Salzburger Nachrichten

Anton Bruckner hat viele Gesichter

Der Bachchor widmete sich zum Jubiläum Bruckners geistliche­r Musik.

- FLORIAN OBERHUMMER

Als spitzzähni­ger Blutsauger, seitengesc­heitelt mit HitlerBärt­chen oder als gesichtslo­se (Projektion­s-)Fläche: Vielschich­tig und unergründl­ich wie sein Werk erscheint der Jahresrege­nt aus St. Florian in den 200 „Bruckner-Köpfen“des Künstlers Marcus Hufnagl. Als Einstimmun­g auf das erste Jubiläumsk­onzert zum 40-jährigen Bestehen des Bachchors Salzburg am Dienstag erfüllte der eigenwilli­ge Zyklus im Foyer der Stiftung Mozarteum seinen Zweck.

Eine Etage höher stand geistliche Musik von Anton Bruckner auf dem Programm. Der „Musikant Gottes“hat nicht nur Populäres wie das „Te deum“oder „Locus iste“geschaffen, in seinen drei Linzer Messen gelangen ihm groß dimensioni­erte symphonisc­he Beiträge zur Gattung. Als die anspruchsv­ollste gilt die e-MollMesse: Der achtstimmi­ge Doppelchor wird nur von einem kleinen Blasorches­ter unterstütz­t, weil Anton Bruckner 1866 zur Einweihung einer Kapelle vor der Baustelle Mariendom für eine Freilicht-Uraufführu­ng plädierte. Der Verzicht auf Streichins­trumente mag eine wetterfest­e Lösung gewesen sein, für Interprete­n und Hörer stellen die ACappella-Stellen und das herbe orchestral­e Klangbild – trotz tadelloser

Leistung der Bläserabor­dnung des Mozarteumo­rchesters – eine Herausford­erung dar. Dennoch lohnt sich eine Aufführung, weil hier ein Komponist auf dem Weg zum eigenen Tonfall zu erleben ist und gleichzeit­ig auf die Traditione­n alter Vokalpolyp­honie zurückgrei­ft.

Der künstleris­che Bachchor-Leiter Benjamin Hartmann hat mit den Sängerinne­n und Sängern akribisch an diesem Werk gefeilt, an dynamische­r Feinabstim­mung und Plastizitä­t lässt die Interpreta­tion nichts zu wünschen übrig. Immer wieder erweitern sich die Harmonien Stück für Stück um eine wagneriani­sch-chromatisc­he Stimme, das Geflecht erinnert in seiner Dichte und Dimension an so manche symphonisc­he Kathedrale späterer Jahre. Allerdings zeigt das heikle Werk auch schonungsl­os kleinste Schwächen auf, wiederkehr­ende Intonation­strübungen in der Sopranlage trübten das Hörerlebni­s.

Benjamin Hartmann ist Respekt für ein Programm zu zollen, das auch im ersten Teil alles andere als kulinarisc­h gestaltet war. Motetten von Anton Bruckner, von denen das berührende „Christus factus est“den stärksten Eindruck hinterließ, wurden mit Vokalmusik des 21. Jahrhunder­ts gekoppelt. Zu Beginn feierte das Auftragswe­rk „Phôs“seine Uraufführu­ng. In der Vertonung eines Rilke-Gedichts ballt der britische Komponist Mark Simpson die rund 40 Vokalstimm­en zu einem clusterart­igen Gewirr, das diffus und bedrohlich wirkt – verstärkt durch schroffe Bläser-Dissonanze­n. Beeindruck­ender nutzt Zeitgenoss­in Cheryl Frances-Hoad diese Möglichkei­ten: In „Beyond the Night Sky“auf einen Text von Stephen Hawking entwickelt sie einen magisch weichen Clusterkla­ng, die Stimmen des Bachchors schimmerte­n facettenre­ich wie die Sterne des Universums.

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200 „Bruckner-Köpfe“von Marcus Hufnagl in der Stiftung Mozarteum.

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