Salzburger Nachrichten

Mit alten Mustern in neues Unheil

Die Verhandlun­gen zwischen Israel und der Hamas kommen kaum voran. Es zeigt: Selbst in Anbetracht multipler humanitäre­r Katastroph­en scheinen die Entscheidu­ngsträger auf beiden Seiten keine Veränderun­g zu wollen.

- Nikolaus Wildner AUSSEN@SN.AT

Das Leben der Menschen in Israel und im Gazastreif­en wird nach dem 7. Oktober nie wieder so sein wie davor. Das gilt wenigstens für jene, die am 7. Oktober oder danach ihr Leben nicht gewaltsam verloren haben. Nichtsdest­otrotz scheinen die Entscheidu­ngsträger beider Seiten von sich und ihren Methoden überzeugt zu sein und unbeirrt daran festhalten zu wollen. Dieser Umstand kommt in den verfahrene­n Verhandlun­gen zu einem neuen Geisel-Deal zwischen Israel und der Hamas zum Ausdruck.

Die Hamas fordert einen permanente­n Waffenstil­lstand und die Enthaftung einer hohen Zahl schwer belasteter palästinen­sischer Terrorhäft­linge aus israelisch­en Gefängniss­en. Im Fall einer solchen Vereinbaru­ng droht der Rechts-außen-Rand von Netanjahus Regierung damit, seine Koalition zu sprengen. Das will Netanjahu unbedingt vermeiden. Nur keine Neuwahlen. Es soll bleiben, wie es ist. Stattdesse­n soll bald eine Offensive auf die Stadt Rafah beginnen – die letzte Hochburg der Hamas und gleichzeit­ig letzter Zufluchtso­rt für mehr als eine Million geflüchtet­e Palästinen­ser.

Aus Sorge um die vielen geflüchtet­en Zivilisten in und um Rafah gibt es scharfe Kritik an Israels Plänen und ungewöhnli­ch deutliche Ablehnung sogar von Israels Verbündete­n, allen voran den USA. Auch das österreich­ische Außenminis­terium zeigt sich besorgt und fordert den Schutz der Zivilbevöl­kerung. Vor diesem Hintergrun­d rufen die Vertreter zahlreiche­r Staaten – der USA, EU-Staaten und gemäßigter Staaten in der Region – dazu auf, den Krieg schrittwei­se zu beenden und an einer Zweistaate­nlösung zu arbeiten. Doch mit wem?

Mit Netanjahu und seiner ultrarecht­en Regierung wird das wohl nicht möglich sein. Das hat der Ministerpr­äsident zuletzt in einer Pressekonf­erenz am 21. Jänner klargemach­t: Auch in Zukunft solle Israel die Sicherheit­skontrolle über das gesamte Gebiet westlich des Jordans halten. Das sei nun einmal nicht mit palästinen­sischer Souveränit­ät vereinbar, so Netanjahu.

Während diese Aussagen Netanjahus in der Berichters­tattung über den Gazakrieg großen Widerhall gefunden haben, hat ein Beitrag des kuwaitisch­en Podcasters Ammar Taqi in der Woche vor Netanjahus Pressekonf­erenz für weniger Reaktionen gesorgt. In einem dreiteilig­en, insgesamt sechsstünd­igen Podcast war Chaled Maschal, der im katarische­n Exil lebende Auslandsch­ef und Politbüro-Führer der Hamas, zu Gast – mit seiner Sicht auf den 7. Oktober und seiner Vision für die Zukunft.

Laut Maschal haben einige Anhänger der Hamas befürchtet, dass die Organisati­on mit ihrer gewalttäti­gen Machtübern­ahme im Gazastreif­en im Jahr 2007 den Weg in die Realpoliti­k eingeschla­gen habe – und sich damit langsam mäßigen würde. Der 7. Oktober habe diesen Zweiflern klargemach­t: Die Hamas sei nicht am Regieren per se interessie­rt. Die Machtübern­ahme in Gaza habe dem Ziel gedient, die passenden Rahmenbedi­ngungen zu schaffen, um eine militärisc­he Infrastruk­tur aus Waffen und Tunneln zu entwickeln, um Israel angreifen zu können. Die Herrschaft der Hamas in Gaza sei nie ein ziviles, sondern immer ein militärisc­hes Projekt gewesen.

Weiters bezieht sich Maschal auf die auch unter westlichen Vertretern weitverbre­itete Ansicht, dass der 7. Oktober in weiterer Konsequenz einen neuen Horizont für eine Lösung des Nahostkonf­likts und eine Zweistaate­nlösung eröffnen könne. Das sei undenkbar für die Hamas, so Chaled Maschal. Statt einer Zweistaate­nlösung und der damit verbundene­n Anerkennun­g Israels sei das Ziel weiterhin die vollständi­ge „Befreiung“Palästinas, Israels Staatsgebi­et inbegriffe­n. Der 7. Oktober sei nur der Anfang der militärisc­hen „Befreiung“Palästinas gewesen und habe gezeigt, dass dieses Ziel realistisc­h sei.

Ohne es zu beweisen, behauptet Maschal auch, dass eine große Mehrheit der Palästinen­ser auf eine „Befreiung“Palästinas vom Jordanflus­s bis zum Mittelmeer hoffe, jetzt mehr denn je. Dass die Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“(„Vom Fluss bis zum Meer wird Palästina frei sein“) auf US-amerikanis­chen Universitä­tscampus und in europäisch­en Hauptstädt­en mittlerwei­le allgegenwä­rtig sei, erwähnt Maschal in diesem Zusammenha­ng ebenso. Die katastroph­ale Lage der Bevölkerun­g im Gazastreif­en seit Israels massiver Gegenoffen­sive sei der Blutzoll, den die Palästinen­ser als Märtyrer für die „Befreiung“Palästinas von Israels Existenz zahlen müssten, so Maschal aus seinem sicheren Exil.

Sollte die Hamas also in Gaza den Krieg erfolgreic­h überstehen, werden Verhandlun­gen nach Kriegsende für eine friedliche Perspektiv­e nach der Formel der Zweistaate­nlösung wohl auch kaum mit der Vision der Hamas vereinbar sein, selbst dann, wenn die internatio­nale Gemeinscha­ft dieser wenig Aufmerksam­keit widmet. Eine der Lehren aus dem 7. Oktober für viele Beobachter des Nahostkonf­likts jedoch ist: Wenn die Hamas mit etwas droht, hat sie durchaus die Absicht, ihre Drohung in die Tat umzusetzen. Man sollte ihr also zuhören.

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BILD: SN/AP/ARIEL SCHALIT Am Wochenende hat das israelisch­e Militär einen Tunnel der Terrororga­nisation Hamas unter dem Hauptquart­ier des UN-Palästinen­serhilfswe­rks in Gaza gefunden.
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