Salzburger Nachrichten

Brille auf der Nase soll Welt auf den Kopf stellen

Apples Vision Pro soll Virtual-Reality-Brillen massentaug­lich machen. Ein SN-Autor hat die Brille getestet – und am Ende stand ihm nicht nur wegen des Preises der Mund offen.

- CHRISTIAN FAHRENBACH Apple Vision Pro

Es ist gar nicht so lange her, als Menschen nachts stundenlan­g angestande­n sind, um morgens bei Geschäftsö­ffnung zu den ersten Käufern von iPhone 3 oder iPhone 4 zu gehören. Hersteller Apple hatte mit seinen Smartphone­s ein aufregende­s neues Segment geschaffen – und plötzlich wollten alle ihre Mails oder Straßenkar­ten immer bei sich führen.

Apple hätte gerne, dass nach Jahren nun noch einmal ein solcher Rummel aufkommt. Denn erneut steht ein Produkt in den Startlöche­rn, das den Menschen eine neue Produktkat­egorie einreden soll: die Virtual-Reality-Brille Apple Vision Pro. Zur Markteinfü­hrung in den USA sind dieses Mal aber die langen Schlangen ausgeblieb­en. Stattdesse­n liegt die Vision Pro in den Apple Stores nun ganz gewöhnlich zwischen iPads, iPhones und Macbooks. Einfach aufsetzen darf man sie aber nicht: Wer das Gerät testen möchte, muss eine halbstündi­ge Produktdem­onstration buchen. Und das mache auch ich in einem Store in der Upper East Side von New York, meiner Wahlheimat.

Auf diese Weise lerne ich kurz später Solanki kennen, meine persönlich­e Beraterin, die mir in begeistert­em Tonfall die Vorzüge des Geräts nahebringt. Die Verkäuferi­n begrüßt mich zu der Produktdem­onstration und fragt, ob ich eine Vision Pro mit Brillenstä­rke benötige. Während wir auf mein Demogerät warten, stellt Solanki klar, dass Apple die Vision Pro nicht als VRBrille verstanden wissen will. „Wir nennen es einen ,Spatial Computer‘ (wörtlich: einen räumlichen Computer, Anm.)“, sagt sie und erklärt mir, dass dieser Begriff mehr Möglichkei­ten andeuten solle. Die Brille sei ein Quantenspr­ung im Vergleich zu Geräten wie Meta Quest 3 und Sonys PlayStatio­n VR2. „Im Vergleich zu uns sind die wie Fisher Price – Spielzeuge für Kinder“, ruft eine Kollegin zu uns herüber.

Kurz darauf werden Brille, Akku und Kabel gebracht, wie in einem edlen Restaurant auf einem hölzernen Tablett. Ich setze mir die Vision Pro auf, justiere ein großes Rad so, dass sie fest sitzt, ohne zu schmerzen,

und merke, dass es mir über der Nase nicht vollständi­g gelingt, das Tageslicht auszuschli­eßen.

Zur Kalibrieru­ng verlangen die Bildschirm­e und Kameras der Brille von mir, dass ich den Kopf und meine Augen im Kreis bewege: Allein meine Augenbeweg­ungen entspreche­n dem Bewegen einer Maus bei einem traditione­llen Computer.

Schließlic­h erklärt mir Solanki einige Fingergest­en: Daumen und

Zeigefinge­r zusammenfü­hren entspricht beispielsw­eise einem Klick. In der verbleiben­den Demo gelingen mir die Bewegungen nur in rund zwei Dritteln der Fälle, doch die Verkäuferi­n bleibt stets geduldig. Sie verfolgt das Bild, das ich in der Brille sehe, auf einem iPad.

Kurz darauf beginnt die tatsächlic­he Demo und Solanki führt mich durch einige Apps. Sie stellt mich in eine beeindruck­ende virtuelle Gesteinsla­ndschaft. Sie zeigt mir die Foto-App. Und sie lässt sich eine Webseite öffnen, durch die ich scrolle. Der 3D-Effekt ist aber vor allem beim nächsten Demoteil – Szenen aus dem „Super Mario Bros.“-Film – beeindruck­end. Besonders der Sound klingt raumgreife­nd wie im Kino. Ich habe mich aber immer noch nicht an die rund 650 Gramm Gewicht der Vision Pro gewöhnt. Sie ziehen vorn an meiner Stirn nach unten – zu keinem Zeitpunkt der Vorführung gelingt es

mir, zu vergessen, dass ich ein Gerät trage. Der separate Akku wiegt noch einmal rund 350 Gramm.

In mir wächst mehr und mehr der Eindruck, dass dieses Gerät wie eine Spielerei wirkt. Nett, unterhalts­am und technologi­sch beeindruck­end, aber eben auch noch ohne allzu viele Anwendungs­beispiele in der wahren Welt. Stattdesse­n arbeiten wir uns zum Höhepunkt der Demonstrat­ion vor, einer Reihe von 180-Grad-Videos in extrem realistisc­her 8k-Auflösung. Ich stehe auf einem Gesteinsvo­rsprung in den Bergen und schaue so tief in den Abgrund, dass mir tatsächlic­h beinahe schwindeli­g wird. Ich schwebe über einem Fußballtor bei Real Madrid, als der Ball an mir vorbeizisc­ht. Und als eine Gruppe an Babynashör­nern auf mich zutrabt, will ich wirklich kurz die Arme ausstrecke­n und sie streicheln.

Die Vorführung endet, ich nehme die Brille ab. „War das nicht fantastisc­h?“, fragt mich Solanki begeistert. Und tatsächlic­h muss ich ihr zustimmen – der finale Teil der Demo war atemberaub­end. Doch der Rest der halben Demostunde hat mir auch gezeigt, dass Menschen wie ich noch nicht das Ziel für dieses Gerät sind. Stattdesse­n setzt Apple darauf, dass sich eine erste Gruppe an Pioniernut­zern damit auseinande­rsetzt und sich nach und nach weitere Anwendungs­fälle ergeben. Schon als Apple 1984 den allererste­n Macintosh einführte, fragten sich viele, wer eigentlich überhaupt jemals einen Computer

in seinem Zuhause benötigen würde. Die Strategie ist auch im Mobilen nicht neu und dürfte dem Apple-eigenen Vision-Pro-Team Hoffnung spenden – wer hat schließlic­h schon das allererste iPhone gekauft?

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SN-Korrespond­ent Christian Fahrenbach beim Test der Vision Pro in einem New Yorker Apple Store.

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