Kirche und Islam über Jerusalem
Warum diese Stadt so ein Brennpunkt ist. „Zion streckt ihre Hände aus, und da ist niemand, der sie tröstet.“– Wer die Arie aus Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium „Elias“im Ohr hat, weiß um den Schmerz und die Sehnsucht, die Juden mit ihrer Heiligen St
In Liedern und in Psalmen aller christlichen Klöster ist sie allgegenwärtig: Die Tochter Zion, die schöne Frau, die auf den Einzug ihres königlichen Bräutigams gewartet hat und ihm, dem „Friedensfürsten“, nun freudig entgegeneilt. Auch die alttestamentlichen Bücher Jesaja und Ezechiel erzählen von Zion als der von Jahwe erwählten Partnerin und damit vom mythischen Ursprung der heiligen Stadt Jerusalem und von ihrem Stadtgott, der auf dem Berg Zion seinen Thronsitz hat (Ps 2,6).
Historisch gesehen gehen die Anfänge Jerusalems bis in die frühe Bronzezeit zurück. König David erobert die Stadt im 11. Jh. v. Chr. und macht sie zum Zentrum seines Reiches. Er selbst soll auf dem Tempelberg den Grundstein des Tempels gelegt haben, der dann samt Palast von seinem Sohn Salomon ausgebaut wurde – unter dem Platz des heutigen muslimischen Felsendoms. Hier befindet sich für fromme Juden der Mittelpunkt ihrer Welt, der Gründungsfels. Hier hat nach jüdischer Überlieferung Abraham fast seinen Sohn Isaak geopfert (Gen 22, 1–19); hier stand die Bundeslade mitsamt den Tafeln der Zehn Gebote, die Mose auf dem Sinai von Gott erhalten haben soll.
Von der einstigen Pracht des Tempels ist nichts geblieben, zwei Mal zerstörten ihn die Babylonier (597 und 586 v. Chr.). Der neu erbaute zweite und von Herodes dem Großen erweiterte Tempel fiel den Römern zum Opfer, die 70 n. Chr. Jerusalem zerstörten. Von ihm übrig geblieben ist allein die Klagemauer, an der Juden bis heute in die Richtung beten, an der einst ihr Tempel stand.
Bis heute wartet Zion auf den Friedensfürst. Auch Jesus, der Wanderrabbiner „aus dem Geschlecht Davids“, den Christgläubige als Christus/Messias und Sohn Gottes bekennen und der in Jerusalem einzog, um dort seine Botschaft vom Reich Gottes zu bleibt mit seiner Friedensmission erfolglos. Die Evangelien erzählen von seinem Leidensweg und schließlich seiner Hinrichtung am Kreuz. Doch Jerusalem wird auch zum Ort der Auferstehung Jesu (Lk 24, 36–49). Hier begegnet er seinen Jüngerinnen und Jüngern wieder, und es entsteht die erste christliche Gemeinde (Apg 2,42–47), die sich im Apostelkonzil gemeinsam mit Paulus zur Missionierung der damals bekannten Welt entscheidet. Jerusalem wird zum theologischen und spirituellen Zentrum der Christenheit. Kaiser Konstantin lässt im 4. Jh. n. Chr. über dem Ort, an dem das Grab Jesu vermutet wird, die Grabeskirche bauen.
Christliche Wallfahrerinnen und Wallfahrer aus der ganzen Welt strömen nach Jerusalem, Klöster und Kirchen werden errichtet. Die Stadt wird 637 n. Chr. zwar von den Muslimen erobert, doch Juden und Christgläubige erhalten Schutzbestimmungen.
Als Kalif al-Hakim jedoch 1009 die Grabeskirche zerstört und die türkische Fürstendynastie der sunnitischen Seldschuken wenig später die Kontrolle über Jerusalem übernimmt und die christlichen Wallfahrten stoppt, gewinnt die Idee eines Kreuzzugs zur Befreiung Jerusalems unter den Fürsten Europas an Einfluss. Fast 200 Jahre lang versuchen die Kreuzfahrer, das Heilige Land zu erobern und metzeln vor allem 1099 alles nieder, was jüdisch oder muslimisch ist.
Zion bleibt ungetröstet. Bis heute. Bedarf es erst des göttlichen Eingreifens beim apokalyptischen Endgericht, bis alles neu wird (Offbg 21,5) und die Gläubigen der drei großen monotheistischen Religionen friedlich vereint auf dem Tempelberg zu dem einen Gott beten, der sie doch alle miteinander
verbindet?
