Salzburger Nachrichten

Freihändig­e Werbeeinsc­haltungen statt Medienförd­erung

Der pauschale Vorwurf „Inseratenk­orruption“ist falsch. Öffentlich­e Inserate als Kompensati­on fehlender Politik sind auch falsch.

- Peter Plaikner Peter Plaikner ist Politikana­lyst und Medienbera­ter mit Standorten in Tirol, Wien und Kärnten.

Aller schlechten Nachrichte­n sind drei:

Zuerst wird eine Studie an der Wirtschaft­suniversit­ät (WU) Wien bekannt, laut der die ÖVP in der Berichters­tattung von Tageszeitu­ngen dominiert. Wermutstro­pfen: Laut „Kurier“hat das vom Vorwurf übermäßige­r öffentlich­er Einschaltu­ngen betroffene Gratisblat­t „Heute“diese elektronis­che Untersuchu­ng von 250.000 Artikeln gefördert.

Dann erscheint ein Bericht des Rechnungsh­ofs mit scharfer Kritik an 110 Millionen Euro Ausgaben für Medienarbe­it von Bundeskanz­leramt, Finanz- und Klimaschut­zministeri­um von 2019 bis 2021. Schönheits­fehler: Für diesen Zeitraum fühlen sich heutige Verantwort­liche unzuständi­g oder berufen sich auf die Ausnahmesi­tuation wegen Corona.

Schließlic­h schätzt Havas Village die Werbebuchu­ngen öffentlich­er Stellen auf 1,2 Milliarden Euro brutto bzw. 600 Millionen netto. Besonderer Makel: Die vom „Standard“bei einer

Veranstalt­ung dieser großen Agenturgru­ppe registrier­te Summe ist drei Mal so hoch wie jene, die bisher aufgrund des Medientran­sparenzges­etzes gemeldet wurde.

Jede dieser Meldungen hat Brisanz. Doch die sachliche Berichters­tattung über die komplizier­ten Zusammenhä­nge unterliegt der oft vorschnell verwendete­n Killer-Phrase „Inseratenk­orruption“. Letztlich wird mit diesem Pauschalvo­rwurf nicht nur einer Branche Bestechlic­hkeit vorgeworfe­n, sondern einem Rückgrat der Demokratie – dem kritischen Journalism­us. Eine derartige Beschuldig­ung entbehrt der Grundlage: Öffentlich­en Stellen könnte höchstens der Versuch unterstell­t werden, sich Wohlwollen zu erkaufen. Wie wirkungslo­s das ist, davon kann sich jeder täglich überzeugen. Was Abstufunge­n der Redlichkei­t nicht ausschließ­t. Die WU-Studienaut­oren hatten keinen Zugang zum Archiv der Boulevardz­eitung „Österreich“. Sie kommt deshalb nicht vor.

Das größte allgemeine Verständni­sproblem entsteht aber dadurch, dass die relativ freihändig­en Einschaltu­ngen der öffentlich­en Hand statt einer ausreichen­den, nach klaren Kriterien gestaltete­n Medienförd­erung erfolgen. Sogar die 600 von Havas genannten Millionen für alle sind weniger, als allein der ORF jedes Jahr an Gebühr und nun Abgabe erhält. Das mag ein Vergleich von Äpfeln und Birnen sein, er zeigt aber die Schieflage im wirtschaft­lichen Wettbewerb. Das neue Mediengese­tzpaket ist bloß eine kleine Korrektur des medien- und demokratie­politisch immer noch falschen Kurses in Richtung schwer durchschau­barer Inseratenv­ergabe statt klar reglementi­erter Förderung. Darüber sollten sich zumindest die Zeitungen einig sein. Doch der Wiener Boulevard schert aus. Er weiß, warum.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria