In der Fabrik von Untertanen
In Russland verboten. Darja Serenko verfügt über ein Kämpferherz, das sie Literatur schreiben lässt, die so kritisch ist, dass sie in Putins Reich verfolgt wird. .
Sie schreibt aus ihrer eigenen Erfahrung, als Schriftstellerin ist die Russin Darja Serenko, geboren 1993, auf ihre
Fantasie nicht angewiesen. Zwei Texte sind in ihrem auf Deutsch erschienenen Band zusammengefasst, einer davon darf in ihrem Land nicht erscheinen. Sie selbst lebt inzwischen in Georgien, ist sie doch eine höchst gefährdete Persönlichkeit. Von Rechtsextremisten, darunter der faschistischen Bewegung „Männlicher Staat“, erhielt sie unzählige Morddrohungen, offiziell wird sie als Extremistin gejagt. Ihr Verbrechen? Sie ist Feministin und kritische Bürgerin, die lautstark Einspruch erhebt gegen Repression, Gewalt, Ausgrenzung und Krieg. Im Russland putinscher Prägung reicht das, um als Staatsfeindin verfolgt und als ausländische Agentin diffamiert zu werden.
In ihrem Buch ist nachzulesen, welche Anstrengungen es kostet, in einem System, das Unterwerfung fordert, zu überdauern. Unbeschadet kommt keiner davon. Ob Opfer von weitum tolerierter Gewalt oder Täter, eine ruinierte Psyche weisen alle auf. Aber weil das so normal ist, schert sich keiner darum. Das frappiert auch die Verfasserin, wenn sie hört, wie sich zwei Zellengenossinnen heiter über erlittene Vergewaltigung unterhalten.
Von zwei Phasen einer Entwicklung legt Darja Serenko Rechenschaft ab. Im ersten Teil berichtet sie von Erfahrungen, die sie im Kulturbetrieb gemacht hat. Sie integriert sich als Teil einer Gemeinschaft, der bestimmt ist, den Schein reger und anregender Tätigkeiten zu wahren. Sie üben sich ein ins Lügen und Fälschen, Schwindeln gehört zur Grundausstattung des Alltagsverhaltens. Mit Frauensolidaritätskitsch
ist Serenko nicht zu kriegen, früh werden alle dazu angehalten, zu funktionieren und keine Fragen zu stellen. „Einmal haben die Mädchen mich verraten.“So etwas geschieht nicht aus Böswilligkeit, es gehört zur Perfidie des Systems, dass ein Überwachungssystem, das von Zeit zu Zeit Opfer braucht, Einzelne sanktioniert, um das Kollektiv als die geeinte Rechtschaffenheit davon abzusetzen. Weh dem, der aus der Reihe tanzt.
Engstirnigkeit ist das Prinzip, auf das alle eingeschworen werden, und so bleibt der Spielraum für Eigenheiten eng. Dafür findet Serenko ein schlüssiges Bild: „Kaum jemand konnte die Mädchen auseinanderhalten (…) Manchmal war es, als hätten wir auch einen gemeinsamen Magen, und allmählich brachten alle Essen mit, das zu dem passte, was die anderen Mädchen aßen.“Wie Indoktrination funktioniert, lässt sich bei Serenko gut nachvollziehen. Den Angestellten wird aufgetragen, „für den richtigen Kandidaten zu stimmen“und ein Foto des ausgefüllten Stimmzettels zu schicken. Das zum Thema freie Wahlen. Der Betrieb funktioniert als Fabrik zur Schaffung von Untertanen. Dazu gehört das fraglose Hinnehmen von unsinnigen Aufträgen, damit werden jedenfalls Autoritätsverhältnisse sichergestellt.
Im zweiten Teil des Buches ist die Verfasserin zur Persönlichkeit gereift, die sich nicht länger abfinden will mit der Misere und zum Protest übergegangen ist. Der Text ist zum Teil in Haft entstanden, als die Autorin im Februar 2022 fünfzehn Tage absitzen musste, weil sie in einem Instagram-Post ein Symbol von Alexej Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung verwendet hatte. Es handelt sich um Innenansichten aus einem verkommenen Strafsystem, in dem katastrophale hygienische Verhältnisse herrschen. Dabei gehört die Verfasserin zu den Privilegierten, sie wird mit ausreichend Lektüre, Bettwäsche und Lebensmitteln versorgt. Manche Passagen sind von sachlicher Nüchternheit, andere stellen sich in poetischer Sinnlichkeit ein, einmal beobachtend, dann scharf reflektierend, die einzelnen Abschnitte ergeben ein Stimmungsbild der jeweiligen Verfassung.
Ein durchgehendes Motiv bildet die Dauerpräsenz von Gewalt in der russischen Gesellschaft. Politisch motivierter Selbstmord ist ein Fanal der Verzweiflung. Junge Männer entziehen sich so ihrer Einberufung, Frauen verbrennen sich in einem Akt der Notwehr. In Darja Serenko finden sie eine Fürsprecherin. Wir sollten ihr zuhören.
Darja Serenko: Mädchen & Institutionen. Geschichten aus dem Totalitarismus. Aus dem Russischen von Christiane Körner. Geb., 192 S. Suhrkamp, Berlin.
Als Christopher Isherwood 1939 in den USA ankommt, ist er politisch desillusioniert. Er schließt sich einem hinduistischen Mönch an, bemerkt, dass eine spirituelle Sehnsucht in ihm steckt. Also lässt er sich ein auf Meditation und Askese, teilweise jedenfalls. Es folgen Zeiten der Ausschweifung, nie macht Isherwood Anstalten, seine homosexuellen Eskapaden kleinzureden. Mönch und Wüstling, zwischen diesen Polen bewegt sich das Leben, das Buch dazu liest sich wie eine nachgeholte Rechtfertigung. Christopher Isherwood: Mein Guru und sein Schüler. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Geb., 381 S. Hoffmann und Campe, Hamburg.