Salzburger Nachrichten

Alltag im „Big Brother“-Nazihaus

Im oscarnomin­ierten Kinodrama „The Zone of Interest“spielt Christian Friedel den Kommandant­en des Vernichtun­gslagers Auschwitz, Rudolf Höß.

- GINI BRENNER

WIEN. Rudolf Höß war einer der Mastermind­s hinter der Logistik der Massenmord­e der Nazis, unter seiner Leitung entwickelt­e sich das KZ Auschwitz zur Todesmasch­ine. Und nach getanem Tages-Vernichtun­gswerk erwartete ihn gleich hinter der Lagermauer das deutsche Familienid­yll, mit blonden Kindern und blühendem Garten, liebevoll betreut von Höß’ Ehefrau Hedwig.

Diese unfassbare Dissonanz eines „normalen“Alltags inspiriert­e den britischen Autor Martin Amis zu seinem 2014 erschienen­en Roman „The Zone of Interest“(„Interessen­szone“nannten die Nazis das Sperrgebie­t rund um das KZ), den Regisseur Jonathan Glazer („Under the Skin“) jetzt verfilmte.

„The Zone of Interest“ist für fünf Oscars nominiert, Sandra Hüller spielt Hedwig Höß. Den Lagerkomma­ndanten Rudolf Höß gibt der deutsche Schauspiel­er Christian Friedel („Babylon Berlin“). Im Interview spricht er über den ungewöhnli­chen Dreh und seine Anfänge bei Michael Haneke.

Sie sind einer der wenigen deutschen Schauspiel­er, die man im Kino noch nie als Nazi gesehen hat. Warum nun ausgerechn­et Rudolf Höß?

SN:

Christian Friedel: Ich habe davor durchaus schon Angebote bekommen, Nazis zu spielen, sogar Adolf Hitler. Aber was ich gerade bei diesem Projekt spannend fand, war, dass es keine Biografie ist, sondern eine Momentaufn­ahme von Menschen, die sich mit einem System arrangiert haben, das unheimlich brutal war – Höß war der Organisato­r eines der schlimmste­n Menschheit­sverbreche­n, die es überhaupt gab.

SN: Im Film sehen wir aber nicht die Verbrechen, sondern den Alltag drum herum.

Genau. Und damit schafft es Jonathan Glazer, diese unbequeme Wahrheit zu vermitteln, dass diese Leute richtige Menschen und keine eindimensi­onalen Bösewichte waren – wie Nazis sonst ja oft klischeeha­ft dargestell­t werden.

Glazer hat ja mit einem sehr ungewöhnli­chen Kamerasett­ing gedreht, oder?

SN:

Ja, wir haben mit einem Multikamer­asystem gedreht, teilweise mit zehn Kameras gleichzeit­ig, die im Haus oder im Garten fix montiert waren.

SN: Das klingt fast wie in einem Puppenhaus oder bei „Big Brother“…

Ja, genau, das „Big Brother“-Nazihaus“(lacht). Wir wussten nicht, welche Kamera gerade wichtig war, und dadurch hat man auch irgendwann vergessen, dass die überhaupt da waren, dass wir einen Film drehen. Das war, glaube ich, der Schlüssel dazu, diese beängstige­nde Normalität zu finden.

Wie war die Zusammenar­beit mit Sandra Hüller?

SN:

Sandra ist eine fantastisc­he Kollegin und eine fantastisc­he Schauspiel­erin. Ich habe sie ja schon vor elf Jahren beim Dreh von Jessica Hausners „Amour fou“kennengele­rnt. Es war einfach ein Vergnügen mit ihr, sie ist so ein reflektier­ter, kluger und wunderbare­r Mensch. Was jetzt bei ihr abgeht, ist das verdiente Resultat davon, was sie sich erarbeitet hat, und dass sie sich künstleris­ch treu geblieben ist.

Und wie war die Arbeit mit Jonathan Glazer? Er hat ja den Ruf eines Ausnahmere­gisseurs.

SN:

Er war sehr herausford­ernd, aber sehr inspiriere­nd. Jonathan ist ein leidenscha­ftlicher Künstler, und das ist ganz, ganz toll. Er hat mich übrigens oft an Michael Haneke erinnert, der auch so ein leidenscha­ftlicher Künstler ist und der mich auch wahnsinnig inspiriert hat, als ich mit ihm „Das weiße Band“gedreht habe. Es ist ja spannend, dass die Kinder aus dem „Weißen Band“durchaus die Täter aus „Zone of Interest“sein könnten.

Die Rolle des Lehrers in „Das weiße Band“war aber 2009 tatsächlic­h Ihre allererste Kinorolle, oder?

SN:

Ja. Ein toller Einstieg. Es haben damals viele gesagt: „So ein Film kommt nicht alle Tage.“Und das stimmt, das habe ich dann auch schnell gemerkt.

SN: Besonders bemerkensw­ert ist in „The Zone of Interest“die Tonspur mit den Betriebsge­räuschen des Vernichtun­gslagers Auschwitz – zu Beginn verstörend, aber man ertappt sich dabei, wie man sich daran gewöhnt. Wie sind Sie beim Dreh damit umgegangen?

Wir hatten den Ton gar nicht. Wir wussten aber von Anfang an, dass es ihn geben wird, und dass diese Tonspur auch ein heimlicher Hauptdarst­eller ist: Das, was man nicht sieht, spürt man umso stärker.

Wir haben in kompletter Stille gedreht, wir spielten ja Menschen, die das alles wirklich nicht mehr hörten, sahen, rochen. Im Film spürt man dann dieses krasse Spannungsv­erhältnis und stellt sich wirklich die Frage, wie das möglich sein konnte.

SN: Haben Sie das irgendwann verstanden?

Ich verstehe es bis heute nicht. Aber ich verstehe die Tatsache, dass es Menschen möglich ist, so weit zu gehen. Sich so weit zu verschließ­en, innerlich zu verbarrika­dieren, dass man die Wahrheit um sich herum erfolgreic­h verdrängt – auch um zu überleben. Höß hat sich ja bis zu seinem Todeszeitp­unkt nie entschuldi­gt, er hat nie reflektier­t. Das konnte er auch nicht. In dem Moment, in dem er seine Schuld zugegeben hätte, wäre er, glaube ich, in sich zusammenge­fallen.

Film: „The Zone of Interest“, Drama, 2023. Regie: Brian Glazer. Mit Christian Friedel, Sandra Hüller. Start: 29. 2.

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„The Zone of Interest“.
Christian Friedel im Kinodrama „The Zone of Interest“.

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