„Demokratie muss man auch wagen“
Stärkere Elemente von Persönlichkeitswahl, mehr direkte Demokratie: Die Bürger mehr entscheiden zu lassen würde den Frust über das Politische entschärfen, sagt ein Föderalismusexperte.
SALZBURG, WIEN. Die Demokratie ist in der Krise. Der Verdruss über etablierte Parteien stärkt die politischen Ränder. Viele gehen gar nicht mehr wählen, andere wählen extremer – und wenden sich starken Persönlichkeiten zu. Was sagt das über den Zustand der Demokratie? Was muss passieren, damit das Vertrauen in die politischen Systeme wieder wächst? Die SN sprachen darüber mit Verfassungsrechtler und Föderalismusforscher Peter Bußjäger.
SN: Der Kommunist Kay-Michael Dankl, aber auch die Machtwechsel in Salzburger Gemeinden haben zuletzt gezeigt: Die Menschen wählen verstärkt Personen statt Parteien. Wird dieser Trend stärker?
Ich habe schon den Eindruck, dass er sich verstärkt. Man hat ja auch Rahmenbedingungen dafür geschaffen, etwa mit der Einführung der Bürgermeister-Direktwahl. Das hatte das Ziel, Personen statt Parteien in den Vordergrund zu stellen. Ähnlich ist es auf Landes- und Bundesebene, wenn man Vorzugsstimmen mehr Gewicht gibt. Das ist eine wichtige Ergänzung zum Listenwahlrecht, bei dem die Partei vorgibt, wen man wählen kann.
SN: Stichwort Dankl in Salzburg oder Kickl auf Bundesebene: Wie gefährlich ist diese Personalisierung, wenn politische Ränder dadurch so stark werden?
Populistische Politik ist gekennzeichnet davon, dass sie plakative Schlagzeilen liefert und Sachdebatten in den Hintergrund rückt. Und das funktioniert nur, wenn das ein prägnanter Kopf präsentiert. Das ist nicht undemokratisch, führt aber dazu, dass Sachthemen zugunsten polarisierender Themensetzung zurückgedrängt werden können.
SN: Wenn Sie alle Für und Wider abwägen: Ist die Personalisierung ein Fort- oder Rückschritt?
Ich sehe das als Fortschritt. Idealtypisch könnte man sagen, dass man keine großen Maulhelden will, sondern sachliche Debatten. Aber das Grundproblem liegt tiefer und darin begründet, dass in der klassischen Form der Listenerstellung die Parteisekretariate vorgeben, wer gewählt werden kann. Und wir kennen alle die internen Ränkespiele, die es dabei gibt. Deshalb stärkt es das Vertrauen in das System, wenn den personellen Präferenzen der Wählerinnen und Wähler zum Durchbruch verholfen wird und nicht nur möglich ist, was parteiinterner Logik entspricht.
SN: Würden Sie die Persönlichkeitselemente auch auf Bundes- und EU-Ebene stärken?
Ja, das sollte man machen, indem beispielsweise Vorzugsstimmen der Wähler bei der Entsendung von Kandidaten in die Parlamente mehr Gewicht bekommen. In der Schweiz geht das so weit, dass man eine Partei und gleichzeitig Kandidaten anderer Parteien wählen kann. In Südtirol
geht man so weit, dass auf Parteilisten letztlich nur die Reihung der Vorzugsstimmen entscheidet. Das kann auch Verwerfungen bringen und so extrem muss man es nicht handhaben. Aber insgesamt täten stärkere Persönlichkeitselemente gut, gerade auch auf EU-Ebene. Da kann Österreich 20 Parlamentarier entsenden und es ist doch so, dass man dann EU-Parlamentarier im Fernsehen sieht, von denen man noch nie etwas gehört hat. Wäre die EU-Wahl stärker personalisiert, wüsste man vermutlich, wer einen in Brüssel vertritt.
SN: Sollte man auch die Direktwahl von Landeshauptleuten oder Kanzlern andenken?
Das sähe ich kritisch. Es ist ja schon heute so, dass die Landeshauptleute die großen Repräsentanten der Länder sind und die Landtage schwächer werden. Mit einer Direktwahl käme das Gefüge der Staatsgewalten noch stärker ins Ungleichgewicht. Es war interessant zu beobachten, dass in Liechtenstein kürzlich das Volk die Idee verworfen hat, alle Regierungsämter per Direktwahl zu wählen. Das würde die Parlamente oder Landtage weiter marginalisieren und das wäre nicht gut.
SN: Proporzregierungen, in denen alle gewählten Parteien in die Regierung eingebunden sind, hat es in vielen Bundesländern lange gegeben. Die kamen zwar zu Recht in Verruf, doch spräche nicht in Zeiten stärkerer Extreme wieder viel dafür?
