Schreib mir etwas Schmutziges!
Eine alte Jungfer erhält plötzlich Briefe mit unaussprechlich obszönem Inhalt.
Unanständig. Widerlich. Ekelhaft. Eigentlich sollte Edith Swan mindestens die Hälfte der Worte gar nicht kennen, mit denen diese Briefe gepfeffert sind, die Edith in letzter Zeit bekommt. Heute würde man so etwas „HateMails“nennen, anonym versendet. In diesem Fall sind sie in Schönschrift mit Tinte auf Papier, schließlich sind wir einer biederen englischen Kleinstadt der 1920er-Jahre.
Dabei ist Edith, genüsslich gespielt von Oscarpreisträgerin Olivia Colman, eine anständige Frau – fast noch anständiger, als es ihr manchmal lieb ist: Sie ist unverheiratet, lebt immer noch bei ihren Eltern (Timothy Spall, Gemma Jones) und liest am liebsten in der Bibel. Dann muss sie diese äußerst unchristlichen Kraftausdrücke lesen, die Ediths diverse physische und psychische Eigenschaften zugegebenermaßen sehr originell beschreiben. Dabei würde sie über das, was sich unter ihrem züchtigen Kleid befindet, nie auch nur ein Wort verlieren – schon gar nicht Worte, wie sie in diesen Briefen stehen.
Ein Skandal im ganzen Ort: Alle spekulieren, wer der Absender dieser unflätigen Briefe sein könnte. Vielleicht könnte es sogar sein, dass sich Edith im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit gar nicht so unwohl fühlt? Doch nein, das darf nicht sein. Stattdessen lenkt sie den Blick auf die Einzige, der Edith so infame Worte zutrauen würde: Rose (Jessie Buckley, bekannt aus „Women Talking“). Die ist jung, selbstbewusst und aus Irland zugezogen. Sie lebt auch noch in wilder
Herrlich ungezogene, groß besetzte britische Komödie
Ehe mit ihrem Partner und einem kleinen Kind. Also ist sie aus Prinzip grundverdächtig. Dazu macht sie aus ihrem extensiven Wissen über die nicht jugendfreien Teile des Wörterbuchs kein Geheimnis: Rose kann fluchen, dass ein ganzer Jahrgang Kutscher rote Ohren bekäme.
Die Dorfgemeinschaft wendet sich gegen Rose, obwohl bald klar ist, dass sie es nicht gewesen sein
kann. Doch wenn sich die öffentliche Meinung einmal eine solche gebildet hat, gibt’s kein Zurück mehr. Rose wird verhaftet. Nur eine glaubt an ihre Unschuld: Polizistin Gladys Moss. Doch die hat als Frau gegen ihre kriminalistisch unbedarften, aber von sich selbst überzeugten Kollegen keine Chance.
Blede Blunzen versus depperte Schastrommel usw.: Aus dem Österreichischen kennen wir, welch wunderbar farbenfrohe Möglichkeiten die Mundart anbietet, dem jeweiligen Gegenüber aktuell empfundene Missbilligung möglichst deutlich auszudrücken. Auf Englisch
geht das genauso gut, wie Thea Sharrocks vergnügliche, mit zahlreichen britischen Schauspielstars besetzte Komödie demonstriert. „Kleine schmutzige Briefe“ist zwar streckenweise trotz heftigen Vokabulars (gönnen Sie sich die Originalversion, wenn möglich!) ein wenig gar nett geraten, ist aber zügig inszeniert und die Charaktere zeigen mitunter erstaunliche Tiefe.
Die verrückte Geschichte von den ordinären Briefen basiert übrigens auf einer wahren Begebenheit, die sich in den 1920er-Jahren in der Kleinstadt Littlehampton abgespielt hat – Edith, Rose, Gladys und
die „Wicked Little Letters“, wie der Film im Original heißt, hat es wirklich gegeben. Deren Geschichte war weniger lustig, sie endete mit mehreren zerstörten Existenzen.
Ein Detail am Rande: Die Filmmusik stammt von der britischen Komponistin Isobel Waller-Bridge, der Schwester von Schauspielstar Phoebe Waller-Bridge, die wir aus „Fleabag“oder „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“kennen.