Salzburger Nachrichten

Wählen ist Gefühlssac­he

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Volksparte­i „ihren Ruf als Partei des Mittelstan­ds eingebüßt“, berichtete dieser Tage die Austria Presse Agentur. In der repräsenta­tiven Erhebung (1000 Befragte ab 14 Jahren) gehen nur noch 17 Prozent davon aus, dass die ÖVP Interessen des Mittelstan­ds vertritt. 2020 waren es noch 31 Prozent. Den besten Wert erzielt („ausgerechn­et“, würde jetzt die ÖVP sagen) die SPÖ mit 19 Prozent, die FPÖ hat von 9 auf 17 Prozent zugelegt.

Es sei konzediert, dass Umfragen jedweder Art nicht eben die härteste Währung in unserer Demokratie sind. Und dennoch müssen die erhobenen Werte alarmieren­d sein für die ÖVP. Alarmieren­d – und bitter. Denn es ist ja nicht so, dass die ÖVP in den vergangene­n Jahren nichts für den Mittelstan­d getan hätte. Die ÖVP-geführte Regierung hat die kalte Steuerprog­ression abgeschaff­t. Sie hat die Transferle­istungen, von denen auch der Mittelstan­d profitiert, valorisier­t. Sie hatte mittels Kurzarbeit-Milliarden dafür gesorgt, dass die coronabedi­ngten Betriebsst­illlegunge­n keinen Einbruch im Wohlstands­gefüge verursacht haben. Sie hat mit diversen Zahlungen, Preisdecke­ln und Zuschüssen auch die nachteilig­en Auswirkung­en der Energiekri­se gemildert. Und das alles sollte nichts zählen?

Doch im Grunde ist der Umstand, dass der viel umworbene Mittelstan­d der ÖVP zunehmend die kalte Schulter zeigt, gar nicht so verwunderl­ich. Denn zum einen ist Dankbarkei­t keine politische Kategorie. Die Segnungen der vergangene­n Jahre haben längst den Status von Selbstvers­tändlichke­iten angenommen, für die man niemanden mehr belobigen muss.

Zum zweiten wurde und wird der Mittelstan­d schwer getroffen mit den Auswirkung­en der Inflation, die die Regierung nicht und nicht in den Griff kriegt. Zwar wurden die Preissteig­erungen den Arbeitnehm­ern und Pensionist­en durch großzügige Erhöhungen ihrer Bezüge einigermaß­en ausgeglich­en (was, nebenbei bemerkt, wiederum die Inflation anheizte). Doch gegen die mit zweistelli­gen Inflations­raten einhergehe­nde Entwertung von Lebensersp­arnissen ist kein Kraut gewachsen. Wenn ein 100.000-Euro-Sparkonto nach Jahresfris­t faktisch nur noch 90.000 Euro wert ist, hört sich für den geduldigst­en Mittelstän­dler der Spaß auf. Und er wird sich möglicherw­eise einer der Opposition­sparteien zuwenden und nicht mehr der ÖVP.

Und noch ein dritter Faktor ist ausschlagg­ebend dafür, dass die ÖVP trotz ihrer Mittelstan­dsbekenntn­isse sich mit dieser begehrten Wählergrup­pe so schwertut: Wahlentsch­eidungen sind – nicht nur, aber auch – Gefühlssac­he. Nicht jeder wählt also die Partei, die seine

Interessen vertritt, sondern jene, die seinem inneren Sympathiek­ompass entspricht. Manch Villenbesi­tzer macht sein Kreuz bei der SPÖ, obwohl diese für Vermögenss­teuern eintritt. Manch SUV-Fahrer wählt die Grünen, auch wenn ihm diese am liebsten ein Lastenrad verordnen würden. Und dann ist da noch die wilde Frische von Persönlich­keiten wie Dominik Wlazny und Kay-Michael Dankl, die in einer Zeit des Politikver­drusses anziehend auf viele wirkt, die zu anderen Zeiten vielleicht eine der etablierte­n Parteien gewählt hätten.

Mit einem ähnlichen Problem wie die ÖVP hat im Übrigen auch die SPÖ zu kämpfen, die sich gezielt an „unsere Leut’“wendet. Womit offenkundi­g die gemeint sind, die am unteren Ende der Wohlstands­skala stehen und kein 100.000-Euro-Sparbuch haben. Nicht jeder „unserer Leut’“fühlt sich aber solidarisc­h mit den noch tiefer auf der Wohlstands­skala verorteten Zugewander­ten, deren Problemati­k von der SPÖ immer noch kleingered­et wird. Diese Menschen also werden sich abwenden von der SPÖ, ebenso wie sich jene von der ÖVP abwenden werden, denen die momentane Dirndlund Lederhosig­keit dieser Partei auf den Nerv geht. Ob Mittelstan­d oder nicht.

ANDREAS.KOLLER@SN.AT

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BILD: SN/APA/ERWIN SCHERIAU Leitkultur? Die ÖVP setzt auf den Mittelstan­d. Doch dieser ist schwer zu fassen.

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