Frankreich hebt das Recht auf Abtreibung in die Verfassung
Am Montag soll die „garantierte Freiheit auf Schwangerschaftsabbruch“Verfassungsrang erhalten. Es ist ein politischer Coup für Präsident Macron, Linke und Grüne. Und eine weltweite Premiere.
„Niemals wieder die Engelmacherinnen, Kleiderbügel, Nadeln – sagen wir unseren Töchtern, Nichten, Enkelinnen: Heute und von jetzt an seid ihr frei, über eure Leben zu entscheiden“, betonte die grüne Senatorin Mélanie Vogel am Mittwochabend. Sie wischte sich ein paar Freudentränen aus den Augenwinkeln, als sie sich aus der langen Umarmung mit Kolleginnen aus dem Senat löste. Es war ein emotionaler politischer Kampf mit ungewissem Ausgang, den sie und ihre Mitstreiterinnen vorläufig gewonnen haben.
Am Mittwoch beschloss der Senat, das Oberhaus des französischen Parlaments, mit 267 gegen 50 Stimmen die Aufnahme der „garantierten Freiheit der Frau, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen“, in die Verfassung. Die Nationalversammlung hatte dies zuvor schon beschlossen. Damit wurde der Weg frei für eine finale Abstimmung im Kongress in Versailles, also beider Parlamentskammern, an diesem Montag. Eine
Zweidrittelmehrheit ist nötig für eine Verfassungsänderung. Sie ist nun greifbar – und Frankreich könnte das erste Land auf der Welt werden, das diesen höchsten Schutz für das Recht auf Abtreibung vorsieht.
Es ist ein Triumph für die Grünen und die Linken, deren Fraktionschefin Mathilde Panot den Vorschlag im Herbst 2022 eingebracht hatte. Dies galt als Reaktion auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in den USA wenige Monate zuvor, der das bundesweit geltende Recht auf Abtreibungen aufgehoben hatte.
Jubeln kann nun aber auch das Lager von Präsident Emmanuel Macron, das sich ebenfalls für eine Verfassungsänderung ausgesprochen hatte; wohl auch um Marine Le Pen vom rechtsextremen Rassemblement National in Bedrängnis zu bringen. Diese forderte 2012 in ihrem Wahlkampfprogramm noch, die Kosten nicht mehr durch die Sozialversicherung zu erstatten, um „Komfortabtreibungen“zu verhindern. Nun war Le Pen nicht mehr so eindeutig gegen die neue Maßnahme, auch wenn sie „all die Aufregung“für nicht gerechtfertigt halte.
Lange galt die Zustimmung durch den mehrheitlich konservativen Senat als ungewiss. So wandte Senatspräsident Gérard Larcher von den Republikanern ein, die französische Verfassung sei „kein Katalog sozialer und gesellschaftlicher Rechte“. Doch die Senatsmitglieder
gaben letztlich dem Druck von Frauenrechtlerinnen und der öffentlichen Meinung nach. In einer aktuellen Umfrage sprachen sich 81 Prozent der Menschen in Frankreich für die Verankerung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch in der Verfassung aus.
Dieses wird als gesellschaftliche Errungenschaft angesehen, seit es die damalige Gesundheitsministerin und spätere EU-Kommissionspräsidentin Simone Veil 1975 gegen viel Widerstand erkämpft hat. Zuvor
hatten 343 Frauen, darunter die Schauspielerin Catherine Deneuve und die Schriftstellerin Marguerite Duras, im „Manifest der 343“im April 1971 öffentlich zugegeben, selbst einen damals noch illegalen Schwangerschaftsabbruch hinter sich zu haben.
Das Ziel der Verfassungsänderung in Frankreich besteht laut der sozialistischen Senatorin Laurence Rossignol darin, „ein Zeichen an die Frauen der ganzen Welt zu schicken: Ihr seid nicht allein.“Weltweit sterbe jede neunte Minute eine Frau an den Folgen einer heimlichen Abtreibung. Dieses für sie so wichtige Recht werde in vielen von Rechtsnationalisten regierten Ländern von Argentinien bis Ungarn eingeschränkt; deshalb gelte es vorzusorgen, bevor es dazu kommen könne, sagt Rossignol: „Ich glaube nicht, dass die Rechtsextremen in Frankreich anders sind.“
Die Zahl der Abtreibungen liegt in Frankreich seit 20 Jahren relativ stabil bei rund 230.000 pro Jahr. Allerdings gibt es beim Zugang große Unterschiede zwischen ländlichen und städtischen Gebieten.
„Ein Zeichen an die Frauen der ganzen Welt: Ihr seid nicht allein.“Laurence Rossignol, Senatorin