An das Böse darf man sich nie gewöhnen
Der Kampf gegen die Kriminalität ist ein emotionales Thema. Dabei bleibt die Vernunft oft auf der Strecke. Das macht alles nur schlimmer.
Kinder, die Kinder sexuell missbrauchen. Kinder, die Dutzende von schweren Straftaten begangen haben, bevor sie strafmündig sind, und die die Polizei auslachen, wenn sie gefasst werden. Debatte um ein österreichweites Waffenverbot im öffentlichen Raum, weil es inzwischen anscheinend zum guten Ton gehört, mit Hieb- und Stichwaffen außer Haus zu gehen. Raser, deren Autos beschlagnahmt werden müssen, weil sie sonst weiter ohne Rücksicht auf andere aufs Gaspedal steigen. Drogendealer, die Menschen auf Sesseln festschnallen und zu Tode foltern. Und nicht zu vergessen die Gewalt gegen Frauen, die sich seuchenartig durch die Gesellschaft zieht und deren Ausmaß immer wieder erschaudern lässt. Österreich im Jahr 2024.
Ein Land, das sich die Augen reibt und es nicht fassen kann, dass das Böse plötzlich immer und überall ist. Und vor allem ein Land, das sich schwertut, mit dieser Entwicklung umzugehen. Von „Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb“bis „Ab ins Bergwerk“reicht die Palette der Lösungsvorschläge. Der eine so plakativ wie der andere und beide gleich sinnlos.
Die politischen Parteien machen dabei gern mit. Sicherheit ist ja ein Thema, das die meisten Bürgerinnen und Bürger berührt und mit dem man sich gut vom politischen Gegner abgrenzen kann. Es ist ein emotionales Thema. Wenn aber die Gefühle überkochen, dann ist es mit der Rationalität gleich einmal vorbei. Daten und Fakten bleiben auf der Strecke.
Tatsache ist aber, um bei der Jugendkriminalität zu bleiben, die derzeit so heftig diskutiert wird: Im Jahr 2013 gab es 766 unter Zehnjährige, die in der Kriminalstatistik als Tatverdächtige geführt wurden. Im Jahr 2023 waren es 885. Bei den 10bis 14-Jährigen waren es 4821 (2013) und 9541 (2023), bei den 14- bis 18Jährigen waren es 24.800 (2013) und 33.964 (2023). Dass man bei diesen Zahlen darüber nachzudenken beginnt, wie man mit kriminellen Kindern und Jugendlichen richtig umgeht, ist verständlich und wohl notwendig.
Aber nur darüber nachzudenken, ob auch unter 14-Jährige verstärkt für ihre Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden sollen – und damit ist nicht gleich gemeint, dass man sie jahrelang ins Gefängnis wirft –, scheint schon ein Tabu zu sein. Manche sehen sogar die Kinderrechte
gefährdet. Die Kinderrechte einer mutmaßlich vergewaltigten Elfjährigen interessieren anscheinend niemanden. Aber das ist typisch für viele Sicherheitsdebatten in diesem Land. Die Opfer und ihr Leid werden oft verdrängt, dafür gibt es viel Verständnis für die Täterinnen und Täter, etwa weil sie aus sozial benachteiligten Familien kommen oder in einer nicht intakten Familie aufgewachsen sind oder Fluchterfahrung haben. So, als ob jemand, der wenig Geld oder unverantwortliche Eltern hat oder aus einem kulturell anderen Land kommt, nicht wüsste, was falsch und richtig ist. Dabei gibt es die goldene Regel „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu“in allen großen Religionen vom Christentum angefangen über den Islam bis zum Hinduismus und damit weltweit.
Sicherheit ist für jede Gesellschaft ein zentraler Wert. Sicherheit ist aber mehr als körperliche Unversehrtheit. Sie ist auch ein Gefühl, das oft unbewusst darüber entscheidet, ob man sich wohl oder unwohl fühlt, ob es einem gut oder schlecht geht, ob man zufrieden oder unzufrieden ist.
Es ist seit jeher die Hauptaufgabe eines Staates, Sicherheit für seine Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, und zwar zu jeder Zeit und an jedem Ort. Dazu ist es aber auch notwendig, die Grenzen dessen, was das Gemeinwesen akzeptieren will und was nicht, ständig neu zu definieren. Gesetze sind mehr oder weniger die verschriftlichte Moral einer Gesellschaft. Aber so, wie sich die Zeiten ändern, ändern sich die Menschen und ihre Einstellungen. Diese Diskussion, auch wenn sie unangenehm zu führen ist, ist notwendig. Denn nur dann besteht die Chance, die sich ständig verändernde Kriminalität unter Kontrolle zu halten und zurückzudrängen. Und das nicht nur mit strengeren und klaren Gesetzen und mehr Polizei, sondern auch mit mehr Prävention, mehr Aufklärung, mehr Sozialarbeit. Mit der Hoffnung, dass in fünf Jahren die Zahl der minderjährigen Straftäter in der Kriminalstatistik nicht wieder angewachsen sein wird.
Die Opfer werden oft ausgeblendet