Freihändige Werbeeinschaltungen statt Medienförderung
Der pauschale Vorwurf „Inseratenkorruption“ist falsch. Öffentliche Inserate als Kompensation fehlender Politik sind auch falsch.
Aller schlechten Nachrichten sind drei:
Zuerst wird eine Studie an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien bekannt, laut der die ÖVP in der Berichterstattung von Tageszeitungen dominiert. Wermutstropfen: Laut „Kurier“hat das vom Vorwurf übermäßiger öffentlicher Einschaltungen betroffene Gratisblatt „Heute“diese elektronische Untersuchung von 250.000 Artikeln gefördert.
Dann erscheint ein Bericht des Rechnungshofs mit scharfer Kritik an 110 Millionen Euro Ausgaben für Medienarbeit von Bundeskanzleramt, Finanz- und Klimaschutzministerium von 2019 bis 2021. Schönheitsfehler: Für diesen Zeitraum fühlen sich heutige Verantwortliche unzuständig oder berufen sich auf die Ausnahmesituation wegen Corona.
Schließlich schätzt Havas Village die Werbebuchungen öffentlicher Stellen auf 1,2 Milliarden Euro brutto bzw. 600 Millionen netto. Besonderer Makel: Die vom „Standard“bei einer
Veranstaltung dieser großen Agenturgruppe registrierte Summe ist drei Mal so hoch wie jene, die bisher aufgrund des Medientransparenzgesetzes gemeldet wurde.
Jede dieser Meldungen hat Brisanz. Doch die sachliche Berichterstattung über die komplizierten Zusammenhänge unterliegt der oft vorschnell verwendeten Killer-Phrase „Inseratenkorruption“. Letztlich wird mit diesem Pauschalvorwurf nicht nur einer Branche Bestechlichkeit vorgeworfen, sondern einem Rückgrat der Demokratie – dem kritischen Journalismus. Eine derartige Beschuldigung entbehrt der Grundlage: Öffentlichen Stellen könnte höchstens der Versuch unterstellt werden, sich Wohlwollen zu erkaufen. Wie wirkungslos das ist, davon kann sich jeder täglich überzeugen. Was Abstufungen der Redlichkeit nicht ausschließt. Die WU-Studienautoren hatten keinen Zugang zum Archiv der Boulevardzeitung „Österreich“. Sie kommt deshalb nicht vor.
Das größte allgemeine Verständnisproblem entsteht aber dadurch, dass die relativ freihändigen Einschaltungen der öffentlichen Hand statt einer ausreichenden, nach klaren Kriterien gestalteten Medienförderung erfolgen. Sogar die 600 von Havas genannten Millionen für alle sind weniger, als allein der ORF jedes Jahr an Gebühr und nun Abgabe erhält. Das mag ein Vergleich von Äpfeln und Birnen sein, er zeigt aber die Schieflage im wirtschaftlichen Wettbewerb. Das neue Mediengesetzpaket ist bloß eine kleine Korrektur des medien- und demokratiepolitisch immer noch falschen Kurses in Richtung schwer durchschaubarer Inseratenvergabe statt klar reglementierter Förderung. Darüber sollten sich zumindest die Zeitungen einig sein. Doch der Wiener Boulevard schert aus. Er weiß, warum.