MOUHANAD KHORCHIDE
Die Umstände rund um die sagenumwobene Nachtreise Mohammeds sind unter den muslimischen Koranauslegern außerordentlich umstritten. Mohammed soll auf einem pferdeähnlichen Wesen namens alBuraq in Begleitung des Erzengels Gabriel diese Reise vollzogen haben, zunächst von Mekka nach Jerusalem und von dort in einer sogenannten Himmelsreise hinauf zu Gott.
Der Prophet Mohammed und seine Anhänger beteten viele Jahre Richtung Jerusalem und erst viel später Richtung Mekka. Daher wird Jerusalem als die erste Gebetsrichtung im Islam beschrieben. Offensichtlich haben sich die Muslime hierbei an der jüdischen Tradition orientiert, die damals auch auf der arabischen Halbinsel nicht unbekannt war, denn Jerusalem wurde erst im Jahre 637, also etwa sechs Jahre nach dem Tod Mohammeds, durch den zweiten Kalifen Umar ibn al-Khattab erobert. Dieser sicherte den Juden und Christen in einem Brief die Ausübung ihrer Religion sowie den Schutz ihrer Gotteshäuser und ihres Eigentums zu.
Der Felsendom wurde zwischen 687 und 691 unter dem Kalifen Abd al-Malik erbaut. Tatsächlich handelt es sich dabei aber nicht um eine Moschee, sondern um ein religiöses Siegesdenkmal. Die Inschriften deuten darauf hin, dass der Felsendom den Triumph des Islam über das Christentum symbolisieren soll. Dieses gewaltige Bauwerk wurde nicht nur gebaut, um den Islam zu rühmen, sondern auch, um die Übermacht von al-Malik über seinen erbitterten Feind, den Gegenkalifen Abdallah ibn az-Zubair mit Sitz in Mekka, zu demonstrieren. So wurde auch hier Religion instrumentalisiert, um politische Ansprüche innerhalb der gleichen Religionszugehörigkeit geltend zu machen.
Neben dem Felsendom wurde die Al-Aksa-Moschee zwischen 707 und 715 vom Kalifen al-Walid, dem Sohn des Erbauers des Felsendoms, auf den Ruinen einer byzantiverkünden,
Im ersten Vers der Sure 17 wird Gott dafür gepriesen, dass er seinem Propheten Mohammed die Nachtreise von der heiligen Moschee in Mekka in die fernste Moschee ermöglichte. Die meisten Exegeten deuten die „fernste Moschee“mit der Al-Aksa-Moschee in Jerusalem. Und so gewinnt Jerusalem durch den Koran an religiöser Bedeutung.
nischen Marienkirche erbaut. Jerusalem war damals wie Mekka ein Pilgerort der Muslime. Die arabische Bezeichnung für Jerusalem alQuds (die Heilige) kommt erstmals gegen Ende des 10. Jahrhunderts vor.
Jerusalem blieb muslimisch bis zur Eroberung durch die Kreuzfahrer 1099. Damit begann eine Welle der Verfolgung von Muslimen und Juden, die entweder getötet oder verbannt wurden. Die muslimischen Bauten am Tempelareal wurden in Kirchen umfunktioniert. 1244 eroberten die Muslime die Stadt jedoch endgültig zurück. Das Narrativ von den Kreuzzügen etablierte sich bald zu einer Großerzählung, wonach Christen ein grundsätzliches Interesse hätten, Muslime zu verfolgen. Diese Großerzählung spielt bis heute vor allem in muslimisch-fundamentalistischen Ideologien eine große Rolle bei der Begründung eines feindschaftlichen Verhältnisses von Muslimen und Christen.
Trotz all dieser Spannungen spielte Jerusalem eine zentrale Rolle im Leben vieler Propheten wie Abraham, Moses und Jesus. Es ist der einzige Ort, zu dem alle großen Figuren der drei abrahamitischen Religionen, Judentum, Christentum und Islam, einen starken Bezug hatten. Allerdings würde nur eine Entpolitisierung der Stadt ihren religiösen Gehalt in den Mittelpunkt rücken. Dies scheint mir jedoch, vor allem in der momentanen angespannten Situation im Nahen Osten, ein in absehbarer Zeit nicht realisierbarer Wunsch vieler Menschen zu sein. Vielleicht würde eine Art Internationalisierung Jerusalems als Hauptstadt der drei monotheistischen Religionen, symbolisiert durch regelmäßige Besuche hochrangiger religiöser Vertreter wie dem Papst oder dem Großscheich von al-Azhar, zu einer Entschärfung politischer Konflikte beitragen.