Ich würde das neutral betrachten. Die Proporzregierung spiegelt die demokratische Zusammensetzung des Landtags in der Exekutivgewalt wider, das ist von der Demokratiequalität durchaus interessant. International üblich sind mittlerweile aber Koalitionen einzelner Parteien, also Mehrheitsregierungen. Da ist darauf zu achten, dass das Parlament sein Kontrollrecht tatsächlich wahrnehmen und ausüben kann.
Fassen wir zusammen: Stärkere Elemente von Persönlichkeitswahl und direkter Demokratie wären die Lösung, um die Demokratie zu retten?
SN:
Zum Teil. Direkte Demokratie ist kein Allheilmittel, weil sie auch populistisch missbraucht werden kann. Es ist aber eine wichtige Ergänzung zur repräsentativen Demokratie. Deshalb sollte man in Österreich weniger Angst davor haben, als es derzeit der Fall ist.
SN: Wie meinen Sie das?
Ich glaube, dass das Volk letztlich keine schlechteren Entscheidungen treffen würde als seine Repräsentanten in den Parlamenten. Auch dass die Wählerschaft Themen rational bewerten kann und zu einem guten Umgang mit direkter Demokratie in der Lage ist. Da ist zwar immer ein Stück Wagnis dabei, aber zur Demokratie gehört, sie auch zu wagen.
SN: Ist die Schweiz ein Vorbild?
Auf jeden Fall. Sie gibt dem Volk mit der direkten Demokratie mehr Mitwirkungsmöglichkeiten, speziell im Konnex mit den föderalen Strukturen. Das Vertrauen in das politische System ist in der Schweiz nicht zufällig am höchsten. Die Politik ist viel transparenter für die Bürger, weil breit und vielschichtig über Themen debattiert wird. Das ist für ein politisches System wertvoll.
SN: Im Gegensatz zu den österreichischen Bundesländern bekommen die Schweizer Kantone vom Bund nicht nur Steuergeld zugeteilt. Sie haben auch Verantwortung für die Steuereinnahmen. Wäre das auch in Österreich notwendig?
Auch wenn man ein System nicht eins zu eins kopieren kann, wäre auch bei uns eine Entwicklung in diese Richtung wichtig. Damit würde erstens zwischen den Bundesländern ein Wettbewerb um gute Ideen entstehen und zweitens würde der verantwortungsvolle Umgang mit den Finanzen gestärkt. Die Länder hätten dann eigene Finanzquellen und wären dafür selbst verantwortlich. Diese Form von Verantwortung für Ausgaben wie Einnahmen würde positiv wirken.
In Österreich wird viel über direkte Demokratie geredet und dabei meist alles zerredet. Wäre es nicht klug, mit der Stärkung der direkten Demokratie auf kommunaler Ebene zu beginnen?
SN:
Ich fände das einen guten Ansatz, weil die kommunale Ebene überschaubar ist. Dort fallen sachlichere Entscheidungen. Und es kann dort auch nicht so viel passieren, wenn es mal schiefgeht. Ich wüsste auch nicht, warum Gemeindebürger nicht über Grundsatzfragen in ihrem Ort abstimmen sollen: Brauchen wir ein neues Gemeindeamt oder einen Veranstaltungssaal? Soll ein neues Gewerbegebiet entstehen? Man muss das Instrument nur nutzen. Und das liegt in der Hand der Gemeindevertretung, das hat das Höchstgericht klargestellt. In den Gemeindeordnungen der Länder gibt es vielfach auch schon die nötigen Instrumente dafür, auch für Bürgerbegehren, die eine Volksabstimmung wollen. Wenn das breite Unterstützung findet, möchte ich die Gemeindevertretung sehen, die sich traut, sich dem zu entziehen.
SN: Warum gibt es trotzdem kaum Bürgerabstimmungen?
Viele Bürger wissen gar nicht, welche Rechte ihnen zustünden ...
Haben Bürgermeister und Gemeindevertretungen nicht auch Angst davor, das Volk zu befragen?
SN:
Angst finde ich übertrieben. Ich würde sagen, es gibt noch zu wenig Verständnis dafür. Das ist eine Kulturfrage, weil direkte Demokratie in Österreich nie stark ausgeprägt war. In der Steiermark gab es vor Jahren Gemeindefusionen und davor auch Volksbefragungen dazu. Doch deren Ausgang wurde teils nicht akzeptiert. Das wäre in der Schweiz undenkbar. Wenn man direkte Demokratie anwendet, muss man sie auch ernst nehmen.
Zur Person: Peter Bußjäger ist Verfassungsrechtler an der Universität Innsbruck und leitet das österreichische Föderalismus-Institut. Der Vorarlberger ist zudem Verfassungsrichter am Staatsgerichtshof von Liechtenstein.