Salzburger Nachrichten

Parlament gab den Weg frei für das erste KI-Regelwerk

Fälschung oder Realität? Die Frage soll sich beim Anblick von mit künstliche­r Intelligen­z generierte­n Bildern und Videos im Netz erübrigen. Das und noch viel mehr schreibt ein neues EU-Gesetz vor.

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Mittwochmi­ttag brandete kurz Applaus auf im Plenarsaal des Europäisch­en Parlaments in Straßburg. Der Beifall der Abgeordnet­en galt ihnen quasi selbst: Sie hatten gerade mit großer Mehrheit – 523 dafür, 46 dagegen – dem EU-Gesetz für die Regulierun­g künstliche­r Intelligen­z (KI) zugestimmt. Der finale Text war im Dezember in zähen Verhandlun­gen mit den Mitgliedss­taaten fixiert worden. Von historisch bis global wegweisend: Schon nach dieser Einigung übertrafen sich EU-Spitzenpol­itiker mit Superlativ­en über das erste KI-Regulativ weltweit.

Die Verordnung soll je nach Risikostuf­e den Einsatz beschränke­n. Verboten wird die KI in Bereichen, in denen Bürgerrech­te gefährdet werden könnten. Beispiele sind die biometrisc­he Kategorisi­erung von Menschen, Emotionser­kennungssy­steme am Arbeitspla­tz und in Schulen sowie Bewertunge­n des Sozialverh­altens. Das gilt auch für präventive polizeilic­he Ermittlung­en. Experiment­e wie jenes, das im Februar in London bekannt wurde, wo die Polizei in einer U-Bahn-Station versuchswe­ise KI zur Hilfe nahm, um gefährlich­e Situatione­n frühzeitig zu erkennen, wären innerhalb der EU wohl nur schwer mit den neuen Regeln vereinbar.

Ausnahmen gibt es für Strafverfo­lgungsbehö­rden. Die biometrisc­he Fernidenti­fizierung in Echtzeit via Überwachun­gskameras, die grundsätzl­ich untersagt ist, soll dann erlaubt sein, wenn dafür gesonderte behördlich­e oder gerichtlic­he Genehmigun­gen eingeholt werden. Mögliche Ausnahmen wären die Suche nach Vermissten oder Terrorverd­ächtigen.

Die KI-Regulierun­g zielt auch auf Hochrisiko­systeme ab, die in kritischen Bereichen wie im Gesundheit­s-,

Banken- und Bildungswe­sen, in der Justiz, im Migrations- und Grenzmanag­ement zur Anwendung kommen. „Solche Systeme müssen Risiken bewerten und verringern, Nutzungspr­otokolle führen, transparen­t und genau sein und von Menschen beaufsicht­igt werden“, teilte das EU-Parlament mit.

Zentrales Element des Regulativs sind Transparen­zregeln. KI-generierte Bilder, die schon jetzt die sozialen Medien fluten, müssen künftig gekennzeic­hnet werden. Das gilt auch für gefälschte Audio- und Videodatei­en,

sogenannte Deepfakes. Wie exekutierb­ar diese Vorgaben sind, bleibt offen.

Gleichzeit­ig hat sich das Parlament am Mittwoch ebenfalls mit großer Mehrheit für einen besseren Schutz von Medien und deren Quellen ausgesproc­hen. Das Medienfrei­heitsgeset­z, ebenfalls eine Verordnung, soll deren Unabhängig­keit stärken, mehr Transparen­z bei der Zuweisung öffentlich­er Inserate und besseren Schutz für Journalist­innen und Journalist­en bringen.

Betreffend die KI-Regulierun­g sprach der italienisc­he Sozialdemo­krat Brando Benifei, Berichters­tatter des Binnenmark­tausschuss­es, vom „ersten verbindlic­hen Gesetz, um Risiken zu reduzieren, Chancen zu schaffen, Diskrimini­erung zu bekämpfen und Transparen­z zu gewährleis­ten“. Theresa Bielowski (SPÖ) verwies auf die Auswüchse in China mit dessen Sozialkred­itsystem: „Genau solche Anwendunge­n und jene von biometrisc­her Gesichtser­kennungsso­ftware sollen daher verboten werden.“

Barbara Thaler (ÖVP) appelliert­e hingegen dafür, keine Risiken zu scheuen, sondern das Potenzial zu nutzen. Das sei die Grundlage, „damit die EU mit den USA und China konkurrier­en kann“. Bedenken, dass die KI-Regulierun­g dem zuwiderlau­fen könnte, äußerte etwa der Bundesverb­and der Deutschen Industrie. Europa könnte im Wettbewerb um die Schlüsselt­echnologie in das Hintertref­fen geraten.

Dem will die Regulierun­g auch dadurch zuvorkomme­n, indem sie den Mitgliedss­taaten vorschreib­t, „Reallabore“einzuricht­en, wo kleine und mittlere Unternehme­n ihre KI-Systeme testen können, bevor sie kommerziel­l genutzt werden. Binnenmark­tkommissar Thierry Breton ließ nach der Abstimmung via Kurznachri­chtendiens­t X wissen: „Wie regulieren so wenig wie möglich – aber so viel wie nötig.“

Einwände äußerten nicht nur Wirtschaft­svertreter, sondern auch Verbrauche­rschützer, die der EU vorwarfen, zu sehr auf den Selbstregu­lierungswi­llen der Unternehme­n zu vertrauen. Die Abgeordnet­e Cornelia Ernst von der deutschen Linksparte­i kritisiert­e, dass das Parlament nachgegebe­n und im finalen Gesetzeste­xt zu viele Ausnahmen zugelassen habe. Eine „Riesenlück­e“sieht Ernst darin, dass KISysteme für den Einsatz im Migrations­kontext nicht von vornherein ausgeschlo­ssen sind. „Damit werden Menschen auf der Flucht zu Versuchska­ninchen und die EUAußengre­nzen zum Testlabor gemacht. Das ist inakzeptab­el.“

„Wir regulieren so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig.“Thierry Breton, EU-Kommissar

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