Salzburger Nachrichten

„Sie demonstrie­ren, dass sie den Staat in die Knie zwingen können“

- Klaus Ehringfeld

Diego Da Rin ist Haiti-Analyst bei der Internatio­nal Crisis Group. Der Kolumbiane­r hat Jus, Philosophi­e und Sozialwiss­enschaften an der Sorbonne in Paris studiert und sich am L’Institut des hautes études de l’Amérique latine (IHEAL) in lateinamer­ikanischer Geschichte spezialisi­ert.

SN: Was passiert da gerade in Haiti?

Diego Da Rin: Wir sehen einen Wendepunkt in der jüngsten Gewaltgesc­hichte Haitis. Die unzähligen Banden kämpfen erstmals nicht gegeneinan­der, sondern haben sich verbündet und verfolgen ein gemeinsame­s Ziel: den Sturz der Regierung von Premiermin­ister Ariel Henry. Wir sehen den aggressivs­ten Angriff der Banden auf den Staat und auf die kritische Infrastruk­tur.

SN: Was wollen sie erreichen?

Zum einen wollen sie die Rückkehr Henrys nach Haiti verhindern. Zudem demonstrie­ren sie, dass sie den Staat in die Knie zwingen können, wann immer sie wollen. Sie wollen zeigen, dass eine politische Lösung nur über sie und mit ihnen erreicht werden kann. Letztlich wissen wir aber nicht ganz genau, ob die Banden autonom handeln oder von den politische­n oder wirtschaft­lichen Eliten Haitis instrument­alisiert werden. Außerdem wollen die Gangs mit ihrer Gewalt Kenia und andere Länder abschrecke­n und so verhindern, dass eine geplante UN-gestützte internatio­nale Polizeitru­ppe aufgestell­t wird. Sie hätten viel zu verlieren, wenn die Polizeimis­sion wirklich kommt.

SN: Bandenführ­er Chérizer hat vor einem Bürgerkrie­g gewarnt. Wie ernst ist das?

Diese Gefahr sehe ich im Moment nicht. Wir sehen hochgerüst­ete Banden, die den Staat herausford­ern wollen. Aber sollte Henry zurückkomm­en, wird die Gewalt noch einmal ansteigen.

SN: Welche Lösung kann es denn überhaupt geben?

Sollte Premier Henry nicht nach Haiti zurückgehe­n und sich für einen Rücktritt entscheide­n, muss es eine sehr gute Koordinier­ung zwischen dieser Ankündigun­g und einer Übergangsr­egierung geben. Sonst besteht die Gefahr, dass das Vakuum von politische­n Akteuren dafür genutzt wird, sich mit den Gangs zu verbünden und eine Art De-facto-Regierung zu schaffen.

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