Warten auf neues Zugmaterial
Hunderte neue Züge für Nah- und Fernverkehr haben die ÖBB bestellt, doch es dauert, bis sie kommen. Warum das so ist und warum der neue Railjet nur in eine Richtung fahren darf.
Wer derzeit mit der Bahn außerhalb der Weststrecke unterwegs ist, fühlt sich möglicherweise wie im falschen Zug. Zwischen Linz und Graz sind teils City-Shuttle-Waggons aus den 70er-Jahren unterwegs, auf der Südstrecke fahren – neben Railjets – auch alte IC-Garnituren. Sie erfüllen in der Regel genauso ihren Zweck, Fahrgäste von A nach B zu bringen, passen aber nicht zu den flotten Werbesprüchen der ÖBB. Und schon gar nicht zu den Milliarden, die derzeit in neues Zugmaterial investiert werden. Damit soll der Umstieg auf die Schiene attraktiv werden. Vor allem aber soll die – durch das Klimaticket – gestiegene Zahl von Fahrgästen gemeistert werden. Denn das System Bahn ist auf den Hauptstrecken und an starken Reisetagen bereits oft am Anschlag.
Doch Bestellungen dauern und laufen nicht immer wie geplant – siehe die neuen Nachtzüge. Konzernchef Andreas Matthä selbst hat mehrfach auf Lieferverzögerungen von „zum Teil zwei Jahren“beim langjährigen Haus- und Hoflieferanten Siemens hingewiesen. Noch mehr schmerzt die ÖBB, dass Siemens Mobility auch bei den neuen Railjets – quasi die Tagvariante der Nightjets – in Verzug ist. Die wären nach dem Wintereinbruch mit Zugausfällen Anfang Dezember dringend benötigt worden.
Es sind aber nicht nur Lieferkettenprobleme durch Corona und Russlands Angriff auf die Ukraine, die die Auslieferung bremsen. Offenbar geht auch die Zulassung der neuen Zugvariante holpriger als gedacht. Die oberste Behörde, die Europäische Eisenbahnagentur ERA, hat Ende November grünes Licht für die neuen Züge gegeben. Gerade noch rechtzeitig, damit die ersten sechs neuen Nightjets zum Fahrplanwechsel Richtung Hamburg eingesetzt werden konnten.
Was nicht dazugesagt wurde: Die Freigabe gilt mit Einschränkung. Die Züge dürfen nur im Ziehbetrieb fahren, nicht geschoben. Generell fährt der Railjet in der gleichen Aufstellung in beide Richtungen – einmal zieht die Lok, einmal schiebt sie, gesteuert aus dem Steuerwagen. Siemens rechnet damit, dass dieser Einzelnachweis bis nächstes Jahr nachgereicht wird. Bis dahin muss die Lok am Endbahnhof jedes Mal nach vorn verschoben werden – was nicht ideal ist, wie ÖBB-Sprecher Bernhard Rieder einräumt. Bei Nightjets ist das weniger problematisch als bei den Railjets, die ab April nun tatsächlich schrittweise
330 Züge im Wert von 6,1 Milliarden Euro
kommen sollen. „Die Züge verlieren dadurch an Flexibilität“, räumt Rieder ein, was bedeutet, dass es länger dauert. Die neue Generation ist um zwei Waggons länger und speziell für den Einsatz am Brenner, denn in Südtirol sind die Bahnsteige für zwei gekoppelte Railjets zu kurz.
Die Zulassungen verkomplizieren auch neue EU-Regeln. Die Nightjets sind eine vollständige und komplexe Neuentwicklung, für die durch das vierte Eisenbahnpaket, das seit Herbst 2020 in Kraft ist, eine noch aufwendigere Dokumentation erforderlich ist. Dazu kommen auch immer wieder neue nationale Regeln, wie etwa verschärfte Brandschutzbestimmungen in Italien.
Insgesamt seien rund 330 neue Züge im Anrollen, für die in Summe 6,1 Milliarden Euro budgetiert sind, sagt Rieder. Darunter finden sich neben 33 Nightjets und acht Railjets der neuen Generation auch 27 moderne Züge, die ab nächstem Jahr zwischen Graz und Linz fahren sollen, weitere Nahverkehrszüge ebenso wie Akkuzüge, die ab 2028 auf nicht elektrifizierten Strecken Dieselloks ersetzen. Im Vorjahr hat die Staatsbahn einen weiteren Rahmenvertrag mit Siemens für 540 Schnellbahn- und Regionalzüge abgeschlossen. Im Jänner wurden 70 davon – konkret neuartige „Mireo“im Wert von 800 Mill. Euro – abgerufen, für die wieder eine Zulassung nötig ist.
Siemens wehrt sich gegen das Bild, allein an der Materialknappheit der ÖBB schuld zu sein. „Wir sind einer der verlässlichsten Partner der Bahn und haben höchste
Ansprüche an uns selbst“, betont Siemens-Mobility-Sprecher Michael Braun, wie die seit Jahren im Einsatz befindlichen 60 Railjets zeigten oder die pünktliche bzw. sogar früher als vereinbarte Auslieferung von Desiro ML Cityjets. „Daher sind wir zerknirscht, dass das Projekt Tag- und Nachtzug Verspätung hat“, so der Sprecher. Dass dem Vernehmen nach auch die ÖBB ihre Lieferwünsche mehrfach umgestellt haben, will er nicht kommentieren. Man habe mit den ÖBB „viele Gespräche geführt und einen guten Weg für die Zukunft vereinbart“.
Die ÖBB haben im Vorjahr auch beim Schweizer Zugbauer (und Westbahn-Lieferanten) Stadler neues Zugmaterial bestellt. Die 14 Doppelstock-Railjets sollen ab 2026 den Fernverkehr verstärken. Sie sind Teil eines Rahmenvertrags über 186 Doppelstockzüge, vor allem für den Nahverkehr. Dazu kommt eine neue Vereinbarung über bis zu 120 Batteriezüge, von denen bisher 16 abgerufen wurden. Stadler gilt als besonders zuverlässig, was die Lieferzeitpläne und auch die Zulassungen anbelangt.