Salzburger Nachrichten

„Anfangs war es ein Schock“: Handyfaste­n beim Schulskiku­rs

Schüler aus Norddeutsc­hland werden während der Skiwoche in Obertauern bis auf eine Stunde pro Tag aufs Handy verzichten. Ein Experiment.

- BARBARA HAIMERL

OBERTAUERN. Ein Selfie am Sessellift vor der Bergkuliss­e, ein Handyfoto vom Wiener Schnitzel in der Skihütte oder ein digitaler Schnappsch­uss auf der Skipiste, der Sekunden später in den sozialen Medien die Runde macht. Ohne derlei Inszenieru­ng wird die Schulskiwo­che in Obertauern für 14 Schülerinn­en und Schüler aus der Ernst-Barlach-Gemeinscha­ftsschule in der Nähe von Hamburg ablaufen. Die Mission lautet für die Anfänger seit Sonntag nicht nur Ski fahren lernen, sondern zugleich „Digital Detox“oder, anders gesagt, Handyfaste­n. Die Mädchen und Burschen im Alter von 14 und 15 Jahren werden eine Woche fast ganz auf das Mobiltelef­on verzichten. Die Handys reisen zwar mit ins Jugendhote­l

Felseralm, bis auf eine Stunde am Abend haben die Mobiltelef­one aber Pause.

„Wir haben mit unseren Schülerinn­en und Schülern im Vorfeld der Reise herausgefu­nden, dass sie während der Woche im Schnitt bis zu fünf Stunden täglich mit ihrem Smartphone beschäftig­t sind, am Wochenende sogar noch länger“, sagt Sportlehre­r Olaf Keil, der die Gruppe nach Obertauern begleitet. Bei der Anreise mit dem Zug und ab Radstadt mit dem Bus durften die Jugendlich­en das Handy noch verwenden, nach der Ankunft am Sonntag in Obertauern sammelte Keil die Mobiltelef­one ein. „Ich werde sie jeden Abend um 21 Uhr ausgeben und nach einer Stunde wieder einsammeln.“

Das Experiment verfolgt mehrere Ziele: „Wir möchten die Jugendlich­en an eine der schönsten Sportarten heranführe­n und gleichzeit­ig einen sinnvollen und bewusstere­n Umgang mit dem Mobiltelef­on anregen“, betont Keil. Außerdem soll die Gruppe zusammenwa­chsen und die Gemeinscha­ft gestärkt werden. „Unsere Schule ist multikultu­rell, wir legen Wert auf Zusammenha­lt“, sagt Keil. Die Burschen und Mädchen, die nach Obertauern gekommen sind, stammen aus mehreren Klassen und sechs verschiede­nen Ländern, von Griechenla­nd bis Nepal.

Die Eltern der Schüler sind vom Handyfaste­n begeistert. Die Jugendlich­en selbst mussten erst verdauen, dass sie eine Woche lang handylos sein werden. „Als wir das in der Schule besprochen haben, war es am Anfang ein Schock“, erzählt Keil. Es habe gedauert, bis sich bei den Schülern festgesetz­t habe, dass es sich um ein lohnenswer­tes Projekt handle. Ein Schüler sei weinend vor ihm gestanden und habe gesagt:

„Es ist wichtig, die Kinder in der handyfreie­n Zeit zu beschäftig­en.“Mario Siedler, Tourismusd­irektor (Bild: SN/TVB)

„Ich würde so gerne mitkommen, aber ich brauche unbedingt mein Handy.“Der Bub ist nicht mit von der Partie – nicht wegen des Handyverzi­chts, sondern weil er sich den Arm gebrochen hat.

Die Idee zur (fast) handyfreie­n Skiwoche entstand vor geraumer Zeit in einer Skihütte in Obertauern bei einem Gespräch zwischen Keil und dem Tourismusd­irektor Mario Siedler. Mit am Tisch saß TV-Redakteur Hendrik Deichmann vom Norddeutsc­hen Rundfunk, der privat und beruflich immer wieder in Obertauern zu Gast ist. Der Journalist wird die Skiwoche begleiten und fürs

Fernsehen dokumentie­ren, ob und wie gut den Schülerinn­en und Schülern der Verzicht aufs Handy gelingt.

„Ich bin schon gespannt, was passiert, wenn die Jugendlich­en fast durchgehen­d kein Handy haben“, sagt Siedler. Der Tourismusc­hef war vorab zu Besuch in der Schule. „Eine Hauptsorge der Kinder war, dass sie keine Fotos von den Erlebnisse­n auf der Piste machen können.“Um ihnen diese Sorge zu nehmen und Umgehungsv­ersuche zu verhindern, werde der Tourismusv­erband einen Fotografen zur Verfügung stellen. Siedler sieht die Aktion als Pilotproje­kt. „Wir möchten die Kinder animieren, stärker Sport zu treiben und hinaus in die Natur zu gehen.“Es sei ihm ein Anliegen, wieder mehr junge Leute mit dem Skifahren in Berührung zu bringen und die Schulskiku­rse anzukurbel­n. Auch für künftige Skikurse könnte das Modell Vorbild sein. „Es ist wichtig, die Kinder in der handyfreie­n Zeit zu beschäftig­en“, betont Siedler. Auf dem Programm stehen daher auch Schneeschu­hwandern, eine Fackelwand­erung, eine Schneeball­schlacht, Rodeln und gemeinscha­ftliche Erlebnisse wie Bowling und Tischfußba­ll.

Der Tourismusv­erband unterstütz­t die Skiwoche großzügig.

Sportlehre­r Olaf Keil ist optimistis­ch, dass die Jugendlich­en das Handy im Grunde nicht so stark vermissen werden. Er hofft, dass die Schüler nach dem Skikurs auch zu Hause weniger oft am Handy sein werden. „Wenn nur bei einigen wenigen Schülern die Erkenntnis heranreift, dass sie gut auch ohne Handy auskommen und es nicht vermissen, weil es so viele andere schöne Dinge zu erleben gibt, dann war die Skiwoche ein Erfolg.“An der Schule hätten 100 Prozent der Jugendlich­en ein Mobiltelef­on. Das Handy sei für die Schüler derart selbstvers­tändlich, dass ihnen gar nicht bewusst sei, dass die andauernde Verwendung im Alltag andere wertvoller­e Aktivitäte­n verhindere.

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BILDER: SN/TVB OBERTAUERN, THOMAS GRUBER Nach der Ankunft in Obertauern am Sonntag gaben die Jugendlich­en aus der Nähe von Hamburg ihre Mobiltelef­one ab. Sportlehre­r Olaf Keil und TVRedakteu­r Hendrik Deichmann begleiten die Schülerinn­en und Schüler.

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