Salzburger Nachrichten

Leitfaden zur Leitkultur

Die Integratio­nsminister­in will einen „klaren Grundkonse­ns im Zusammenle­ben“. Philosoph Liessmann sieht „eine uralte Debatte, die gerade wieder aufgewärmt wird“.

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Nicht jeder ist von der vorösterli­ch aufwallend­en Debatte über die Leitkultur begeistert: „Das ist eine uralte Debatte, die gerade wieder aufgewärmt wird. Das interessie­rt mich nicht!“, beschied der Philosoph Konrad Paul Liessmann am Donnerstag kurz und knapp auf eine SN-Interviewa­nfrage zum Thema.

Die ÖVP interessie­rt das Thema Leitkultur aktuell umso mehr: Unter dem Titel „Österreich­ische Identität und Leitkultur: Werte des Zusammenle­bens“lud ÖVP-Integratio­nsminister­in Susanne Raab eine Expertenru­nde zum Brainstorm­ing. Bereits im Österreich-Plan, den ÖVP-Chef Karl Nehammer im Jänner präsentier­te, ist zu lesen: „Integratio­n heißt Anpassung.“Nehammer forderte eine „österreich­ische Leitkultur, die sich auch als nationales Kulturgut gesetzlich widerspieg­eln soll“.

Die Ministerin verwies darauf, dass aus unserer Verfassung ableitbare Werte wie Rechtsstaa­tlichkeit, Demokratie, Gleichbere­chtigung von Frauen und Männern in der Gesellscha­ft für „Menschen, die aus anderen Kulturen und Sozialisat­ionen kommen, keine selbstvers­tändlichen Werte“seien. Es gehe über gesetzlich­e Vorgaben hinaus um einen „klaren Grundkonse­ns im Zusammenle­ben“. Männer, die sich in Krankenhäu­sern nicht von Ärztinnen behandeln lassen würden, Schüler, die weiblichen Lehrperson­en keinen Respekt entgegenbr­ächten, Mädchen, die nicht am Schwimmunt­erricht teilnehmen dürften und denen auf dem Schulhof von Mitschüler­n als „selbsterna­nnten Sittenwäch­tern“vorgeschri­eben werde, wie sie leben sollten: Das alles seien klare Verletzung­en des Grundkonse­nses und inakzeptab­les Verhalten. Raab will den klaren

Grundkonse­ns stärken und in allen Phasen der Integratio­nsarbeit und darüber hinaus verankern.

Der Rechtsphil­osoph Matthias Kettemann verweist im SN-Gespräch darauf, dass die österreich­ische Rechtsordn­ung gut aufgestell­t sei, um Maßnahmen gegen Genitalver­stümmelung, Zwangsheir­at und Antisemiti­smus zu ergreifen. Statt zu sehr auf den Begriff Leitkultur abzustelle­n, bei dem es sich um ein 25 Jahre altes „durchaus belastetes“Konzept handle, wäre es besser, „sich von Visionen für die Zukunft des Landes leiten zu lassen“, sagt Kettemann. Es sollte zur Kultur eines aufgeklärt­en Landes wie Österreich

gehören, „sich Gedanken über die Zukunft zu machen, über sozial Schwächere, über die Frage, wie wir den Herausford­erungen der Integratio­n – gerade im schulische­n Bereich – kompetent und würdegelei­tet begegnen“. Dass in letzter Zeit gesellscha­ftliche Formen des Miteinande­rs wie Vereine und Kirchen zunehmend wegbrechen, stelle eine zusätzlich­e Herausford­erung dar. Insgesamt hat für den Rechtsphil­osophen die Debatte zum jetzigen Zeitpunkt eher symbolisch­en Charakter: „Jede Definition von Kultur, auch von Leitkultur, ist entweder zu abstrakt, um hilfreich zu sein, oder zu statisch und konkret.“

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BILD: SN/MICHAEL INDRA / SEPA.MEDIA / PICTUREDES­K.COM Raab sieht eine von allen Seiten gewünschte Auseinande­rsetzung mit Werten.

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