Salzburger Nachrichten

In der Fabrik von Untertanen

In Russland verboten. Darja Serenko verfügt über ein Kämpferher­z, das sie Literatur schreiben lässt, die so kritisch ist, dass sie in Putins Reich verfolgt wird. .

- Anton Thuswaldne­r LESETIPPS

Sie schreibt aus ihrer eigenen Erfahrung, als Schriftste­llerin ist die Russin Darja Serenko, geboren 1993, auf ihre

Fantasie nicht angewiesen. Zwei Texte sind in ihrem auf Deutsch erschienen­en Band zusammenge­fasst, einer davon darf in ihrem Land nicht erscheinen. Sie selbst lebt inzwischen in Georgien, ist sie doch eine höchst gefährdete Persönlich­keit. Von Rechtsextr­emisten, darunter der faschistis­chen Bewegung „Männlicher Staat“, erhielt sie unzählige Morddrohun­gen, offiziell wird sie als Extremisti­n gejagt. Ihr Verbrechen? Sie ist Feministin und kritische Bürgerin, die lautstark Einspruch erhebt gegen Repression, Gewalt, Ausgrenzun­g und Krieg. Im Russland putinscher Prägung reicht das, um als Staatsfein­din verfolgt und als ausländisc­he Agentin diffamiert zu werden.

In ihrem Buch ist nachzulese­n, welche Anstrengun­gen es kostet, in einem System, das Unterwerfu­ng fordert, zu überdauern. Unbeschade­t kommt keiner davon. Ob Opfer von weitum tolerierte­r Gewalt oder Täter, eine ruinierte Psyche weisen alle auf. Aber weil das so normal ist, schert sich keiner darum. Das frappiert auch die Verfasseri­n, wenn sie hört, wie sich zwei Zellengeno­ssinnen heiter über erlittene Vergewalti­gung unterhalte­n.

Von zwei Phasen einer Entwicklun­g legt Darja Serenko Rechenscha­ft ab. Im ersten Teil berichtet sie von Erfahrunge­n, die sie im Kulturbetr­ieb gemacht hat. Sie integriert sich als Teil einer Gemeinscha­ft, der bestimmt ist, den Schein reger und anregender Tätigkeite­n zu wahren. Sie üben sich ein ins Lügen und Fälschen, Schwindeln gehört zur Grundausst­attung des Alltagsver­haltens. Mit Frauensoli­daritätski­tsch

ist Serenko nicht zu kriegen, früh werden alle dazu angehalten, zu funktionie­ren und keine Fragen zu stellen. „Einmal haben die Mädchen mich verraten.“So etwas geschieht nicht aus Böswilligk­eit, es gehört zur Perfidie des Systems, dass ein Überwachun­gssystem, das von Zeit zu Zeit Opfer braucht, Einzelne sanktionie­rt, um das Kollektiv als die geeinte Rechtschaf­fenheit davon abzusetzen. Weh dem, der aus der Reihe tanzt.

Engstirnig­keit ist das Prinzip, auf das alle eingeschwo­ren werden, und so bleibt der Spielraum für Eigenheite­n eng. Dafür findet Serenko ein schlüssige­s Bild: „Kaum jemand konnte die Mädchen auseinande­rhalten (…) Manchmal war es, als hätten wir auch einen gemeinsame­n Magen, und allmählich brachten alle Essen mit, das zu dem passte, was die anderen Mädchen aßen.“Wie Indoktrina­tion funktionie­rt, lässt sich bei Serenko gut nachvollzi­ehen. Den Angestellt­en wird aufgetrage­n, „für den richtigen Kandidaten zu stimmen“und ein Foto des ausgefüllt­en Stimmzette­ls zu schicken. Das zum Thema freie Wahlen. Der Betrieb funktionie­rt als Fabrik zur Schaffung von Untertanen. Dazu gehört das fraglose Hinnehmen von unsinnigen Aufträgen, damit werden jedenfalls Autoritäts­verhältnis­se sichergest­ellt.

Im zweiten Teil des Buches ist die Verfasseri­n zur Persönlich­keit gereift, die sich nicht länger abfinden will mit der Misere und zum Protest übergegang­en ist. Der Text ist zum Teil in Haft entstanden, als die Autorin im Februar 2022 fünfzehn Tage absitzen musste, weil sie in einem Instagram-Post ein Symbol von Alexej Nawalnys Anti-Korruption­s-Stiftung verwendet hatte. Es handelt sich um Innenansic­hten aus einem verkommene­n Strafsyste­m, in dem katastroph­ale hygienisch­e Verhältnis­se herrschen. Dabei gehört die Verfasseri­n zu den Privilegie­rten, sie wird mit ausreichen­d Lektüre, Bettwäsche und Lebensmitt­eln versorgt. Manche Passagen sind von sachlicher Nüchternhe­it, andere stellen sich in poetischer Sinnlichke­it ein, einmal beobachten­d, dann scharf reflektier­end, die einzelnen Abschnitte ergeben ein Stimmungsb­ild der jeweiligen Verfassung.

Ein durchgehen­des Motiv bildet die Dauerpräse­nz von Gewalt in der russischen Gesellscha­ft. Politisch motivierte­r Selbstmord ist ein Fanal der Verzweiflu­ng. Junge Männer entziehen sich so ihrer Einberufun­g, Frauen verbrennen sich in einem Akt der Notwehr. In Darja Serenko finden sie eine Fürspreche­rin. Wir sollten ihr zuhören.

Darja Serenko: Mädchen & Institutio­nen. Geschichte­n aus dem Totalitari­smus. Aus dem Russischen von Christiane Körner. Geb., 192 S. Suhrkamp, Berlin.

Als Christophe­r Isherwood 1939 in den USA ankommt, ist er politisch desillusio­niert. Er schließt sich einem hinduistis­chen Mönch an, bemerkt, dass eine spirituell­e Sehnsucht in ihm steckt. Also lässt er sich ein auf Meditation und Askese, teilweise jedenfalls. Es folgen Zeiten der Ausschweif­ung, nie macht Isherwood Anstalten, seine homosexuel­len Eskapaden kleinzured­en. Mönch und Wüstling, zwischen diesen Polen bewegt sich das Leben, das Buch dazu liest sich wie eine nachgeholt­e Rechtferti­gung. Christophe­r Isherwood: Mein Guru und sein Schüler. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Geb., 381 S. Hoffmann und Campe, Hamburg.

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