Brille auf der Nase soll Welt auf den Kopf stellen
Apples Vision Pro soll Virtual-Reality-Brillen massentauglich machen. Ein SN-Autor hat die Brille getestet – und am Ende stand ihm nicht nur wegen des Preises der Mund offen.
Es ist gar nicht so lange her, als Menschen nachts stundenlang angestanden sind, um morgens bei Geschäftsöffnung zu den ersten Käufern von iPhone 3 oder iPhone 4 zu gehören. Hersteller Apple hatte mit seinen Smartphones ein aufregendes neues Segment geschaffen – und plötzlich wollten alle ihre Mails oder Straßenkarten immer bei sich führen.
Apple hätte gerne, dass nach Jahren nun noch einmal ein solcher Rummel aufkommt. Denn erneut steht ein Produkt in den Startlöchern, das den Menschen eine neue Produktkategorie einreden soll: die Virtual-Reality-Brille Apple Vision Pro. Zur Markteinführung in den USA sind dieses Mal aber die langen Schlangen ausgeblieben. Stattdessen liegt die Vision Pro in den Apple Stores nun ganz gewöhnlich zwischen iPads, iPhones und Macbooks. Einfach aufsetzen darf man sie aber nicht: Wer das Gerät testen möchte, muss eine halbstündige Produktdemonstration buchen. Und das mache auch ich in einem Store in der Upper East Side von New York, meiner Wahlheimat.
Auf diese Weise lerne ich kurz später Solanki kennen, meine persönliche Beraterin, die mir in begeistertem Tonfall die Vorzüge des Geräts nahebringt. Die Verkäuferin begrüßt mich zu der Produktdemonstration und fragt, ob ich eine Vision Pro mit Brillenstärke benötige. Während wir auf mein Demogerät warten, stellt Solanki klar, dass Apple die Vision Pro nicht als VRBrille verstanden wissen will. „Wir nennen es einen ,Spatial Computer‘ (wörtlich: einen räumlichen Computer, Anm.)“, sagt sie und erklärt mir, dass dieser Begriff mehr Möglichkeiten andeuten solle. Die Brille sei ein Quantensprung im Vergleich zu Geräten wie Meta Quest 3 und Sonys PlayStation VR2. „Im Vergleich zu uns sind die wie Fisher Price – Spielzeuge für Kinder“, ruft eine Kollegin zu uns herüber.
Kurz darauf werden Brille, Akku und Kabel gebracht, wie in einem edlen Restaurant auf einem hölzernen Tablett. Ich setze mir die Vision Pro auf, justiere ein großes Rad so, dass sie fest sitzt, ohne zu schmerzen,
und merke, dass es mir über der Nase nicht vollständig gelingt, das Tageslicht auszuschließen.
Zur Kalibrierung verlangen die Bildschirme und Kameras der Brille von mir, dass ich den Kopf und meine Augen im Kreis bewege: Allein meine Augenbewegungen entsprechen dem Bewegen einer Maus bei einem traditionellen Computer.
Schließlich erklärt mir Solanki einige Fingergesten: Daumen und
Zeigefinger zusammenführen entspricht beispielsweise einem Klick. In der verbleibenden Demo gelingen mir die Bewegungen nur in rund zwei Dritteln der Fälle, doch die Verkäuferin bleibt stets geduldig. Sie verfolgt das Bild, das ich in der Brille sehe, auf einem iPad.
Kurz darauf beginnt die tatsächliche Demo und Solanki führt mich durch einige Apps. Sie stellt mich in eine beeindruckende virtuelle Gesteinslandschaft. Sie zeigt mir die Foto-App. Und sie lässt sich eine Webseite öffnen, durch die ich scrolle. Der 3D-Effekt ist aber vor allem beim nächsten Demoteil – Szenen aus dem „Super Mario Bros.“-Film – beeindruckend. Besonders der Sound klingt raumgreifend wie im Kino. Ich habe mich aber immer noch nicht an die rund 650 Gramm Gewicht der Vision Pro gewöhnt. Sie ziehen vorn an meiner Stirn nach unten – zu keinem Zeitpunkt der Vorführung gelingt es
mir, zu vergessen, dass ich ein Gerät trage. Der separate Akku wiegt noch einmal rund 350 Gramm.
In mir wächst mehr und mehr der Eindruck, dass dieses Gerät wie eine Spielerei wirkt. Nett, unterhaltsam und technologisch beeindruckend, aber eben auch noch ohne allzu viele Anwendungsbeispiele in der wahren Welt. Stattdessen arbeiten wir uns zum Höhepunkt der Demonstration vor, einer Reihe von 180-Grad-Videos in extrem realistischer 8k-Auflösung. Ich stehe auf einem Gesteinsvorsprung in den Bergen und schaue so tief in den Abgrund, dass mir tatsächlich beinahe schwindelig wird. Ich schwebe über einem Fußballtor bei Real Madrid, als der Ball an mir vorbeizischt. Und als eine Gruppe an Babynashörnern auf mich zutrabt, will ich wirklich kurz die Arme ausstrecken und sie streicheln.
Die Vorführung endet, ich nehme die Brille ab. „War das nicht fantastisch?“, fragt mich Solanki begeistert. Und tatsächlich muss ich ihr zustimmen – der finale Teil der Demo war atemberaubend. Doch der Rest der halben Demostunde hat mir auch gezeigt, dass Menschen wie ich noch nicht das Ziel für dieses Gerät sind. Stattdessen setzt Apple darauf, dass sich eine erste Gruppe an Pioniernutzern damit auseinandersetzt und sich nach und nach weitere Anwendungsfälle ergeben. Schon als Apple 1984 den allerersten Macintosh einführte, fragten sich viele, wer eigentlich überhaupt jemals einen Computer
in seinem Zuhause benötigen würde. Die Strategie ist auch im Mobilen nicht neu und dürfte dem Apple-eigenen Vision-Pro-Team Hoffnung spenden – wer hat schließlich schon das allererste iPhone gekauft?