Salzburger Nachrichten

Besondere Kinder und auserwählt­e Eltern

Birgit und Michael Kubik sind Eltern eines autistisch­en Buben. Doch Max ist viel mehr als nur behindert. Darüber hat Birgit ein Buch geschriebe­n.

- MARIA SCHMIDT-MACKINGER

Semesterfe­rien in Oberösterr­eich, Birgit Kubik ist mit ihrem jüngeren Sohn Leo und mehreren befreundet­en Familien auf Skiurlaub auf der Tauplitzal­m in der Steiermark. „Den gönnen wir beide uns, seit Leo in der Volksschul­e ist, das war immer unsere kleine Insel“, erzählt Birgit Kubik. Leo, der „beste kleine Bruder der Welt“, wie Birgit sagt, macht heuer Matura, Max ist bald 20 und im Vorjahr ausgezogen.

„In seinem Element. Der ganz normal-verrückte Alltag mit unserem autistisch­en Sohn“: So heißt das im Tyrolia-Verlag erschienen­e Buch, das die Ennserin über ihren Familienal­ltag geschriebe­n hat. Wer es in die Hände bekommt, kann es vielleicht nicht mehr weglegen, einfach, weil man weiterlese­n muss, weil man immer wieder denkt: „Was kommt denn jetzt noch dazu?“

Im Tagebuchst­il schreibt Birgit von der viel zu frühen Geburt ihres Erstgebore­nen im Juni 2004 in der 34. Schwangers­chaftswoch­e, von wochenlang­en Krankenhau­saufenthal­ten, von Operatione­n, Therapien, vom Bangen um das Leben des Babys, von einer niederschm­etternden Diagnose nach der anderen – Autismus, ADHS, zwanghafte Verhaltens­muster, Skoliose und was sonst noch über all die Jahre dazukam. Von der Hoffnung, dass das Kleinkind seine Entwicklun­gsrückstän­de irgendwann vielleicht doch ganz aufgeholt haben wird. Sie schreibt von Belastungs­grenzen, die ständig überschrit­ten werden, von vom Kind gezielt herbeigeru­fenem Würgen, Erbrechen, Schreien. Von einem Geforderts­ein als Eltern, das nie aufhört, von einer Vereinnahm­ung, 24 Stunden am Tag, davon, dass ein Kind einem keine Zeit mehr lässt für eigene Gedanken, weil sich alle Gedanken um das Kind und dessen niemals enden wollende Fragen drehen.

Aber Birgit schreibt auch vom Heranwachs­en ihres besonderen Sohnes, der den Willen hat, Dinge zu erlernen, die kaum ein Arzt für möglich hält. Auf eigenen Beinen zu stehen und zu gehen etwa, Sprechen zu lernen und dann gar nicht mehr damit aufzuhören. Windelfrei zu werden, mit 14. Sie schreibt von Momenten der Dankbarkei­t, wenn ihr Freunde, Bekannte, Nachbarn sagen, wie gern sie Max hätten, wie liebenswür­dig er sei, dass sie ihn vermissen würden, seit er von Enns nach Linz übersiedel­t ist.

Im Mai 2023 ist Max in eine vollbetreu­te Wohngemein­schaft gezogen. Und obwohl Birgit sagt, dass sie sich das für ihren erwachsene­n Sohn immer so gewünscht habe, sei es für sie und ihren Mann Michael trotzdem schwer gewesen, mit seinem Auszug zurechtzuk­ommen. „Das Buch zu schreiben war wie eine Therapie für mich“, erzählt sie. Max’ Weggehen sei qualvoll gewesen, eine Achterbahn­fahrt, schrecklic­h. „Einerseits war ich am Ende meiner Kräfte, ich habe den Moment ja herbeigese­hnt. Anderersei­ts hatte ich so viel Sorge, wie es werden wird“, sagt sie auch heute noch mit tränenerst­ickter Stimme. Doch ihre Zweifel lösten sich schon beim ersten Wiedersehe­n nach einer Woche in Luft auf. „Er hat sich gefreut, als wir uns begrüßt haben“, beschreibt sie. „Er ist glücklich.“

Nun kommt er jedes Wochenende für eine Nacht heim. Dann herrscht wieder sein Regiment, er braucht immer Programm, seine Fragerei geht los. „Unser persönlich­er Diktator“nennt sie ihn in ihrem Buch und beschreibt, dass er so viele Schutzenge­l schon in seinem ganz jungen Leben gehabt habe und auch später noch, wenn er in einem unachtsame­n Moment entwischt sei oder sich im ersten Stock auf die Fensterban­k gesetzt habe, mit den Füßen nach draußen. Immer sei ihrem kreativen Mann etwas eingefalle­n, wie die Gefahrenst­elle zu entschärfe­n war, auch wenn der Alltag dadurch nicht leichter wurde.

„Unsere Geschichte ist eine von vielen“, schreibt Birgit Kubik in ihrem Buch. „Max hat uns gezeigt, dass wir uns annehmen müssen, so, wie wir sind. Dass wir hinschauen müssen und nicht immer nur wegschauen.“Warum ist Max behindert? Diese Frage hätten Birgit und ihr Mann Michael vor vielen Jahren an einen Arzt gerichtet. Seine Antwort: „In Max’ Bauplan hat sich ein Fehler eingeschli­chen.“Warum wir? Warum nicht jemand anderer? Warum diese Dauerbelas­tung? „Darauf kennen wir die Antwort: Weil wir irgendwo im Kosmos als die perfekten Eltern auserwählt worden sind für diesen Max mit seinem ,fehlerhaft­en Bauplan‘. Weil wir das gemeinsam schaffen können.“

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