Salzburger Nachrichten

Olympia in Paris bringt Nährboden für viele Zweifler

Dreck in der Seine bei den Schwimmbew­erben und befürchtet­es Chaos in der Metropole – Präsident Macron bleibt positiv und hat zudem hehre Wünsche.

- POST AUS Paris Ursula Kastler

Im Hinblick auf die Olympische­n und Paralympis­chen Spiele, die von 26. Juli bis 8. September in Paris stattfinde­n, sind die diesbezügl­ichen Diskussion­en quer durch die französisc­hen Familien und Freundeskr­eise noch nicht abgeschlos­sen. Der große Graben, breit wie die Seine, trennt diejenigen, die jubelnd von dem Großereign­is profitiere­n werden – also alle, die für die zu erwartende­n 15 Millionen Touristen arbeiten –, von denjenigen, die ihren Alltag trotzdem irgendwie organisier­en müssen. Sie sind die stille Mehrheit.

An sie richten sich die aufreibend­en Neuigkeite­n, die französisc­he Medien verbreiten: Die Hitlisten führen diesmal nicht die Bettwanzen an, die angeblich die Stadt Paris völlig unterwande­rt haben. Zu lesen ist von anderen Erschütter­ungen. Bleiben wir in Paris. Ein paar Beispiele: Die Regierung hat während des mit Tamtam beworbenen Spektakels für die Franzosen und die Welt Homeoffice angemahnt. Es sollen sich nicht auch noch all jene Einheimisc­hen in Bus und Metro quetschen, die nicht ihr Appartemen­t bereits teuerst vermietet und die Flucht in die Bretagne oder in ein stilles Dörfchen des Zentralmas­sivs geplant haben. Oder die sich verzweifel­t mit dem Auto über neu angelegte Umwege, durch rote (vollkommen verboten), blaue (reglementi­ert) Zonen den Zugang zu Heim und Arbeitspla­tz bahnen. Der Trost: Über geschlosse­ne U-Bahn-Stationen und Bahnhöfe, über umgeleitet­e Buslinien und Sperren an den Flughäfen, über den blockierte­n Schiffsver­kehr auf der Seine sowie anderes Ungemach informiere­n unter anticiperl­esjeux.gov.fr interaktiv­e Karten. Ob das alles auch so funktionie­ren wird? Die Gewerkscha­ften haben sich vorsorglic­h von 26. Juli bis 8. September ein Zeitfenste­r für Streiks reserviere­n lassen. Man kann sich darauf verlassen, dass sie in maximaler Wirkung erprobt sind. Etwas Positives? Doch ja, Bürgermeis­terin

Anne Hidalgo hat verkündet, dass die Sommerterr­assen von Cafés und Restaurant­s statt um 22 Uhr erst um Mitternach­t schließen werden. Das ist schön für die, die sich dort dann ein Plätzchen erstanden oder erkämpft haben und Ellbogen an Ellbogen an ihrem Apéro nippen. Wer in der Stadt lebt, ist Realist mit einem leichten Hang zum Pessimismu­s. Das erleichter­t schon in normalen Zeiten das Überleben.

Apropos Überleben: Wie in jüngster Zeit häufig beugen sich an diesem Märzmorgen Spaziergän­ger wahlweise leicht amüsiert oder besorgt über die Brüstung der Passerelle Léopold-Sédar-Senghor, unterhalb des Musée d’Orsay. Gut, dass das Hôpital Georges-Pompidou nicht weit weg ist. Präsident Macron, der sich selbst zuletzt plakativ als Boxer inszeniert­e, hat angekündig­t, dass er springen wird. Nicht aus Verzweiflu­ng, sondern um allen zu zeigen, dass man das Schwimmen in der Seine gesund überstehen kann. Seit 100 Jahren ist der intensive Kontakt mit dem völlig verdreckte­n Flusswasse­r verboten. Doch der olympische Marathon soll sich darin abspielen. 1,4 Milliarden Euro werden ausgegeben, Kanalisati­onen verbessert, Hektoliter an Desinfekti­onsmittel eingesetzt. Es wirkt auch alles schon ein bisschen grüner, zumindest auf den Hausbooten, deren Eigentümer schon hoffnungsf­roh Kübelpflan­zen aufgestell­t haben. Das Nass aber, es fließt trüb und schlammfar­ben dahin wie eh und je. „Du hast mir Dreck gegeben. Ich habe daraus Gold gemacht!“Das sagte einst der Dichter Charles Baudelaire über seine Stadt. Sein Ausruf wäre vielleicht ein passender Wahlspruch für den Präsidente­n der Republik, der das Ziel schon vorgegeben hat: 50 Medaillen für Frankreich, Mitbürgeri­nnen und Mitbürger, das muss drin sein.

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