„Anfangs war es ein Schock“: Handyfasten beim Schulskikurs
Schüler aus Norddeutschland werden während der Skiwoche in Obertauern bis auf eine Stunde pro Tag aufs Handy verzichten. Ein Experiment.
OBERTAUERN. Ein Selfie am Sessellift vor der Bergkulisse, ein Handyfoto vom Wiener Schnitzel in der Skihütte oder ein digitaler Schnappschuss auf der Skipiste, der Sekunden später in den sozialen Medien die Runde macht. Ohne derlei Inszenierung wird die Schulskiwoche in Obertauern für 14 Schülerinnen und Schüler aus der Ernst-Barlach-Gemeinschaftsschule in der Nähe von Hamburg ablaufen. Die Mission lautet für die Anfänger seit Sonntag nicht nur Ski fahren lernen, sondern zugleich „Digital Detox“oder, anders gesagt, Handyfasten. Die Mädchen und Burschen im Alter von 14 und 15 Jahren werden eine Woche fast ganz auf das Mobiltelefon verzichten. Die Handys reisen zwar mit ins Jugendhotel
Felseralm, bis auf eine Stunde am Abend haben die Mobiltelefone aber Pause.
„Wir haben mit unseren Schülerinnen und Schülern im Vorfeld der Reise herausgefunden, dass sie während der Woche im Schnitt bis zu fünf Stunden täglich mit ihrem Smartphone beschäftigt sind, am Wochenende sogar noch länger“, sagt Sportlehrer Olaf Keil, der die Gruppe nach Obertauern begleitet. Bei der Anreise mit dem Zug und ab Radstadt mit dem Bus durften die Jugendlichen das Handy noch verwenden, nach der Ankunft am Sonntag in Obertauern sammelte Keil die Mobiltelefone ein. „Ich werde sie jeden Abend um 21 Uhr ausgeben und nach einer Stunde wieder einsammeln.“
Das Experiment verfolgt mehrere Ziele: „Wir möchten die Jugendlichen an eine der schönsten Sportarten heranführen und gleichzeitig einen sinnvollen und bewussteren Umgang mit dem Mobiltelefon anregen“, betont Keil. Außerdem soll die Gruppe zusammenwachsen und die Gemeinschaft gestärkt werden. „Unsere Schule ist multikulturell, wir legen Wert auf Zusammenhalt“, sagt Keil. Die Burschen und Mädchen, die nach Obertauern gekommen sind, stammen aus mehreren Klassen und sechs verschiedenen Ländern, von Griechenland bis Nepal.
Die Eltern der Schüler sind vom Handyfasten begeistert. Die Jugendlichen selbst mussten erst verdauen, dass sie eine Woche lang handylos sein werden. „Als wir das in der Schule besprochen haben, war es am Anfang ein Schock“, erzählt Keil. Es habe gedauert, bis sich bei den Schülern festgesetzt habe, dass es sich um ein lohnenswertes Projekt handle. Ein Schüler sei weinend vor ihm gestanden und habe gesagt:
„Es ist wichtig, die Kinder in der handyfreien Zeit zu beschäftigen.“Mario Siedler, Tourismusdirektor (Bild: SN/TVB)
„Ich würde so gerne mitkommen, aber ich brauche unbedingt mein Handy.“Der Bub ist nicht mit von der Partie – nicht wegen des Handyverzichts, sondern weil er sich den Arm gebrochen hat.
Die Idee zur (fast) handyfreien Skiwoche entstand vor geraumer Zeit in einer Skihütte in Obertauern bei einem Gespräch zwischen Keil und dem Tourismusdirektor Mario Siedler. Mit am Tisch saß TV-Redakteur Hendrik Deichmann vom Norddeutschen Rundfunk, der privat und beruflich immer wieder in Obertauern zu Gast ist. Der Journalist wird die Skiwoche begleiten und fürs
Fernsehen dokumentieren, ob und wie gut den Schülerinnen und Schülern der Verzicht aufs Handy gelingt.
„Ich bin schon gespannt, was passiert, wenn die Jugendlichen fast durchgehend kein Handy haben“, sagt Siedler. Der Tourismuschef war vorab zu Besuch in der Schule. „Eine Hauptsorge der Kinder war, dass sie keine Fotos von den Erlebnissen auf der Piste machen können.“Um ihnen diese Sorge zu nehmen und Umgehungsversuche zu verhindern, werde der Tourismusverband einen Fotografen zur Verfügung stellen. Siedler sieht die Aktion als Pilotprojekt. „Wir möchten die Kinder animieren, stärker Sport zu treiben und hinaus in die Natur zu gehen.“Es sei ihm ein Anliegen, wieder mehr junge Leute mit dem Skifahren in Berührung zu bringen und die Schulskikurse anzukurbeln. Auch für künftige Skikurse könnte das Modell Vorbild sein. „Es ist wichtig, die Kinder in der handyfreien Zeit zu beschäftigen“, betont Siedler. Auf dem Programm stehen daher auch Schneeschuhwandern, eine Fackelwanderung, eine Schneeballschlacht, Rodeln und gemeinschaftliche Erlebnisse wie Bowling und Tischfußball.
Der Tourismusverband unterstützt die Skiwoche großzügig.
Sportlehrer Olaf Keil ist optimistisch, dass die Jugendlichen das Handy im Grunde nicht so stark vermissen werden. Er hofft, dass die Schüler nach dem Skikurs auch zu Hause weniger oft am Handy sein werden. „Wenn nur bei einigen wenigen Schülern die Erkenntnis heranreift, dass sie gut auch ohne Handy auskommen und es nicht vermissen, weil es so viele andere schöne Dinge zu erleben gibt, dann war die Skiwoche ein Erfolg.“An der Schule hätten 100 Prozent der Jugendlichen ein Mobiltelefon. Das Handy sei für die Schüler derart selbstverständlich, dass ihnen gar nicht bewusst sei, dass die andauernde Verwendung im Alltag andere wertvollere Aktivitäten verhindere.