Salzburger Nachrichten

Ist Joe Biden der Richtige?

Statt sich über das Alter des US-Präsidente­n Gedanken zu machen, könnten sich die US-Demokraten darauf verlegen, ihm den Rücken zu stärken.

- Christian Fahrenbach AUSSEN@SN.AT

Prozesse, Skandale, rassistisc­he Aussetzer? Wenn es um Donald Trump geht, scheint den US-Wählern alles egal. Die Republikan­er haben sich hinter den polternden Ex-Präsidente­n gestellt, um ihn wieder als Kandidaten für die Wahl im November aufzustell­en – er hat überrasche­nd gute Chancen zu gewinnen. Das liegt auch daran, dass sich die Demokraten um Joe Biden selbst zerfleisch­en.

Er leiste zu wenig Widerstand gegen Israels Benjamin Netanjahu, sagen sie. Er habe keine schlüssige­n Ideen zu den Geflüchtet­en an der Südgrenze. Und überhaupt trete er zu lasch gegen

Trump auf, was sicher eine Folge seines Alters sei, so der Vorwurf. Am besten mache der 81-Jährige in letzter Minute beim Parteitag den Weg für jemand anderen frei, fantasiert­e zuletzt der einflussre­iche „New York Times“-Kolumnist Ezra Klein stellvertr­etend für viele Linke. Wenn all die Kritiker aber nur einen einzigen Punkt nennen sollen, in dem Bidens Alter tatsächlic­h seine Politik verändert hat, stehen sie blank da.

Es ist im Gegenteil beeindruck­end, wie der 46. US-Präsident mit dünner Mehrheit das Leben von Millionen Bürgern verbessert hat. Insulin darf nur noch 35 Dollar monatlich kosten, die Kinderarmu­t ist dank neuer Freibeträg­e auf einen historisch­en Tiefstand gesunken, mehr als 132 Milliarden Dollar an Studiengeb­ühren wurden erlassen, Infrastruk­tur und Klimaschut­z im ganzen Land wurden auf Jahre hinweg mit großzügige­n Haushaltsp­osten unterfütte­rt.

Am Donnerstag muss Biden beweisen, dass er die Sorgen um seine Person zerstreuen kann. Bei der jährlichen Rede zur Lage der Nation spricht er vor dem vielleicht größten Publikum des Wahlkampfs, denn niemand weiß, ob es ein TV-Duell mit Trump geben wird. Die „State of the Union“wird dieses Jahr zur ärztlichen Vorsorgeun­tersuchung in aller Öffentlich­keit. Stolpert Biden? Verspricht er sich?

Er muss aber auch beweisen, dass er die Bedenken der Menschen ernst nimmt. Es ist keine Siegesstra­tegie, sich über Wähler zu beschweren, die einfach nicht einsehen wollen, wie gut seine Politik ist. Dass es klügere Entgegnung­en gibt, zeigte zuletzt ein Auftritt in der Late-Night-Show von Seth Meyers. Entscheide­nd sei nicht das Alter des Mannes im Weißen Haus, sondern das Alter seiner Ideen, sagte Biden da. Die Wahlkämpfe­r um ihn herum müssen mit genau solchen Antworten endlich viel häufiger zeigen, dass sie den Ernst der Lage verstehen.

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