Fakten verschleiern ist keine Lösung
Probleme gehen nicht weg, wenn man die Augen ganz fest zumacht. Das gilt auch für das heikle Themenfeld Migration/Asyl/Sicherheit.
Das Jahr 2023 sei ein „Jahr der Abschiebungen“gewesen, tönte Innenminister Gerhard Karner in der vergangenen Woche bei einer Pressekonferenz. Wie man’s nimmt: Bei genauerem Hinsehen wurde nämlich offensichtlich, dass die Abschiebungen, auf die der Innenminister so stolz ist, mehrheitlich Bürger aus EU-Staaten betrafen. Ob dies das Sicherheitsgefühl jener Menschen hebt, die etwa rund um den in Verruf geratenen Reumannplatz in Wien-Favoriten leben, scheint zweifelhaft. Denn die nach einschlägigen Straftaten stets zu hörende Forderung, dass Missetäter in ihr Heimatland zurückexpediert werden sollen, hat eher propagandistischen Charakter. Mit etlichen Ländern bestehen keine Rückführabkommen, in andere (Syrien, Afghanistan) darf aus humanitären Gründen nicht abgeschoben werden.
Nichts liegt also näher, als Herrn Karner für seine Abschiebe-Propagandashow zu kritisieren. Und darauf hinzuweisen, dass es die ÖVP ist, die seit Jahren den zuständigen Innenminister und die zuständige Integrationsministerin stellt und unter der dennoch die Probleme immer größer werden. Freilich geziemt sich
Man hört immer nur, was alles nicht geht
auch der Hinweis, dass gerade jene Zeitgenossen und Institutionen von SPÖ über Caritas bis zu den Grünen, die der ÖVP gerne Versagen in der Sicherheits- und Integrationspolitik vorwerfen, in aller Regel auch jene sind, die jeden einschlägigen ÖVP-Vorschlag der vergangenen Jahre, von Wertekursen über die Leitkulturdebatte bis hin zu einem energischeren Grenzregime, als menschenverachtend und grundrechtswidrig abgeschmettert haben. Eine vernünftige Diskussion war und ist kaum möglich.
Das Gleiche gilt übrigens für die aus vielfachem aktuellem Anlass laufende Diskussion über eine Senkung der Strafmündigkeit. Klar: Das Gefängnis ist kein Ort für Kinder, das ist logisch, darin sind sich alle Experten einig. Nur: Zwischen beinhartem Einsperren und der momentanen Praxis, auch Vergewaltiger und sonstige Gewalttäter unter 14 ohne weitere Konsequenzen ihren sogenannten Erziehungsberechtigten zu übergeben, gibt es einen weiten menschlichen und vernünftigen Graubereich an möglichen Sanktionen. Man könnte die kindlichen Missetäter zu Hausarrest verdonnern. Oder zu gemeinnütziger Arbeit. Man könnte ihnen auftragen, sich täglich bei einer Polizeidienststelle zu melden. Wahrscheinlich hätte bereits der Umstand, dass sie sich einer Verhandlung vor dem Strafrichter stellen müssen, therapeutische Wirkung.
Doch nichts da. Die Diskussion findet nicht statt. Wie sich ja überhaupt unsere Gesprächskultur dadurch auszeichnet, dass Diskussionen – besonders solche heikleren Charakters – abgewürgt werden, ehe sie begonnen haben. Sei es, siehe oben, die Diskussion über den Umgang mit kindlichen Verbrechern. Sei es die Diskussion über Reformen in der Asyl- und Zuwanderungspolitik. Sei es die Diskussion über Asylzentren an den Außengrenzen. Sei es die Diskussion über Abkommen mit Ländern wie Ägypten zwecks Eindämmung der Massenmigration – man hört immer nur, was alles nicht geht. Doch nie, wie die Probleme gelöst werden können.
Festzuhalten ist, dass der Rückgang der Asylanträge, den Österreich derzeit erlebt, eine Momentaufnahme ist. Im Gegenteil, der Zulauf ins gelobte Europa ist ungebrochen. „Nigers Putschisten lassen wieder Migranten Richtung Mittelmeer durch“, meldete etwa dieser Tage die „Neue Zürcher Zeitung“. „Die Libyen-Route boomt wieder“, schrieb der „Tagesspiegel“. Der Niedergang der staatlichen Strukturen in etlichen Staaten des Südens und des Nahen Ostens wird neue Migrationswellen bringen.
Man darf davon ausgehen, dass der Themenkomplex Migration/Asyl/Sicherheit bei den kommenden Wahlen eine große Rolle spielen
wird. Und ohne nun zwischen dem wachsenden Unsicherheitsgefühl der Menschen und der Zuwanderung einen allzu direkten Konnex herstellen zu wollen: Es sind in der Hauptsache keineswegs autochthone Österreicher, die in den No-go-Zonen Wiens rund um Reumannplatz und Praterstern ihr Unwesen treiben. Es sind keineswegs autochthone Österreicher, die bei Messer- und Sexualdelikten überproportional vertreten sind. „In der Altersgruppe zehn bis 13 Jahre entfallen 38,4 Prozent der Anzeigen auf ,Fremde‘, bei den 14- bis unter 18-Jährigen sind es 33,6 Prozent“– diese sind also krass überrepräsentiert, meldet selbst der in puncto Ausländerfeindlichkeit völlig unverdächtige „Standard“.
Wer dies ausspricht, arbeitet keineswegs – so lautet oft der Vorwurf – der Kickl-FPÖ in die Hände. Im Gegenteil: Es sind die Verschleierer und Verharmloser, die das Wasser auf die blauen Mühlen lenken. So etwa die rote Wiener Magistratsdirektion, die versucht hatte, eine von der FPÖ beantragte Sondergemeinderatssitzung zur Kriminalität abzudrehen. Auf diese Weise lassen sich weder Fakten unterdrücken noch lässt sich damit ein möglicher Wahlsieg der Freiheitlichen verhindern.