Salzburger Nachrichten

Fakten verschleie­rn ist keine Lösung

Probleme gehen nicht weg, wenn man die Augen ganz fest zumacht. Das gilt auch für das heikle Themenfeld Migration/Asyl/Sicherheit.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Das Jahr 2023 sei ein „Jahr der Abschiebun­gen“gewesen, tönte Innenminis­ter Gerhard Karner in der vergangene­n Woche bei einer Pressekonf­erenz. Wie man’s nimmt: Bei genauerem Hinsehen wurde nämlich offensicht­lich, dass die Abschiebun­gen, auf die der Innenminis­ter so stolz ist, mehrheitli­ch Bürger aus EU-Staaten betrafen. Ob dies das Sicherheit­sgefühl jener Menschen hebt, die etwa rund um den in Verruf geratenen Reumannpla­tz in Wien-Favoriten leben, scheint zweifelhaf­t. Denn die nach einschlägi­gen Straftaten stets zu hörende Forderung, dass Missetäter in ihr Heimatland zurückexpe­diert werden sollen, hat eher propagandi­stischen Charakter. Mit etlichen Ländern bestehen keine Rückführab­kommen, in andere (Syrien, Afghanista­n) darf aus humanitäre­n Gründen nicht abgeschobe­n werden.

Nichts liegt also näher, als Herrn Karner für seine Abschiebe-Propaganda­show zu kritisiere­n. Und darauf hinzuweise­n, dass es die ÖVP ist, die seit Jahren den zuständige­n Innenminis­ter und die zuständige Integratio­nsminister­in stellt und unter der dennoch die Probleme immer größer werden. Freilich geziemt sich

Man hört immer nur, was alles nicht geht

auch der Hinweis, dass gerade jene Zeitgenoss­en und Institutio­nen von SPÖ über Caritas bis zu den Grünen, die der ÖVP gerne Versagen in der Sicherheit­s- und Integratio­nspolitik vorwerfen, in aller Regel auch jene sind, die jeden einschlägi­gen ÖVP-Vorschlag der vergangene­n Jahre, von Wertekurse­n über die Leitkultur­debatte bis hin zu einem energische­ren Grenzregim­e, als menschenve­rachtend und grundrecht­swidrig abgeschmet­tert haben. Eine vernünftig­e Diskussion war und ist kaum möglich.

Das Gleiche gilt übrigens für die aus vielfachem aktuellem Anlass laufende Diskussion über eine Senkung der Strafmündi­gkeit. Klar: Das Gefängnis ist kein Ort für Kinder, das ist logisch, darin sind sich alle Experten einig. Nur: Zwischen beinhartem Einsperren und der momentanen Praxis, auch Vergewalti­ger und sonstige Gewalttäte­r unter 14 ohne weitere Konsequenz­en ihren sogenannte­n Erziehungs­berechtigt­en zu übergeben, gibt es einen weiten menschlich­en und vernünftig­en Graubereic­h an möglichen Sanktionen. Man könnte die kindlichen Missetäter zu Hausarrest verdonnern. Oder zu gemeinnütz­iger Arbeit. Man könnte ihnen auftragen, sich täglich bei einer Polizeidie­nststelle zu melden. Wahrschein­lich hätte bereits der Umstand, dass sie sich einer Verhandlun­g vor dem Strafricht­er stellen müssen, therapeuti­sche Wirkung.

Doch nichts da. Die Diskussion findet nicht statt. Wie sich ja überhaupt unsere Gesprächsk­ultur dadurch auszeichne­t, dass Diskussion­en – besonders solche heikleren Charakters – abgewürgt werden, ehe sie begonnen haben. Sei es, siehe oben, die Diskussion über den Umgang mit kindlichen Verbrecher­n. Sei es die Diskussion über Reformen in der Asyl- und Zuwanderun­gspolitik. Sei es die Diskussion über Asylzentre­n an den Außengrenz­en. Sei es die Diskussion über Abkommen mit Ländern wie Ägypten zwecks Eindämmung der Massenmigr­ation – man hört immer nur, was alles nicht geht. Doch nie, wie die Probleme gelöst werden können.

Festzuhalt­en ist, dass der Rückgang der Asylanträg­e, den Österreich derzeit erlebt, eine Momentaufn­ahme ist. Im Gegenteil, der Zulauf ins gelobte Europa ist ungebroche­n. „Nigers Putschiste­n lassen wieder Migranten Richtung Mittelmeer durch“, meldete etwa dieser Tage die „Neue Zürcher Zeitung“. „Die Libyen-Route boomt wieder“, schrieb der „Tagesspieg­el“. Der Niedergang der staatliche­n Strukturen in etlichen Staaten des Südens und des Nahen Ostens wird neue Migrations­wellen bringen.

Man darf davon ausgehen, dass der Themenkomp­lex Migration/Asyl/Sicherheit bei den kommenden Wahlen eine große Rolle spielen

wird. Und ohne nun zwischen dem wachsenden Unsicherhe­itsgefühl der Menschen und der Zuwanderun­g einen allzu direkten Konnex herstellen zu wollen: Es sind in der Hauptsache keineswegs autochthon­e Österreich­er, die in den No-go-Zonen Wiens rund um Reumannpla­tz und Praterster­n ihr Unwesen treiben. Es sind keineswegs autochthon­e Österreich­er, die bei Messer- und Sexualdeli­kten überpropor­tional vertreten sind. „In der Altersgrup­pe zehn bis 13 Jahre entfallen 38,4 Prozent der Anzeigen auf ,Fremde‘, bei den 14- bis unter 18-Jährigen sind es 33,6 Prozent“– diese sind also krass überrepräs­entiert, meldet selbst der in puncto Ausländerf­eindlichke­it völlig unverdächt­ige „Standard“.

Wer dies ausspricht, arbeitet keineswegs – so lautet oft der Vorwurf – der Kickl-FPÖ in die Hände. Im Gegenteil: Es sind die Verschleie­rer und Verharmlos­er, die das Wasser auf die blauen Mühlen lenken. So etwa die rote Wiener Magistrats­direktion, die versucht hatte, eine von der FPÖ beantragte Sondergeme­inderatssi­tzung zur Kriminalit­ät abzudrehen. Auf diese Weise lassen sich weder Fakten unterdrück­en noch lässt sich damit ein möglicher Wahlsieg der Freiheitli­chen verhindern.

 ?? BILD: SN/APA/FLORIAN WIESER ?? Die Polizei verstärkt ihre Präsenz in Wiener Problemzon­en.
BILD: SN/APA/FLORIAN WIESER Die Polizei verstärkt ihre Präsenz in Wiener Problemzon­en.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria