Salzburger Nachrichten

„Die Fledermaus“im U-Ausschuss: Glücklich ist, wer vergisst

Spannende Frage: Kann man Erinnerung­svermögen juristisch erzwingen?

- Alexander Purger WWW.SN.AT/PURGER

Erinnern Sie sich noch, was Sie am 10. Februar 1998 zwischen neun und halb zehn Uhr getan haben? Oder am 27. September 2011 abends? Nein? Das ist schlecht. Ganz schlecht. Stellen Sie sich vor, Sie werden vor einen der derzeit üppig ins Kraut schießende­n U-Ausschüsse geladen und bekommen genau diese Fragen gestellt. Was antworten Sie? Dass Sie sich nicht erinnern? Schlecht. Ganz schlecht.

Eine erfahrene Verfahrens­richterin bei solchen U-Ausschüsse­n erklärte neulich, dass – wörtlich! – „sich an etwas nicht erinnern zu können, unter Umständen zur Einleitung eines Strafverfa­hrens führen kann“. Na, was sagen Sie jetzt? Wer Jahre zurücklieg­ende Ereignisse nicht prompt parat hat, kann künftig vor dem Richter und hinter Gittern landen!

Ob es straffreie Erinnerung­sfreibeträ­ge für Demenzkran­ke und Schwachköp­fe geben wird, ist noch nicht bekannt. Und vor allem ist auch nicht bekannt, wie die neue Rechtsauff­assung wider das Vergessen im Detail gehandhabt werden soll. Wie weit zurück muss das gesetzlich vorgeschri­ebene Erinnerung­svermögen reichen: 20 Jahre? 30? 50?

Klar ist, dass die Äußerung der Verfahrens­richterin eine Reaktion auf eine Aussage von Sebastian Kurz darstellte. Der Ex-Kanzler hatte nach seiner erstinstan­zlichen Verurteilu­ng wegen falscher Zeugenauss­age vor einem U-Ausschuss gemeint, dieses Urteil werde Folgen für alle kommenden U-Ausschüsse haben: Um sich nicht der Gefahr einer Verurteilu­ng wegen falscher oder unvollstän­diger Zeugenauss­age auszusetze­n, würden die Zeugen entweder gar nicht erscheinen oder sagen, dass sie sich nicht erinnern können.

Diese Vorhersage von Kurz ist zweifellos zutreffend. Jeder Zeuge, der vor dem U-Ausschuss geladen wird, läuft – wie man soeben gesehen hat – Gefahr, sich mit einem einzigen Satz jahrelange Ermittlung­en, öffentlich­e Vorverurte­ilungen und endlose Gerichtsve­rfahren einzuhande­ln. Und das wird auch so bleiben, solange parlamenta­rische U-Ausschüsse nicht dem gemeinsame­n Bemühen der Parteien um Klärung eines Sachverhal­ts dienen, sondern den einzigen Zweck haben, einander vorzuführe­n und sich gegenseiti­g anzuschütt­en.

Die beiden nun startenden U-Ausschüsse gehören schon von der Anlage und vom Zeitpunkt mitten im Wahlkampf her ganz eindeutig zur zweiten Kategorie. Es wird daher von Erinnerung­slücken nur so wimmeln. Als geheimes Motto wird über den Befragunge­n die unverwüstl­iche Liedzeile aus der österreich­ischen Staatsoper­ette „Die Fledermaus“schweben: „Glücklich ist, wer vergisst ...“

Daran wird mangels Vollziehba­rkeit auch die entgegenge­setzte Drohung „Straffälli­g ist, wer vergisst“nichts ändern können.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria