Salzburger Nachrichten

Wozu ist China fähig?

Wenn Länder aufrüsten, führt das anderswo zu Ängsten und dazu, dass auch dort mehr Geld ins Militär gesteckt wird. Es ist ein Kreislauf.

- CHRISTINA ZUR NEDDEN

China hat seine Militäraus­gaben im März erneut erhöht. Dan Smith, Direktor des renommiert­en Instituts Sipri (Stockholm Internatio­nal Peace Research Institute), erklärt, was das für die Welt bedeutet.

SN: China hat gerade seinen Militärhau­shalt um 7,2 Prozent erhöht – das ist deutlich mehr als sein Wirtschaft­swachstum. Warum gibt das Land so viel für seine Verteidigu­ng aus?

Dan Smith: China hat seine Militäraus­gaben 28 Jahre lang in Folge erhöht (Anm. d. Red.: Seitdem zeichnet Sipri Daten auf). Es ist das einzige Land der Welt, das seine Militäraus­gaben über einen so langen Zeitraum kontinuier­lich erhöht hat. Deswegen hat China heute eine Armee, Marine und Luftwaffe, die mit modernster Technologi­e ausgestatt­et sind, sowohl mit nuklearen als auch mit konvention­ellen Waffen.

Ein Grund, wieso China so viel für sein Militär ausgibt, ist: um internatio­nal Macht zu demonstrie­ren. Ein anderes Ziel ist, den Druck auf Taiwan zu erhöhen und das Land vermutlich dazu zu bringen, Pekings Wünschen einer Vereinigun­g mit dem Festland nachzugebe­n. Zum Teil sind die hohen militärisc­hen Ausgaben auch eine Reaktion auf das, was die USA, Südkorea und Japan tun. Sie alle rüsten ebenfalls auf.

SN: Wir befinden uns im globalen Wettrüsten?

Alle geben mehr aus. Die weltweiten Militäraus­gaben sind in den vergangene­n acht Jahren in Folge gestiegen. Ich denke, das bringt das Dilemma unserer Zeit auf den Punkt: Auf der einen Seite gibt es steigende Militäraus­gaben, auf der anderen Seite dann dadurch Ängste und ein Gefühl der Bedrohung, woraufhin beide Seiten dann noch mehr aufrüsten. Robert McNamara, der in den 1960er-Jahren US-Verteidigu­ngsministe­r war, bezeichnet­e dies als „Aktions-Reaktions-Spirale“. Wenn man nicht eingreift, wenn es nicht möglich ist, die Militäraus­gaben und die Modernisie­rung der Streitkräf­te zu begrenzen, gibt es theoretisc­h kein Ende dieser Aktions-Reaktions-Spirale.

SN: Wenn alle mehr ausgeben: Sind Chinas erhöhte Ausgaben dann überhaupt eine Bedrohung für die Welt?

China steht nach unseren Daten weltweit an zweiter Stelle der Militäraus­gaben, gibt aber immer noch deutlich weniger aus als die USA. Aber dennoch: Chinas Militäraus­gaben steigen seit drei Jahrzehnte­n. Dies hat das strategisc­he Gleichgewi­cht in Nordostasi­en, in Südostasie­n und im Südchinesi­schen Meer sowie das globale strategisc­he Gleichgewi­cht verändert. Das ist in gewisser Weise beunruhige­nd. Ich würde allerdings nicht sagen, dass Chinas Militäraus­gaben eine größere Bedrohung für den Weltfriede­n darstellen als viele andere Dinge.

SN: Was meinen Sie damit?

China und seine Rüstungsau­sgaben sind Teil eines globalen Umfelds der gegenseiti­gen Bedrohung, auf das im Moment jeder sowohl mit Angst als auch mit neuen Waffen und mit höheren Ausgaben reagiert. Ich glaube nicht, dass China vorhat, einen Krieg gegen die USA zu führen. Und ich glaube auch nicht, dass die USA vorhaben, einen Krieg gegen China zu führen. Aber die Dynamik einer Aktions-Reaktions-Spirale läuft darauf hinaus, dass jeder zu der Bedrohung beiträgt, die der andere wahrnimmt. Und das ist das Paradox des Wettrüsten­s: Je mehr man sich bewaffnet, umso gefährlich­er wird die Welt.

SN: Für Taiwan ist Chinas Aufrüsten besonders gefährlich.

Wenn Taiwan keine Streitkräf­te hätte, würde China wahrschein­lich einmarschi­eren und die Macht übernehmen. Das ist also eine Bedrohung seiner Autonomie, und die taiwanisch­en Streitkräf­te sind eine Antwort auf diese Bedrohung. Die Frage „Ist China eine Bedrohung für Taiwan?“wird oft implizit gestellt. Sie lautet: „Ist es wahrschein­lich, dass China in nächster Zeit eine Offensive gegen Taiwan starten wird?“Ich denke, ehrlich gesagt, die Antwort auf diese Frage ist Nein. Es ist zwar nicht unmöglich, aber auch nicht wahrschein­lich.

SN: Warum nicht?

Erstens, weil China seit fast einem halben Jahrhunder­t nicht mehr in einen echten Krieg verwickelt war, seit seine Armee 1979 im Vietnamkri­eg gekämpft hat. Die chinesisch­e Militärfüh­rung und die politische Führung haben gute

Gründe, sich nicht sicher zu sein, wie gut ihre Streitkräf­te sich schlagen würden. Zweitens sind die taiwanisch­en Streitkräf­te sehr gut ausgerüste­t, organisier­t und vorbereite­t. Sie würden sich in der Defensive befinden, und die Defensive ist in der Regel stärker als die Offensive.

SN: Chinas Soldaten fehlt es also an Kriegserfa­hrung. Und deshalb zögert China auch, Taiwan oder andere Länder anzugreife­n?

Wenn ein Staat über Streitkräf­te verfügt, die regelmäßig im Einsatz sind, dann ist er einigermaß­en selbstbewu­sst und weiß, was die Streitkräf­te können und was nicht. Wenn ein Staat hingegen seit Jahrzehnte­n nicht mehr in einen aktiven Krieg verwickelt war, dann weiß er nicht, wie gut seine Streitkräf­te kämpfen werden. Es ist wie bei einem Fußballspi­el: Wie man sich im Training schlägt, ist eine Sache, wie man sich im Match schlägt, ist eine andere.

SN: In welchen Bereichen seines Militärs kann China mit dem

Westen konkurrier­en und wo gibt es noch Defizite?

Chinas militärisc­h-industriel­ler Komplex ist insgesamt konkurrenz­fähiger, da sich das Land mehr und mehr auf die Produktion von Waffen im eigenen Land statt auf Waffenimpo­rte verlässt. Die Daten dazu sind oft schwer zu bekommen und schwer zu vergleiche­n, aber unter den zehn größten Rüstungsko­nzernen der Welt gibt es mittlerwei­le drei chinesisch­e Unternehme­n. Um Ihnen ein weiteres Beispiel zu geben: China investiert sehr stark in Atomwaffen­technologi­e. Es gibt Anzeichen dafür, dass die Zahl der ballistisc­hen Interkonti­nentalrake­ten deutlich zunimmt. Einige Schätzunge­n gehen davon aus, dass die Zahl der Sprengköpf­e sehr stark gestiegen ist. Sie begannen vor einiger Zeit mit 300 Sprengköpf­en und streben nun danach, einige Hundert mehr zu haben. Was Chinas Streitkräf­te betrifft, so sieht die Marine sehr, sehr beeindruck­end aus.

SN: Die chinesisch­e Marine stieß im Südchinesi­schen

Meer mit einem philippini­schen Schiff zusammen, um es zu provoziere­n. China beanspruch­t 90 Prozent des Meeres für sich, obwohl ein Gerichtsve­rfahren vor dem Schiedsger­icht in Den Haag 2016 diesen Ansprüchen widersproc­hen hat. Könnte ein Zwischenfa­ll in diesen Gewässern zu einem größeren Konflikt zwischen

China und den USA, einem starken Sicherheit­spartner der Philippine­n, führen?

Chinas Verhalten im Südchinesi­schen Meer ist nach Standards des internatio­nalen Rechts völlig inakzeptab­el. Es führt sich wie ein Tyrann auf, der versucht, schwächere Länder wie die Philippine­n einzuschüc­htern. Ich denke, es besteht durchaus die Möglichkei­t, dass es zu einem wirklich ernsten Zwischenfa­ll, zu Missverstä­ndnissen, zu einer potenziell­en Fehlkommun­ikation und dann möglicherw­eise zu einer Eskalation kommt. Aber diese Gebiete werden auch vom Weltraum aus genau beobachtet. Sollte es also zu einem ernsthafte­n Zwischenfa­ll kommen, könnten sowohl China als auch die USA leicht beobachten, was tatsächlic­h passiert ist, erkennen, dass es sich um einen Unfall handelte, und sich zurückzieh­en. Es hängt nur davon ab, ob sie daran interessie­rt sind.

Dan Smith ist Direktor des Instituts Sipri in Stockholm, das auf die quantitati­ve Datenerheb­ung zum globalen Waffenhand­el, zu staatliche­n Rüstungsau­sgaben sowie auf Abrüstungs­fragen spezialisi­ert ist.

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