„Wir geben Patienten ein neues Leben“
Zertrümmerte Schädel, deformierte Kiefer, zerfranste Knochen – Werner Wurm leitet an den Landeskliniken ein Team, das besondere Aufgaben bewältigt.
Auf dem weitläufigen Gelände der Salzburger Landeskliniken steht ein grüner Containerbau, eingerichtet zwischen den Gebäuden der HNO, der Kinderklinik und der Kieferchirurgie. In diesem Objekt befindet sich das Büro von Werner Wurm. Um einen Besprechungstisch stehen vier Sessel, auf dem Tisch liegen an diesem Tag gebogene Kunststoffteile. Der Besucher bekommt eine Ahnung, was es mit ihnen auf sich hat.
Wurm (56 Jahre) arbeitet seit 1994 im Landesspital, er ist groß gewachsen, hat einen kräftigen Händedruck und ist seit 2010 Leiter der Abteilung „Kundenbetreuung im Managementbereich Medizin- und Informationstechnologie (MIT)“: „Wir sind für alle fünf Häuser im Land Salzburg zuständig.“Das Management für mehrere Tausend Endgeräte in den Spitälern und der HelpdeskSupport für die Mitarbeitenden in den Landeskliniken (fast 7000 Menschen) wird von den rund 150 MIT-Leuten unbemerkt von der Öffentlichkeit bewältigt.
Doch die MIT schaffte es zuletzt mit einem Arbeitsbereich in die Schlagzeilen, in dem sich in den jüngsten Jahren durchaus Revolutionäres getan hat. Auch mit Kompetenz aus Salzburg.
Jetzt kommen die Kunststoffteile vom Besprechungstisch ins Spiel. Wurm sagt: „Das ist noch vom Felix.“Er meint damit jenen Zehnjährigen aus dem benachbarten Ainring (Bayern), der am 28. Dezember seinem Vater bei Forstarbeiten hilft. Dabei reißt ein Zugseil, eine Metallmuffe trifft Felix am Kopf und zertrümmert Teile seiner rechten Schädeldecke.
Medizinische Kompetenz bei der Erstversorgung und danach an den SALK hält den Buben am Leben. Und nach wenigen Tagen ist auch die hauseigene MIT gefragt. Wieder einmal.
Die SALK verfügen über ein 3D-Labor, in dem Implantate hergestellt werden. Beim Aufbau dieses Labors ab 2011 war neben Wurm auch der Kieferchirurg Simon Enzinger eine der treibenden Kräfte. Wurm: „Wir haben uns am Anfang einmal einen 3DDrucker vom Tchibo besorgt. Der steht heute noch hier im Keller.“
Wenngleich nicht mehr in Verwendung. In einem mit Hightech gespickten Raum in der Kieferchirurgie befindet sich heute das
Herzstück des Labors, ein hochpräziser 3D-Drucker.
Dieser fertigt die Kunststoffimplantate an, die deformierte Knochen ersetzen. Da bei Felix die rechte Schädelseite zerstört war, wurde die linke gespiegelt als Vorlage genommen. Dafür werden Daten aus der Computertomografie erfasst und entsprechend verarbeitet. Was hier verknappt dargestellt ist, ist ein hochkomplexer Vorgang. Nicht nur, was die Technik betrifft. Wurm: „Du kannst noch so viel Geld investieren, wenn du die Menschen dafür nicht hast.“
Mit viel Geduld errechnen die
MIT-Spezialisten Mark György und Marco Leukermoser über Tage hinweg die Implantate. Sie drucken erste Entwürfe aus – wie jene, die auf dem Besprechungstisch bei Wurm liegen. Nach Rücksprache mit den behandelnden Ärzten wird dann das eigentliche Implantat angefertigt.
Der Drucker schichtet Fäden um Fäden aus 450 Grad heißem Polyetheretherketon aufeinander. Der unter strengen Hygienebestimmungen ablaufende Prozess dauert Stunden bis Tage und ist auch eine Nervenprobe für die MIT-Leute. Wurm: „Wenn wir sagen, das Implantat ist an einem bestimmten Tag um 12 Uhr fertig, dann will das OP-Team dann anfangen.“Verzögerungen seien inakzeptabel, immerhin gehe es um das Wohl der Patienten.
Der Eingriff bei Felix verlief reibungslos. Fünf Wochen nach dem Horrorunfall konnte die Familie den Buben gesund nach Hause holen. Nicht nur Felix profitiert. Es gibt Patienten mit zertrümmerten Schlüsselbeinen, jene, denen Krebs den Unterkiefer zerfraß, und viele mehr. Wurm sagt: „Wir können diesen Menschen ein neues Leben geben.“
Das ist eine starke, empathische Note in der oft als seelenlos missverstandenen Informatikbranche. „Wir bekommen deshalb viel von den Schicksalen dieser Menschen mit“, sagt Wurm. Abschalten tut not. Wurm ist noch immer leidenschaftlicher Motorradfahrer. Auch die Familie mit zwei erwachsenen Kindern schwingt sich aufs Bike: „Wir sind aber mehr die Motorradwanderer.“
Werner Wurm ist seit 30 Jahren Teil der sich dynamisch entwickelnden IT-Welt. Enzinger, Arzt mit zwei Doktoraten, sagt, dass sich die 3D-Technologie in der Medizin erst am Anfang befinde: „Das, was wir jetzt haben, ist nur die Spitze des Eisbergs.“Im „Abend meiner Berufskarriere“(Wurm) wird sich also noch einiges tun.