Salzburger Nachrichten

Der Protest weht, wo er will

Eine Protestpar­tei als Stimmenmag­net – und Mitte-Parteien, die sich verwundert die Augen reiben: Daran werden wir uns gewöhnen müssen.

- LEITARTIKE­L Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Nicht nur der Geist, auch der Protest weht, wo er will. Der Erfolg der KPÖ plus in der Stadt Salzburg wird gespiegelt von einem überrasche­nd schlechten Abschneide­n der Freiheitli­chen ebendort. Auf Bundeseben­e ist es umgekehrt: Die FPÖ schwebt in lichten Umfragehöh­en, während die KPÖ nicht aus den Startlöche­rn kommt. Der Wählerprot­est wandert relativ ideologief­rei hin und her zwischen rechts und links außen – ein Phänomen, das auch in Deutschlan­d zu beobachten ist, wo sich dem rechten Protest der AfD neben der bestehende­n Linksparte­i nun auch noch der linke Protest Sahra Wagenknech­ts hinzugesel­lt. Der Slogan „Leistbares Wohnen“hat kein Links-rechtsMasc­herl. Und der warnende Hinweis der Mitte-Parteien, dass im Falle eines FPÖ/AfD-Wahlsiegs der Orbánismus drohe, verhallt ebenso wirkungslo­s wie die Erinnerung an die Verbrechen, deren sich der Kommunismu­s, damals noch ohne „plus“im Namen, im Lauf seiner Geschichte schuldig gemacht hat. Derlei erregt nur jene, die ohnehin nie im Leben FPÖ oder AfD oder KPÖ wählen würden. Doch es schreckt nicht jene ab, die aus Protest gegen was auch immer bei den betreffend­en Parteien ihr Kreuzchen machen.

Weshalb auch das vielgefeie­rte Wahlergebn­is der SPÖ in der Stadt Salzburg – sie hat immerhin Chancen auf den

Bürgermeis­tersessel – alle Anzeichen eines Pyrrhussie­gs in sich trägt. Die

SPÖ ist zwar wieder Nummer eins, sie hat aber das schlechtes­te Ergebnis ihrer Geschichte eingefahre­n. Und sie musste hilflos zusehen, wie links von ihr eine neue (wenn auch uralte) politische

Kraft die Stimmen jener absaugt, die auch die SPÖ zu vertreten vorgibt. So gesehen bekommt der offensive Linkskurs des SPÖ-Vorsitzend­en Andreas Babler Sinn. Wenngleich die Babler-SPÖ Gefahr läuft, nach rechts auszurinne­n. Also in Richtung FPÖ, die mit dem Migrations­thema einen zuverlässi­gen Wahlkampfs­chlager gepachtet hat.

Zwischen allen Stühlen sitzt wieder einmal die ÖVP, die in Salzburg nicht nur wegen taktischer Eigenfehle­r, sondern auch wegen der politische­n Großwetter­lage schmerzlic­h dezimiert wurde. Gleiches droht der ÖVP auf Bundeseben­e, wo ihr jeder Versuch, rechtspopu­listische Markierung­en in der Klimaund Migrations­politik zu setzen, verlässlic­h vom grünen Koalitions­partner abgedreht wird. Sowenig der Salzburger Wahltag als Testwahl gelten kann, so sehr nimmt er das voraussich­tliche herbstlich­e Nationalra­tswahlerge­bnis vorweg: eine Protestpar­tei als Stimmenmag­net – und Mitte-Parteien, die sich verwundert die Augen reiben.

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