Erst mit den Augen kosten
Martin Steinkellner vereint regionale Produkte mit internationalen Einflüssen. Was ein steirisches Weidelamm mit Japan zu tun hat.
Dass der Sehsinn einen direkten Einfluss auf den Geschmackssinn hat, ist bekannt. Was interessant, fantasievoll und farbenprächtig inszeniert wurde, wird lieber gegessen als herkömmlich Aufgetischtes: Das Auge isst mit – eine Binsenweisheit. Moritsuke ist der japanische Begriff für das Servieren und Anrichten von Speisen. Es geht um Kurven, gerade Linien, um Farbkontraste, Schichtungen und um leeren Raum auf dem Teller. „Das Geschirr ist der Kimono der Speisen“, sagt man in Japan. Auch im Steirerschlössl im obersteirischen Zeltweg praktiziert man dies – so, dass man fast schon gehemmt ist, die Ordnung auf dem Teller (oder in der Schüssel) mit Messer und Gabel zu stören: Chefkoch Martin Steinkellner legt großen Wert auf geschmackliche – und optische Erlebnisse: Food-Fotografen kommen auf ihre Rechnung, die Handykamera ist am Tisch im Dauereinsatz.
Einst beherbergte das Haus ein Werkshotel. 1908 von Victor Forabosco im Auftrag der Alpine-Montangesellschaft errichtet, wurden hier – im Ambiente eines englischen Landhauses mit Jugendstileinflüssen – Mitarbeiter beherbergt und verköstigt. Das denkmalgeschützte Gebäude erfuhr 2002 eine Restaurierung und zählt heute zu den „beflügelnden Orten“der Gastro- und Hotelgruppe Tauroa im Red-Bull-Konzern. Seit fünf Jahren verwirklicht Steinkellner hier seine kulinarische Philosophie.
„Wir arbeiten fast nur mit regionalen Produkten und internationalen Einflüssen, es gibt alte wie moderne Zubereitungstechniken und wir legen Wert auf österreichische Klassiker“, sagt der 32-jährige Kärntner. Und so kredenzt er im „Gourmet Menü“etwa gebratenen Wiesengelter Freilandschweinbauch, garniert mit geflämmter Blunzn, Spitzkraut-Chip und Chili-Kirschen. Oder: Seetaler Weidelamm (geschmorte Brust, rosa gebratener Rücken) mit blanchiertem Wurzelgemüse und sautierten, eingelegten Pilzen, hier im Bild zu sehen.
Martin Steinkellner entspricht dem Aussehen
der neuen, wilden Küchenchefs: Baseballmütze, auffällige Ohrringe, Bart, Tätowierungen. Könnte auch ein Rockstar sein. Apropos: Für die Rolling Stones wollte er sich besonders ins Zeug legen. Allein: Mick Jagger, Keith Richards & Co. hatten klare Vorgaben: Spaghetti mit Tomatensauce und grünem Salat. Na ja. Zum Studentenküchen-Klassiker ließen sich die Edelrocker Mineralwasser und Honig einfliegen – diesen sogar aus Neuseeland.
Verwehrt geblieben ist den Briten so der für Steinkellner typische Zugang, aus Bekanntem Neues, Überraschendes zu machen. Etwa: gegarter Vanille-Chicorée, Buttermilch-Mousse oder Topinambur-Ganache. Alles so serviert, um erst mit den Augen und erst dann mit der Zunge zu kosten. Wie eben in Japan. Wie diese Ästhetik in die Obersteiermark kam? „Etliche meiner Mitarbeiter waren asiatisch angehaucht und ich habe gewisse Sachen übernommen, weil sie mir sehr gefallen haben“, sagt Steinkellner. Itadakimasu („Lasst uns essen“oder auch „Mahlzeit“).
Seetaler Weidelamm mit Pilzen und Wurzelgemüse: Für das eingelegte Gemüse und die Pilze wird ein Essigsud hergestellt: Zucker karamellisieren, mit Essig ablöschen und mit Wasser und Gewürzen ziehen lassen; die Buchenpilze werden kalt, das Gemüse – Stangensellerie – warm eingelegt. Zudem gibt es Champignons und Austernpilze. Das Weidelamm stammt aus St. Wolfgang bei Obdach. Bei der Keule wird das Fleisch vom Knochen gelöst, mit Senf, Koriander, Rosmarin und Salz gewürzt. Es wird eingerollt und über Nacht geschmort, bei 80 Grad erst zwölf Stunden, dann bei 120 Grad noch einmal zwei Stunden. Der Schmoransatz besteht aus Wurzelgemüse, wird papriziert, mit Rotwein abgelöscht und aufgegossen. Der Rücken wird in einem Vakuumbeutel verpackt bei 62 Grad 20 Minuten lang in das Sous-vide-Becken gelegt; dann rasten lassen, anbraten und mit Butter, Knoblauch und Rosmarin garnieren.