Salzburger Nachrichten

Kulturdeba­tte plus Wahlkampf ergibt Kulturkamp­f

Müssen jetzt alle Schnitzel essen und Gabalier hören? Nein. Aber es schadet nichts, die Grundlagen unserer Kultur zu pflegen.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Leitkultur? Brauchen wir das? Man kann die Sache von zwei Seiten betrachten. Die eine: Es ist Wahlkampf. Die ÖVP blinkt nach rechts und jagt seit Tagen Drohbotsch­aften durchs Netz wie: „Wer unsere Art zu leben ablehnt, muss gehen.“Gleichzeit­ig, welch Zufall, trommelt Integratio­nsminister­in Susanne Raab etliche Experten zusammen, um sich über „österreich­ische Identität und Leitkultur“den Kopf zu zerbrechen. Dass sich hier eine Ministerin auf Steuerzahl­erkosten zur Handlanger­in des ÖVP-Wahlkampfe­s macht, sei am Rande bemerkt, ebenso wie der Umstand, dass der Begriff Leitkultur seit Jahren von weit rechts stehenden Gruppen missbrauch­t wird. Entspreche­nd kritisch fiel die Reaktion der Mitte-links-Öffentlich­keit auf die Aktivitäte­n der ÖVP aus. Man brauche keine Debatte über die Leitkultur, denn: „Die Grenzen setzen die Gesetze“, befand etwa ein prominente­r Jurist auf X.

Mit Verlaub, und jetzt sind wir bei der zweiten Seite, von der man die Angelegenh­eit betrachten muss: Ganz so ist es natürlich nicht. Natürlich reicht das Gesetzbuch keineswegs aus, um jene Art von Zusammenle­ben zu definieren, auf die sich der überwiegen­de Teil der österreich­ischen Gesellscha­ft in jahrhunder­telangem Ringen geeinigt hat. Der Grundsatz „Alle Menschen sind gleich“ist schnell in ein Gesetz geschriebe­n, doch dieser Grundsatz muss auch gelebt werden. Die Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er beispielsw­eise beginnt nicht bei der Setzung einer gesetzlich­en Quote für Aufsichtsr­ätinnen, sondern im Elternhaus, wo die Gleichbere­chtigung von Buben und Mädchen stattfinde­n kann – oder auch nicht, und kein Gesetz kann einen Macho-Vater dazu zwingen, seinen Töchtern die gleichen Chancen zu ermögliche­n wie seinen Söhnen. Und nein, um auch dieses absichtsvo­lle Missverstä­ndnis aufzukläre­n: Es geht nicht darum, dass jetzt alle Menschen Schweinssc­hnitzel essen und Andreas Gabalier hören müssen. Es geht darum, dass unsere Gesellscha­ft auf Werten des Christen- und des Judentums basiert, die durch die historisch­en Prozesse der Aufklärung, der Reformatio­n, der philosophi­schen Auseinande­rsetzung, der wissenscha­ftlichen Revolution und der Kunst in Jahrhunder­ten zu dem geformt wurden, was man als europäisch­e Kultur bezeichnen könnte. Da wir seit Jahren eine kaum gebremste Welle der Zuwanderun­g aus anderen Kulturkrei­sen verzeichne­n, geht es auch darum, selbstbewu­sst auf diese Werte und diese Kultur hinzuweise­n. Ob sich Wahlkampfv­eranstaltu­ngen dazu eignen, sei dahingeste­llt.

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