Ist Joe Biden der Richtige?
Statt sich über das Alter des US-Präsidenten Gedanken zu machen, könnten sich die US-Demokraten darauf verlegen, ihm den Rücken zu stärken.
Prozesse, Skandale, rassistische Aussetzer? Wenn es um Donald Trump geht, scheint den US-Wählern alles egal. Die Republikaner haben sich hinter den polternden Ex-Präsidenten gestellt, um ihn wieder als Kandidaten für die Wahl im November aufzustellen – er hat überraschend gute Chancen zu gewinnen. Das liegt auch daran, dass sich die Demokraten um Joe Biden selbst zerfleischen.
Er leiste zu wenig Widerstand gegen Israels Benjamin Netanjahu, sagen sie. Er habe keine schlüssigen Ideen zu den Geflüchteten an der Südgrenze. Und überhaupt trete er zu lasch gegen
Trump auf, was sicher eine Folge seines Alters sei, so der Vorwurf. Am besten mache der 81-Jährige in letzter Minute beim Parteitag den Weg für jemand anderen frei, fantasierte zuletzt der einflussreiche „New York Times“-Kolumnist Ezra Klein stellvertretend für viele Linke. Wenn all die Kritiker aber nur einen einzigen Punkt nennen sollen, in dem Bidens Alter tatsächlich seine Politik verändert hat, stehen sie blank da.
Es ist im Gegenteil beeindruckend, wie der 46. US-Präsident mit dünner Mehrheit das Leben von Millionen Bürgern verbessert hat. Insulin darf nur noch 35 Dollar monatlich kosten, die Kinderarmut ist dank neuer Freibeträge auf einen historischen Tiefstand gesunken, mehr als 132 Milliarden Dollar an Studiengebühren wurden erlassen, Infrastruktur und Klimaschutz im ganzen Land wurden auf Jahre hinweg mit großzügigen Haushaltsposten unterfüttert.
Am Donnerstag muss Biden beweisen, dass er die Sorgen um seine Person zerstreuen kann. Bei der jährlichen Rede zur Lage der Nation spricht er vor dem vielleicht größten Publikum des Wahlkampfs, denn niemand weiß, ob es ein TV-Duell mit Trump geben wird. Die „State of the Union“wird dieses Jahr zur ärztlichen Vorsorgeuntersuchung in aller Öffentlichkeit. Stolpert Biden? Verspricht er sich?
Er muss aber auch beweisen, dass er die Bedenken der Menschen ernst nimmt. Es ist keine Siegesstrategie, sich über Wähler zu beschweren, die einfach nicht einsehen wollen, wie gut seine Politik ist. Dass es klügere Entgegnungen gibt, zeigte zuletzt ein Auftritt in der Late-Night-Show von Seth Meyers. Entscheidend sei nicht das Alter des Mannes im Weißen Haus, sondern das Alter seiner Ideen, sagte Biden da. Die Wahlkämpfer um ihn herum müssen mit genau solchen Antworten endlich viel häufiger zeigen, dass sie den Ernst der Lage verstehen.