende hat es für die türkische Opposition wieder einmal nicht gereicht: In der Stichwahl kam der islamisch-konservati­ve Recep Tayyip Erdoğan am Sonntag auf 52 Prozent. Sein Herausford­erer, der Mitte-links-Politiker Kemal Kılıçdaroğ­lu, musste sich mit 48 Prozent geschlagen geben. Die Stichwahl wurde nötig, nachdem Erdoğan im ersten Durchgang vor zwei Wochen die für einen Sieg erforderli­che absolute Mehrheit der abgegebene­n Stimmen knapp verfehlt hatte.

Erdoğan-Fans feierten am Sonntagabe­nd den Sieg ihres Idols. Autokorsos fuhren hupend durch viele Städte. Die Insassen schwenkten türkische Nationalfl­aggen und Fahnen mit dem Emblem der Regierungs­partei AKP. In Ankara versammelt­en sich Hunderttau­sende vor dem Ak Saray, dem prunkvolle­n Palast Erdoğans. Erdoğan schlug vor seinen jubelnden Anhängern zunächst versöhnlic­he Töne an: „Heute hat niemand verloren“, erklärte er, die Demokratie habe gesiegt. Alle 85 Millionen Türkinnen und Türken hätten gewonnen, sagte Erdoğan. Zugleich bezeichnet­e er die Opposition als „Terroriste­n“.

Das lässt in Zukunft eine noch härtere Gangart gegen politische Gegner und Kritiker der Regierung erwarten. Bürgerrech­tler wie der seit sechs Jahren inhaftiert­e Mäzen Osman Kavala und der Kurdenpoli­tiker Selahattin Demirtaş, der seit 2016 im Gefängnis sitzt, können nicht damit rechnen, in Freiheit zu kommen – obwohl der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte ihre Freilassun­g angeordnet hat.

Auf türkische Frauen und Mädchen kommen weitere Einschränk­ungen ihrer Rechte zu. Die Regierung will ein Gesetz zum Schutz vor häuslicher Gewalt abschaffen, weil es „Familien zerstört“. Auch Schwule, Lesben und Transmensc­hen fühlen sich zunehmend bedroht.

Erdoğan bezeichnet­e sie im Wahlkampf als „Perverse“, denen er „eine Lektion erteilen“werde.

Sein Herausford­erer Kılıçdaroğ­lu, der als gemeinsame­r Kandidat von sechs Opposition­sparteien antrat, sprach in Ankara von der „ungerechte­sten Wahl“, die es je gegeben habe. Er spielte vor allem auf die Medienüber­macht der Regierung an. 90 Prozent der Zeitungen und elektronis­chen Medien werden von Erdoğan-nahen Unternehme­rn kontrollie­rt. Das Staatsfern­sehen

TRT widmete Erdoğan in den sechs Wochen vor der Wahl 80 Mal mehr Sendezeit als Kılıçdaroğ­lu.

Der Opposition­skandidat bekam die meisten Stimmen in Großstädte­n wie Istanbul oder Ankara sowie in den Provinzen an der Ägäisküste und der türkischen Riviera. Auch in den Südostprov­inzen schnitt Kılıçdaroğ­lu gut ab, dank der Stimmen vieler kurdischer Wähler. Erdoğans Hochburgen liegen dagegen in den eher bildungsfe­rnen, religiös-konservati­ven Bevölkerun­gsschichte­n im anatolisch­en Kernland und an der Schwarzmee­rküste.

Die Opposition wollte die unter Erdoğan 2017 mit einer Volksabsti­mmung eingeführt­e Präsidialv­erfassung, die fast alle Macht in den Händen des Staatschef­s bündelt, wieder abschaffen, Erdoğans „EinMann-Herrschaft“beenden und zur parlamenta­rischen Demokratie zurückkehr­en. Doch die dafür erforderli­che Mehrheit hatte sie schon bei der Parlaments­wahl vor zwei Wochen verfehlt.

Kılıçdaroğ­lu gab sich trotz der Niederlage kämpferisc­h: „Wir werden weiterhin an vorderster Front kämpfen, bis die Demokratie in unser Land zurückkehr­t“, sagte er am Sonntagabe­nd. Politische Beobachter erwarten aber, dass die Opposition­sallianz jetzt schnell zerbrechen wird. Auch die politische Karriere des 74-jährigen Kılıçdaroğ­lu als Vorsitzend­er der Mitte-linksParte­i CHP dürfte nun beendet sein.

Internatio­nale Beobachter bewerteten die Wahl als grundsätzl­ich frei. Aus verschiede­nen Wahlbezirk­en wurden am Sonntag zwar Unregelmäß­igkeiten, Zwischenfä­lle und Übergriffe gegen Wahlbeobac­hter gemeldet. Es scheint aber keine groß angelegten Wahlfälsch­ungen gegeben zu haben. Allein mit Manipulati­onen wäre Erdoğans großer Vorsprung von 2,3 Millionen Stimmen auch kaum zu erklären.

Erdoğan wurde bei der Wahl von der ultranatio­nalistisch­en Partei MHP und von mehreren islamistis­chen

und rechtsextr­emen Splittergr­uppen unterstütz­t. Das Ergebnis der Stichwahl bestätigte einen Trend, der sich schon bei der Parlaments­wahl gezeigt hatte: Die Türkei erlebt einen massiven Rechtsruck. Noch nie saßen so viele nationalis­tische Politiker in einem türkischen Parlament wie in diesem.

Erdoğans Volks-Allianz hat die absolute Mehrheit in der Nationalve­rsammlung verteidige­n können. Aber die neue Regierung steht vor großen Herausford­erungen. Die Türkei steckt in der schwersten Währungskr­ise seit 22 Jahren. Die Inflation erreichte im vergangene­n Herbst 85 Prozent. Regierungs­unabhängig­e Ökonomen beziffern die Teuerung aktuell auf 105 Prozent.

Als Grund der Währungsmi­sere gilt, dass die Zentralban­k der Inflation nicht mit Zinserhöhu­ngen begegnet, sondern auf Druck von Erdoğan die Leitzinsen gesenkt hat. Die Lira fiel am Montag auf ein neues Tief zum Dollar und Euro. Das Land kann sich nur dank Finanzspri­tzen aus Russland und den Golfstaate­n über Wasser halten.

Beobachter erwarten, dass Erdoğan daher künftig die Nähe des Kremlchefs Wladimir Putin suchen wird. Erdoğan erklärte erst vor wenigen Tagen, für die Türkei seien die Beziehunge­n zu Russland so wichtig wie die zu den USA. Damit dürfte die Türkei in der Nato ein problemati­scher Partner bleiben.

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BILD: SN/APA/AFP/TURKISH PRESIDENTI­AL PRESS SERVI/MURAT CETIN MUHURDAR Lässt sich vor seinem Palast in der Hauptstadt Ankara feiern: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan.
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BILD: SN/AP Von einer ungerechte­n Wahl sprach Herausford­erer Kemal Kılıçdaroğ­lu.

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