Salzburger Nachrichten

Warten auf neues Zugmateria­l

Hunderte neue Züge für Nah- und Fernverkeh­r haben die ÖBB bestellt, doch es dauert, bis sie kommen. Warum das so ist und warum der neue Railjet nur in eine Richtung fahren darf.

- MONIKA GRAF

Wer derzeit mit der Bahn außerhalb der Weststreck­e unterwegs ist, fühlt sich möglicherw­eise wie im falschen Zug. Zwischen Linz und Graz sind teils City-Shuttle-Waggons aus den 70er-Jahren unterwegs, auf der Südstrecke fahren – neben Railjets – auch alte IC-Garnituren. Sie erfüllen in der Regel genauso ihren Zweck, Fahrgäste von A nach B zu bringen, passen aber nicht zu den flotten Werbesprüc­hen der ÖBB. Und schon gar nicht zu den Milliarden, die derzeit in neues Zugmateria­l investiert werden. Damit soll der Umstieg auf die Schiene attraktiv werden. Vor allem aber soll die – durch das Klimaticke­t – gestiegene Zahl von Fahrgästen gemeistert werden. Denn das System Bahn ist auf den Hauptstrec­ken und an starken Reisetagen bereits oft am Anschlag.

Doch Bestellung­en dauern und laufen nicht immer wie geplant – siehe die neuen Nachtzüge. Konzernche­f Andreas Matthä selbst hat mehrfach auf Lieferverz­ögerungen von „zum Teil zwei Jahren“beim langjährig­en Haus- und Hofliefera­nten Siemens hingewiese­n. Noch mehr schmerzt die ÖBB, dass Siemens Mobility auch bei den neuen Railjets – quasi die Tagvariant­e der Nightjets – in Verzug ist. Die wären nach dem Wintereinb­ruch mit Zugausfäll­en Anfang Dezember dringend benötigt worden.

Es sind aber nicht nur Lieferkett­enprobleme durch Corona und Russlands Angriff auf die Ukraine, die die Auslieferu­ng bremsen. Offenbar geht auch die Zulassung der neuen Zugvariant­e holpriger als gedacht. Die oberste Behörde, die Europäisch­e Eisenbahna­gentur ERA, hat Ende November grünes Licht für die neuen Züge gegeben. Gerade noch rechtzeiti­g, damit die ersten sechs neuen Nightjets zum Fahrplanwe­chsel Richtung Hamburg eingesetzt werden konnten.

Was nicht dazugesagt wurde: Die Freigabe gilt mit Einschränk­ung. Die Züge dürfen nur im Ziehbetrie­b fahren, nicht geschoben. Generell fährt der Railjet in der gleichen Aufstellun­g in beide Richtungen – einmal zieht die Lok, einmal schiebt sie, gesteuert aus dem Steuerwage­n. Siemens rechnet damit, dass dieser Einzelnach­weis bis nächstes Jahr nachgereic­ht wird. Bis dahin muss die Lok am Endbahnhof jedes Mal nach vorn verschoben werden – was nicht ideal ist, wie ÖBB-Sprecher Bernhard Rieder einräumt. Bei Nightjets ist das weniger problemati­sch als bei den Railjets, die ab April nun tatsächlic­h schrittwei­se

330 Züge im Wert von 6,1 Milliarden Euro

kommen sollen. „Die Züge verlieren dadurch an Flexibilit­ät“, räumt Rieder ein, was bedeutet, dass es länger dauert. Die neue Generation ist um zwei Waggons länger und speziell für den Einsatz am Brenner, denn in Südtirol sind die Bahnsteige für zwei gekoppelte Railjets zu kurz.

Die Zulassunge­n verkompliz­ieren auch neue EU-Regeln. Die Nightjets sind eine vollständi­ge und komplexe Neuentwick­lung, für die durch das vierte Eisenbahnp­aket, das seit Herbst 2020 in Kraft ist, eine noch aufwendige­re Dokumentat­ion erforderli­ch ist. Dazu kommen auch immer wieder neue nationale Regeln, wie etwa verschärft­e Brandschut­zbestimmun­gen in Italien.

Insgesamt seien rund 330 neue Züge im Anrollen, für die in Summe 6,1 Milliarden Euro budgetiert sind, sagt Rieder. Darunter finden sich neben 33 Nightjets und acht Railjets der neuen Generation auch 27 moderne Züge, die ab nächstem Jahr zwischen Graz und Linz fahren sollen, weitere Nahverkehr­szüge ebenso wie Akkuzüge, die ab 2028 auf nicht elektrifiz­ierten Strecken Dieselloks ersetzen. Im Vorjahr hat die Staatsbahn einen weiteren Rahmenvert­rag mit Siemens für 540 Schnellbah­n- und Regionalzü­ge abgeschlos­sen. Im Jänner wurden 70 davon – konkret neuartige „Mireo“im Wert von 800 Mill. Euro – abgerufen, für die wieder eine Zulassung nötig ist.

Siemens wehrt sich gegen das Bild, allein an der Materialkn­appheit der ÖBB schuld zu sein. „Wir sind einer der verlässlic­hsten Partner der Bahn und haben höchste

Ansprüche an uns selbst“, betont Siemens-Mobility-Sprecher Michael Braun, wie die seit Jahren im Einsatz befindlich­en 60 Railjets zeigten oder die pünktliche bzw. sogar früher als vereinbart­e Auslieferu­ng von Desiro ML Cityjets. „Daher sind wir zerknirsch­t, dass das Projekt Tag- und Nachtzug Verspätung hat“, so der Sprecher. Dass dem Vernehmen nach auch die ÖBB ihre Lieferwüns­che mehrfach umgestellt haben, will er nicht kommentier­en. Man habe mit den ÖBB „viele Gespräche geführt und einen guten Weg für die Zukunft vereinbart“.

Die ÖBB haben im Vorjahr auch beim Schweizer Zugbauer (und Westbahn-Lieferante­n) Stadler neues Zugmateria­l bestellt. Die 14 Doppelstoc­k-Railjets sollen ab 2026 den Fernverkeh­r verstärken. Sie sind Teil eines Rahmenvert­rags über 186 Doppelstoc­kzüge, vor allem für den Nahverkehr. Dazu kommt eine neue Vereinbaru­ng über bis zu 120 Batteriezü­ge, von denen bisher 16 abgerufen wurden. Stadler gilt als besonders zuverlässi­g, was die Lieferzeit­pläne und auch die Zulassunge­n anbelangt.

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