Großer Protest gegen Orbán
Ein Whistleblower aus dem Inneren der Regierungspartei Fidesz sorgt in Ungarn für Unruhe.
Zehntausende schwenkten am Samstag Flaggen und zündeten Feuerwerke in den ungarischen Nationalfarben. Man hätte sie auf den ersten Blick für besonders patriotische Unterstützer Viktor Orbáns halten können, doch die Menschen skandierten „Orbán, verschwinde!“und „dreckiger Fidesz!“.
Der Fidesz-Insider Péter Magyar hatte zu dem Protest aufgerufen. Und einen derart großen Protestmarsch hatte es in Budapest lange nicht gegeben. Magyars „Nationaler Marsch für ein neues Ungarn“führte zum Parlament. Mit dabei waren eher nicht die alten, meist linken oder grünen Oppositionspolitiker, sondern neue Orbán-kritische Figuren wie Schauspieler Ervin Nagy, Pfarrer Zoltan Tarr und Janos Nagy, der oppositionelle Bürgermeister der zentralungarischen 40.000-Einwohner-Stadt Szigetszentmiklós.
Vor dem Parlament, wo Orbán am Nationalfeiertag Zehntausende seiner teils mit Bussen aus dem Ausland herangekarrten Unterstützer versammelt, hatte diesmal die neue Hoffnung der Opposition das Sagen. In einer rund einstündigen Rede sagte der 43-Jährige, die Ungarn seien der Funke, der die Atombombe gegen die Orbán-Mafia zünden könnte. „Die Regierung möge die Macht zurück in die Hände des Volkes legen und ihm die Wahlmöglichkeit geben“, so Magyar, der damit vorgezogene Wahlen forderte. Den Ministerpräsidenten selbst griff das langjährige Fidesz-Mitglied Magyar nicht an, wohl aber Antal Rogán, Orbáns Kanzleichef. Dieser schüchtere „mit viel Geld ungarische Patrioten“ein, klagte Magyar und spielte nicht zuletzt auf sich selbst an. Denn jahrelang hatte Magyar selbst das System mitgetragen.
Der Fidesz-Whistleblower war mit der ehemaligen Justizministerin Judit Varga verheiratet und hatte selbst Führungsposten in staatlichen Institutionen und Unternehmen inne. Erst im Februar hatte er überraschend mit Fidesz und damit auch Orbán gebrochen. Anlass für sein Umdenken sei die Affäre um die Begnadigung eines PädophilenHelfers, die zum Rücktritt von Staatspräsidentin Katalin Novák sowie dem Ende der politischen Laufbahn seiner Ex-Frau geführt hatte, sagt Magyar heute.
In einem fast zweistündigen Interview im linken YouTube-Kanal Partizan, das fast 2,5 Millionen Mal aufgerufen wurde, enthüllte Magyar damals viele korrupte Machenschaften im Inneren der Regierungspartei.
Als Beweis seiner Anschuldigungen veröffentlichte Magyar Ende März einen heimlich aufgenommenen, rund zweiminütigen Gesprächsmitschnitt mit Varga. Darin schildert die enge Orbán-Vertraute, wie Politfreunde von Orbáns Kanzleiminister Antal Rogán in staatsanwaltliche Ermittlungen eingegriffen und belastende Stellen aus den Akten getilgt hätten. Der Oberstaatsanwalt hätte dies einfach zugelassen, klagt Varga in dem Gesprächsmitschnitt.
Varga bestritt die Authentizität des Gesprächs nicht, behauptete aber, von Magyar zu den Aussagen manipuliert worden zu sein.
Magyar hat inzwischen angekündigt, eine Partei zu suchen, die ihn trotz Fidesz-Vergangenheit aufnimmt, und diese auf die EU-Wahl hin zu einer großen oppositionellen Kraft aufbauen zu wollen. Laut Umfragen kann der heute noch Parteilose im Moment mit 10 bis 16 Prozent Zustimmung rechnen.
„Wir erobern unsere Heimat zurück.“