Salzburger Nachrichten

Schreib mir etwas Schmutzige­s!

Eine alte Jungfer erhält plötzlich Briefe mit unaussprec­hlich obszönem Inhalt.

- GINI BRENNER „Kleine schmutzige Briefe“, Tragikomöd­ie, Großbritan­nien 2023. Regie: Thea Sharrock. Mit Olivia Colman, Jessie Buckley, Timothy Spall.

Unanständi­g. Widerlich. Ekelhaft. Eigentlich sollte Edith Swan mindestens die Hälfte der Worte gar nicht kennen, mit denen diese Briefe gepfeffert sind, die Edith in letzter Zeit bekommt. Heute würde man so etwas „HateMails“nennen, anonym versendet. In diesem Fall sind sie in Schönschri­ft mit Tinte auf Papier, schließlic­h sind wir einer biederen englischen Kleinstadt der 1920er-Jahre.

Dabei ist Edith, genüsslich gespielt von Oscarpreis­trägerin Olivia Colman, eine anständige Frau – fast noch anständige­r, als es ihr manchmal lieb ist: Sie ist unverheira­tet, lebt immer noch bei ihren Eltern (Timothy Spall, Gemma Jones) und liest am liebsten in der Bibel. Dann muss sie diese äußerst unchristli­chen Kraftausdr­ücke lesen, die Ediths diverse physische und psychische Eigenschaf­ten zugegebene­rmaßen sehr originell beschreibe­n. Dabei würde sie über das, was sich unter ihrem züchtigen Kleid befindet, nie auch nur ein Wort verlieren – schon gar nicht Worte, wie sie in diesen Briefen stehen.

Ein Skandal im ganzen Ort: Alle spekuliere­n, wer der Absender dieser unflätigen Briefe sein könnte. Vielleicht könnte es sogar sein, dass sich Edith im Mittelpunk­t der allgemeine­n Aufmerksam­keit gar nicht so unwohl fühlt? Doch nein, das darf nicht sein. Stattdesse­n lenkt sie den Blick auf die Einzige, der Edith so infame Worte zutrauen würde: Rose (Jessie Buckley, bekannt aus „Women Talking“). Die ist jung, selbstbewu­sst und aus Irland zugezogen. Sie lebt auch noch in wilder

Herrlich ungezogene, groß besetzte britische Komödie

Ehe mit ihrem Partner und einem kleinen Kind. Also ist sie aus Prinzip grundverdä­chtig. Dazu macht sie aus ihrem extensiven Wissen über die nicht jugendfrei­en Teile des Wörterbuch­s kein Geheimnis: Rose kann fluchen, dass ein ganzer Jahrgang Kutscher rote Ohren bekäme.

Die Dorfgemein­schaft wendet sich gegen Rose, obwohl bald klar ist, dass sie es nicht gewesen sein

kann. Doch wenn sich die öffentlich­e Meinung einmal eine solche gebildet hat, gibt’s kein Zurück mehr. Rose wird verhaftet. Nur eine glaubt an ihre Unschuld: Polizistin Gladys Moss. Doch die hat als Frau gegen ihre kriminalis­tisch unbedarfte­n, aber von sich selbst überzeugte­n Kollegen keine Chance.

Blede Blunzen versus depperte Schastromm­el usw.: Aus dem Österreich­ischen kennen wir, welch wunderbar farbenfroh­e Möglichkei­ten die Mundart anbietet, dem jeweiligen Gegenüber aktuell empfundene Missbillig­ung möglichst deutlich auszudrück­en. Auf Englisch

geht das genauso gut, wie Thea Sharrocks vergnüglic­he, mit zahlreiche­n britischen Schauspiel­stars besetzte Komödie demonstrie­rt. „Kleine schmutzige Briefe“ist zwar streckenwe­ise trotz heftigen Vokabulars (gönnen Sie sich die Originalve­rsion, wenn möglich!) ein wenig gar nett geraten, ist aber zügig inszeniert und die Charaktere zeigen mitunter erstaunlic­he Tiefe.

Die verrückte Geschichte von den ordinären Briefen basiert übrigens auf einer wahren Begebenhei­t, die sich in den 1920er-Jahren in der Kleinstadt Littlehamp­ton abgespielt hat – Edith, Rose, Gladys und

die „Wicked Little Letters“, wie der Film im Original heißt, hat es wirklich gegeben. Deren Geschichte war weniger lustig, sie endete mit mehreren zerstörten Existenzen.

Ein Detail am Rande: Die Filmmusik stammt von der britischen Komponisti­n Isobel Waller-Bridge, der Schwester von Schauspiel­star Phoebe Waller-Bridge, die wir aus „Fleabag“oder „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“kennen.

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„Kleine schmutzige Briefe“: Olivia Colman und Jessie Buckley spielen Edith Swan und Rose Gooding.

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