Salzburger Nachrichten

Märtyrer haben langes Nachleben

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Alexej Nawalny ist tot. Wladimir Putin wird den Makel als sein Mörder nicht loswerden, trotz aller Dementis aus dem Kreml. Schon möglich, dass er den Tod seines schärfsten Kritikers nicht persönlich angeordnet hat. Aber er hat auch nichts dagegen unternomme­n beziehungs­weise seinen Vasallen im fernen Sibirien freie Hand im Umgang mit dem prominente­n Gefangenen gelassen. Das dürfte einer der schwerwieg­endsten innenpolit­ischen Fehler von Putin sein. Denn prominente Politmärty­rer leben bekanntlic­h weit über den Tod hinaus. Außenpolit­isch wird eher nicht viel passieren. Der Westen wird es bei Protestnot­en belassen. Trotz Ukraine-Kriegs. Denn man ist wirtschaft­lich immer noch zu sehr mit Russland verflochte­n. Aber innenpolit­isch sieht für Putin die Sache wesentlich anders aus.

Man kann Missstände nicht ewig durch Gewalt gegen Opposition kaschieren. Das Volk lässt sich nicht ewig knebeln. Hätte er Nawalny bewusst am Leben gelassen, so wäre wahrschein­lich auch nicht viel passiert. Nawalny hätte seinen Opposition­skampf zwar fortgesetz­t, aber er wäre für den Kremlchef keine große Gefahr gewesen. Außenpolit­isch sieht es ohnehin für Putin nicht schlecht aus.

Sollte im November Trump wieder US-Präsident werden, wird sich dann dieser wieder auf seinen Slogan „America first“besinnen und die Ukraine-Hilfe herunterfa­hren. Dann wird auch die EU-Front zu bröckeln beginnen, was den Ukraine-Beistand betrifft. Jetzt, mit Nawalnys Tod, könnte alles anders werden. Michail Gorbatscho­w war seinerzeit wesentlich konziliant­er. Er hat Regimekrit­iker wie Andrej Sacharow munter in der Duma gegen sich wettern lassen. Diesen Mut zur Demokratie hat Putin nie geschafft – und das wird sich irgendwann furchtbar rächen. Andreas Stemberger

9962 St. Veit

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